Preis des aufrechten Gangs. Prodosh Aich

Preis des aufrechten Gangs - Prodosh Aich


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      Dem Antrag wird stattgegeben. Am 23. August 1963 beantragt die Universität beim Herrn Kultusminister des Landes Nordrhein–Westfalen:

      „Der Direktor des Forschungsinstituts für Soziologie der Universität zu Köln, Herr Professor Dr. König, bittet mit beiliegendem Antrag vom 26.07.1963, den indischen Staatsangehörigen Herrn Dr. phil. Prodosh Aich zum wissenschaftlichen Assistenten am vorgenannten Institut zu ernennen. ...

       Abgesehen davon, daß Herr Dr. Aich in verschiedenen Fachrichtungen studierte, hat er unter Anrechnung aller seiner Studienzeiten einschließlich der praktischen Fachausbildung als Förderungsstipendiat nur eine Gesamtstudien– und praktische Ausbildungszeit von 5 ½ Jahren aufzuweisen. Außerdem besitzt er nicht den für seine Ernennung zum wissenschaftlichen Assistenten vorgeschriebenen Grad eines Dr. rer. pol., sondern den eines Dr. phil. Die in § 2 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 der Reichsassistentenordnung vom 1. 1. 1940 vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Ernennung zum wissenschaftlichen Assistenten sind daher nicht als erfüllt anzusehen.

       Entsprechend dem Antrag von Herrn Professor Dr. König bitte ich gleichwohl, unter Befreiung von diesen Vorschriften die Zustimmung zur Ernennung von Herrn Dr. Aich zum wissenschaftlichen Assistenten zu erteilen. Außerdem bitte ich, da Herr Dr. Aich die indische Staatsangehörigkeit besitzt, zu der Ernennung gemäß § 6 Abs. 3 LBG die Zustimmung des Herrn Innenministers zu erwirken.

       Ich darf als bekannt voraussetzen, daß sich Herr Dr. Aich durch seine Arbeit ‚Farbige unter Weißen‘ schon einen Namen gemacht hat. Die Ernennung zum wissenschaftlichen Assistenten kann daher unbedenklich befürwortet werden.“

      Auch diesem Antrag wird stattgegeben. Ich werde zum wissenschaftlichen Assistenten ernannt, verbeamtet, auf Widerruf. Weder im soziologischen Seminar noch im Forschungsinstitut für Soziologie wird ein Arbeitsplatz für mich bereitgestellt. Es gibt keine Räumlichkeiten. Mein Arbeitsplatz bleibt in der Weberstraße 96 in Bonn. Dieser bemerkenswerte Zustand wird von keiner Seite thematisiert. Fakt ist, daß für mich nie ein Arbeitsplatz in den Räumlichkeiten der Universität eingerichtet wurde.

      Erwin K. Scheuch, noch habilitierter wissenschaftlicher Assistent im Seminar für Soziologie unter Direktor René König, erhält zur Überraschung vieler einen Ruf an die Harvard University, dem Mekka für deutsche Soziologen. Der Lehrstuhl von Samuel A. Stouffer, neben Paul Lazarsfeld der andere Papst der empirischen Sozialforschung, war nach seinem Tod im Jahre 1960 noch unbesetzt. Stouffer und Lazarsfeld waren erfahrene Sozialforscher und auch Kriegsforscher im Auftrag der USA–Regierung, und nicht fleißige „Sekundärauswerter“ von empirischen Untersuchungen anderer wie Scheuch und König. Scheuch folgt dem Ruf, steigt raketenhaft in der Hochachtung von König, der es nur bis zu „Summer Schools“ in den USA gebracht hatte. Andere im Institut grübeln darüber, ob Scheuch sich in Harvard halten wird. Nun, Scheuch hält sich nicht in Harvard und kommt zurück nach Köln mit einem Ruf zunächst als Kodirektor des Seminars für Soziologie. Ab sofort redet König Scheuch mit „Herr Kollege“ an. Meine Hochachtung vor König erfährt ein weiteres Beben.

      Das BMZ lehnt den Forschungsantrag nicht ab. Aber es bewilligt ihn auch nicht. Es läßt den Antrag einfach schmoren. Nach meiner Ernennung halte ich Seminare im Auftrage von König ab und arbeite intensiv an der Entwicklung des Untersuchungsinstruments für die Rückkehrerstudie. Daß das BMZ nicht entscheidet, führe ich auf die Aufbauphase des neuen Ministeriums zurück. Auch Böll, der sich immer mehr unerreichbar macht, bestärkt mich in dieser Annahme. Wie König diese Verzögerung deutet, sagt er mir nicht. Routinemäßig macht der Kanzler der Universität König am 23. August 1965 mit einer hektographierten Mitteilung darauf aufmerksam, daß meine Ernennung nicht automatisch um weitere zwei Jahre verlängert werden würde. Also beantragt König eine Verlängerung um weitere zwei Jahre am 2. September 1965:

      „Zur Begründung mache ich folgende Angaben. Herr Dr. Aich hat in meinem Auftrag bereits Semester–Lehrveranstaltungen, im Seminar übernommen und mit größtem Erfolg durchgeführt. Außerdem betreut er im Forschungsinstitut alle Angelegenheiten, die mit Entwicklungsproblematik zu tun haben und ist in diesem Zusammenhang mit der Abfassung einer größeren Arbeit beschäftigt. Ich bemerke noch, daß Herr Dr. Aich ein Habilitationskandidat ist und sich während der Zeit seiner Mitarbeit im Institut durch zahlreiche und viel beachtete Publikationen ausgezeichnet hat, so daß die Verlängerung seines Dienstverhältnisses voll und ganz gerechtfertigt ist.“

      Das „Dienstverhältnis“ wird verlängert. Routinemäßig. Das ausgefüllte Formularblatt vom 21. September 1965 erreicht die Universität schon am nächsten Tag. Zwischenzeitlich hat sich etwas ereignet. Vermittelt durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) taucht im Juli 1965 T. K. N. Unnithan, Soziologieprofessor an der Universität Rajasthan in Jaipur, im Institut in Köln auf und erzählt von möglicher Zusammenarbeit zwischen den beiden Universitäten. Nun, „Zusammenarbeit“ ist auch damals „in“, denn Zusammenarbeit bringt für den stärkeren Teil in der Partnerschaft großen Einfluß. Solche Zusammenarbeit wird vom Auswärtigen Amt gern gesehen. Der DAAD ist eine Unterabteilung des Auswärtigen Amtes. Die Universitäten Köln und Bochum unterhielten zu der Zeit eine WiSo–Außenstelle an der Universität Kabul, natürlich mit dem Segen des Auswärtigen Amtes. Was die „Zusammenarbeit“ dieser Art auch an Nutzen für den Steuerzahler erbracht haben mag, eröffneten sie doch ungeahnte Reisemöglichkeiten für viele. Reisen ohne Kosten, versteht sich.

      König reicht den indischen Kollegen weiter an seinen neuen Kollegen Scheuch. Beide sind für eine Zusammenarbeit. Bonitätsfragen sind ein zu teurer Luxus, wenn gesicherte Reisen winken. Schließlich ist Indien märchenhaft exotisch. König erzählt Unnithan die Erfolgstory seines „hochentwickelten Unterentwickelten“ und fragt an, ob nicht sinnvollerweise die Zusammenarbeit mit einer Einladung zu Gastvorlesungen an mich beginnen sollte. Unnithan ist begeistert. Ich werde ihm vorgestellt. Unnithan setzt seine Deutschlandsreise fort. Seine Reisekosten werden selbstverständlich auch von den deutschen Steuerzahlern übernommen. Denn er ist Gast des DAAD. Nach seiner Rückkehr bemüht sich Unnithan mit Erfolg um die anvisierte Einladung an mich. Aus dieser zufälligen (wirklich zufälligen?) Begebenheit entwickelt sich bis zum März 1966 der Plan meines Aufenthaltes in Indien beginnend vom Juli 1966. Geplante Abreise aus Köln Anfang Juni, dann per Frachtschiff von Rotterdam, auch wegen der Kosten. Wir sind keine Minibotschafter.

      Dazwischen, genauer am 25. Januar 1966, schreibt König mir einen Brief. Er ist nicht nur unvermittelt, nein, er ist auch auf den ersten Blick irrational, weil er in keinem mir bekannten Zusammenhang steht. Was soll denn zwischen dem 2. September 1965 und dem 25. Januar 1966 vorgefallen sein? Hier ist der vollständige Text:

      „Mein lieber Herr Aich, schon seit längerer Zeit wollte ich auf unsere Besprechung von neulich zurückkommen. Ich mußte es aus verschiedenen Gründen immer verschieben. Nachdem nun aber die Verlängerung Ihres Dienstverhältnisses mit dem Soziologischen Institut akut geworden ist, möchte ich noch einmal mit aller Deutlichkeit auf die besprochenen Fragen zurückkommen.

       Ich hatte von Ihnen erwartet, daß Sie im Laufe der letzten zwei Jahre Ihre Arbeit fertiggestellt hätten. Darum hatte ich Sie ja auch außer der Abhaltung von Übungen von der Arbeit im Institut völlig freigestellt. Nun teilen Sie mir mit, daß gar nichts geschehen ist. Ich finde das sehr enttäuschend und auch durch schwierige persönliche Verhältnisse nicht erklärlich. Ich kann auch die Weiterführung dieser Situation gegenüber der Universitätsverwaltung nicht mehr verantworten. Darum legte ich Ihnen neulich nahe, daß Sie nun möglichst umgehend irgendeine Arbeit fertigstellen, die mir zeigt, daß Sie in den letzten Jahren überhaupt irgendetwas getan haben. Ich gab Ihnen dafür zwei Monate Frist. Ich möchte in diesem Brief unterstreichen, daß ich diese Frist beim Wort zu nehmen bitte, d.h. mit anderen Worten, ich erwarte von Ihnen ein Manuskript spätestens bei meiner Rückkehr aus Afrika am 20. April dieses Jahres. Das ist aber auch der letzte Termin. Ich möchte Ihnen jetzt schon sagen, daß ich Ihr Arbeitsverhältnis werde eingehend überprüfen müssen, wenn Sie mich nochmals enttäuschen wie in der Vergangenheit. Ich bitte Sie, diesen Brief sehr ernst zu nehmen.

       In der Hoffnung, bald von Ihnen etwas über Ihre Arbeit zu hören, bin ich mit den besten Grüßen stets Ihr Prof. Dr. René


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