Der Auftrag. Ralf Wider

Der Auftrag - Ralf Wider


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aus, wie ein nicht fertig programmiertes Computerspiel, das auf einem veralteten Computer mit ungenügender Grafikkarte gespielt wurde.

      Ferry hatte aufgeraucht, drehte die Zigarette auf dem feuchten Boden aus, vergewisserte sich mit den Fingerspitzen von Zeigefinger und Daumen, dass sie nicht mehr glomm und steckte sie in eine kleine Blechbox, die er zu diesem Zweck immer bei sich trug.

      Er schüttelte sich, um die Gedanken an das Früher zu vertreiben. Er musste fokussieren, auf das Hier und Jetzt. Er musste die Nachricht noch einmal abhören, denn er konnte noch immer nicht fassen, was Paris ihm mitgeteilt hatte.

      Um die Nachricht abzuhören, brauchte Ferry nur ein einfaches Hilfsgerät. Grundsätzlich funktionierte fast jedes elektronische Gerät oder auch ein mechanisches Gerät mit einem Quarz für die Kommunikation mit der Zentrale. Ferry hatte sich vor langer Zeit für die Quarz-Variante entschieden. Seine Armbanduhr war sein Funkempfänger, sozusagen. Seine Certina DS Chronograph Titanium war schon ziemlich zerschlissen, und um die Zeit abzulesen, brauchte Ferry sie schon lange nicht mehr. Die Batterie war leer. Doch die brauchte es gar nicht, um Kontakt aufzunehmen. Die trigonale kristalline Struktur des Quarzes wurde durch die Frequenzschwingung des Senders angeregt und mit genügend Energie geladen, um eine gesprochene oder getextete Nachricht zu speichern. Da seine Certina ein Saphirglas hatte, welches ebenfalls eine trigonale Struktur aufweist, verhielt sich das Uhrenglas wie ein LCD-Display mit Touchscreen-Funktion.

      Er schaute auf die Uhr an seinem linken Handgelenk. Warum trug er sie eigentlich noch? Hatte er nicht längst abgeschlossen mit dieser Etappe in seinem Leben? Hatte er unterbewusst gehofft, dass man ihn kontaktieren würde, dass man ihn aus seinem tristen Reservisten-Dasein zurückholen würde?

      Als man Ferry vor langer Zeit erklärt hatte, worum es sich bei dieser Truppe handelte, hatte er sich dem P1-Corps sofort angeschlossen, und davon war er nicht wegzubringen gewesen. Bis zu dem Tag, als sich vieles änderte, der Tag, an den er nicht denken wollte…

      Trotzdem fühlte er sich noch immer als ein Teil des Corps. Es dämmerte ihm, dass er wohl noch immer nicht ganz mit seinem früheren Leben als Kampfpilot abgeschlossen hatte. Ja, er musste es sich selbst eingestehen, mit einem wehmütigen Blick auf seine Certina, er war immer noch neugierig, hungrig auf Informationen aus dem Corps. Er hatte diese Spezialeinheit immer als eine Art Familie angeschaut, die Mitglieder der Truppe waren Gleichgesinnte, Verbündete, sie verstanden ihn mit seinen speziellen Begabungen und er verstand sie. Das Zusammengehörigkeitsgefühl war immer sehr gross gewesen. Sie waren eine eingeschworene Gruppe von Spezialisten gewesen, die etwas gemeinsam hatten, was andere Menschen nicht hatten. Und war es denn nicht völlig natürlich, sich um seine Familie zu kümmern, sich um sie zu sorgen, wissen zu wollen, wie es seinen Nächsten und Liebsten ging? Seine Nächsten und Liebsten… bei diesem Gedanken bohrte sich ein Dolch aus eiskaltem Stahl in sein Herz. Seine Liebste…

      Ex-Commander Ferry Black schloss die Augen in Agonie. Er zwang sich, den Gedanken aus seinem Bewusstsein zu vertreiben, diesen Gedanken, der in den tiefen, dunklen Windungen seines Unterbewusstseins lauerte, jederzeit bereit, aufzutauchen und ihn zu peinigen. Der Gedanke an… Er drückte sich die Handballen an die Schläfen und stiess die angehaltene Luft stossartig aus. Nein! Fokussieren… die Nachricht!

      Er hatte der Truppe ewige Treue geschworen als er in die Fliegerakademie eingetreten war, und ewig hiess für immer. Langsam öffnete er die Augen und blinzelte. Dann zündete er sich noch eine Zigarette an und tippte mit dem Zeigefinger das Saphirglas seiner Uhr an.

      Das Symbol der Einheit leuchtete auf: zwei waagerechte, parallele Linien, von denen die obere in der Mitte eine Delle nach unten aufwies und die untere Linie berührte: das Symbol für die zwei parallelen Welten, in der sich das Corps bewegte. Die obere Linie war silbergrau, die untere azurblau. Unter den Linien lagen, halbtransparent wie ein Wasserzeichen, die zwei gekreuzten goldenen Schwerter der Armed Forces.

      Er schob das Logo mit der Fingerspitze weg und tippte das Symbol für Sprachnachrichten an. "1 gespeicherte Nachricht, Dauer 12,22 Sekunden". Er tippte die Nachricht an, die Uhr koppelte sich mit dem Empfänger in seinem Kopf und er hörte Paris' Stimme, klar und deutlich.

      Irgend etwas beunruhigte ihn, verursachte ein Flirren in seinem Kopf und einen mulmigen Knoten in seinen Eingeweiden. Er konnte noch nicht den Finger drauflegen, wusste nicht, was es war, das ihn irritierte. Er hörte die Nachricht noch einmal ab.

      Master Paris, sein ehemaliger Vorgesetzter, sprach ihn mit "Commander Black" an. Allein diese Anrede sprach Bände. So hatte ihn seit Jahren niemand mehr genannt. Er war offiziell in der Reserve. Commander war er gewesen, als er aus dem aktiven Dienst im Corps ausgetreten war. Commander hatte ihn Paris früher nur genannt, wenn es hochoffiziell war oder wenn Paris - was häufiger der Fall war - total angepisst war, weil Ferry wieder mal Schrott gebaut hatte.

      Dass Paris ihn jetzt mit seinem formellen Titel ansprach, bewies, dass er ihn genau in dieser Funktion brauchte. Als aktiven Commander der P1AF, der Parallel 1 Armed Forces.

      Diese Anrede besagte eigentlich, dass er ab sofort wieder den aktiven Dienstgrad bekleidete, seine Kompetenzen zurückhatte, die man ihm genommen hatte. Ferry glaubte, auch einen gewissen Respekt in Paris Stimme mitschwingen zu hören, Respekt, den man sich als verdienter Offizier erarbeitet hatte, aber vielleicht bildete er sich das nur ein?

      Er musste sich eingestehen, dass es gut tat, seinen ehemaligen Titel wieder zu hören. Commander Black… Als Jungpilot war er der schwarzen Staffel zugeteilt worden. Später war er Squad Leader geworden, Staffelführer. Er hätte wechseln können, irgendeine Staffel übernehmen, doch er wählte die schwarze Staffel. Als er zum Commander befördert worden war, hätte er automatisch die silberweisse Uniform mit den goldenen Abzeichen bekommen, doch er behielt die schwarze Uniform an, genau wie auch sein schwarzes Halstuch. Da niemand die Leitung der schwarzen Staffel übernehmen wollte, flog er weiterhin Einsätze als Squad Leader, obwohl er das im Rang eines Commanders nicht mehr gemusst hätte. Als Commander unterstanden ihm vier Staffeln, die er aus der Zentrale hätte anweisen können, doch Ferry zog es vor, mit seinen Leuten zu fliegen, Seite an Seite. Die lange Tradition bei der Black Squad, seine Verbissenheit, mit der er die Truppe immer wieder aufbaute und neu formierte, nachdem sie so viele Male zerschlagen worden war, hatte ihm den Beinamen Black ganz natürlich beigebracht.

      Ein ulkiger Nebeneffekt war, dass er eigentlich Ferdinand Schwarz hiess. Da es sich beim Corps um eine sehr internationale Truppe handelte, hatte man sich auf die Einheitssprache Englisch geeinigt. Englisch konnten alle, mehr oder weniger, doch es war verständlich im Funkverkehr, jahrzehntelang erprobt in der zivilen Luftfahrt. Schwarz als Name war hingegen gänzlich ungeeignet für den Funkverkehr: die Amis sprachen es aus wie "Schworrzz", die Franzosen wie "Schwaachz", die Spanier "E-swarss", die Deutschen wie "Schwaatz". Alles in allem klang es immer wie ein Rauschen im Radio, eine Frequenzstörung. Es war naheliegend gewesen, Black als Name anzunehmen und das Schwarz zu begraben.

      So ganz im Kontrast zur offiziellen Anrede war die nächste Aussage der Nachricht gewesen: "… Sie fliegen einen Solo-Einsatz…" Ein Solo-Einsatz? Für einen Commander? Ein Commander flog generell nie allein, das verboten die Regeln. Die Sicherheit eines Commanders war immer durch die Anwesenheit mindestens einer Flugstaffel zu gewährleisten. Auch für die Kampfpiloten der Staffeln galt, dass sie in aller Regel mindestens in Zweiertrupps unterwegs sein mussten, sei es auf Patrouille oder im Gefecht. Keine Flugbewegung ohne Wingman! Ausnahmen gab es nur selten, bei unbedeutenden Aufklärungsflügen und… geheimen Missionen. Aufklärung fiel weg, demnach war klar, dass es sich um eine geheime Mission handeln musste... Aber wieso er? Ferry verstand das nicht, das ging irgendwie nicht auf. Wieso kurbelte Paris die ganze bürokratische Maschinerie an, die es mit sich brachte, wenn er Ferry wieder in den aktiven Dienst des Corps aufnahm? Es musste mehr dahinter stecken. Das miese Gefühl in seinem Inneren verdichtete sich.

      Er würde die Zielkoordinaten abwarten müssen. Vielleicht würden diese ihm mehr Hinweise auf die Art des Einsatzes liefern…

      "… Search and Rescue. Squad Leader MIA…". Das war typischer Militärjargon, geprägt von den Amerikanern im Corps. Sie hatten beim Entstehen des internationalen Corps darauf bestanden, die uneingeschränkte Leitung zu übernehmen. Sie hatten weitreichende militärische Erfahrung, hatten die


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