Hands up!. Edgar Wallace

Hands up! - Edgar Wallace


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er sich sein Coupé im Zuge reservieren lassen – eine heilige Pflicht, die er keinem Sekretär anvertrauen mochte.

      Trotz der dicken Schneeflocken, die sein Gesicht trafen, klopfte sein Herz heiter und ungestüm. Das kleine Blumenmädchen hing das Tragband ihres Korbes über die andere Schulter und starrte mißmutig in den weißen Nebel hinein, der sich auf St. James Street hinabsenkte und langsam alles mit seinem Schleier verhüllte. Man konnte nicht mehr von einer Seite der Straße auf die andere blicken. Der Boden war dicht von einer weißen Decke verhüllt. Wenn man die keuchenden Motore nicht gehört hätte, würde man nicht gewußt haben, daß so etwas wie Autobusse vorbeiführen.

      Schnee bedeckte die Veilchen im Korb des jungen Mädchens, drang durch den dünnen Schal auf ihren Schultern, folgte ihr selbst in den Zufluchtsort, den der Eingang zu einer Bank ihr darbot.

      Zwei Männer strichen an ihr vorbei und gingen in die Bank hinein. Ganz mechanisch bot sie ihnen ihre Blumen an. Der jüngere der beiden bemerkte sie nicht, der andere, ein Mann in mittleren Jahren mit einem kurzen Schnurrbart, warf ihr einen schnellen, prüfenden Blick zu und blieb stehen.

      »Nun, Kleine – gute Geschäfte?«

      Sie antwortete nicht. Er zögerte einen Augenblick, dann öffnete sich die Tür der Bank, und die Stimme des jungen Mannes rief ihn ungeduldig.

      In diesem Augenblick kam Luke Maddison die Straße herunter. Er hatte keinen Mantel an, und seine Schultern waren schon mit Schnee bedeckt.

      Im Vorbeigehen sah er das Mädchen, das zitternd in dem Torweg stand, blieb stehen und ging dann zu ihr zurück.

      »Kleine, Sie sehen aber verfroren aus! Mein Herz ist warm – aber glauben Sie nicht, daß ich Ihnen Liebesanträge machen will! Ich will Blumen haben, und Sie werden ein Geschenk von mir erhalten, und dann werden wir wieder auseinandertreiben, als ob wir uns nie gesehen hätten – geboren und gestorben in diesem einzigen, eisigen Augenblick! Das Beste wäre ein Kranz!«

      Er zog eine Banknote hervor und schwenkte sie lachend vor ihren Augen hin und her. Und dann blickte er sie überrascht an.

      Sie war hübsch, sehr hübsch – und Blumenmädchen, mit Ausnahme auf der Bühne, sind es gewöhnlich nicht. Sie hatte eine zarte Figur und wundervollen Teint. Ihre ärmliche Kleidung, ihre ganze Person, sprachen von Armut und Entbehrung.

      »Warten Sie, hier ist etwas Besseres.«

      Er steckte die Banknote in seine Tasche, zog eine andere heraus und schrieb einige Worte auf diese.

      »Hier ist Name und Adresse meiner Firma. Für den Fall, daß man Ihnen beim Wechseln Schwierigkeiten machen sollte, können Sie die Leute oder die Polizei an mich verweisen.«

      Sie antwortete nicht, sondern blickte nur von dem Schein in ihren kalten Händen zu dem Geber. Eine Banknote über hundert Pfund! Als sie wieder aufblickte, war er im Nebel verschwunden.

      Wieder öffnete sich die Tür der Bank, und die beiden Männer kamen heraus. Das junge Mädchen zerknitterte die Banknote in ihrer Hand, bestürzt, beglückt und in gewisser Beziehung enttäuscht. Dann fiel ihr das Gesicht des jungen Mannes auf, totenblaß, sein Atem kam in Stößen. Sie konnte dies bei der Kälte leicht bemerken.

      »Du lieber Gott ... das war ein entsetzlicher Zufall, Danty – nimm nur mal an, er wäre hineingekommen –«

      »Halt's Maul, du Narr!« Der ältere der beiden blickte argwöhnisch auf das Blumenmädchen, das eifrig mit ihren Veilchen beschäftigt war.

      »Aber wenn er nun gekommen wäre... er sagte, er würde abreisen, bevor er seine Abrechnung verlangte.«

      Er zitterte am ganzen Körper, und wenn das Blumenmädchen ihn beobachtet hätte, müßte sie es bemerkt haben. Dantys dunkle Augen suchten auf der Straße nach einem Taxi, blieben dann einen Augenblick auf der Blumenverkäuferin ruhen. Sie war niedlich, auch wenn ihr Gesicht im Augenblick gänzlich ausdruckslos war. Er nahm an, sie hatte sicher mehr Interesse an ihren armseligen Blumen als an unverständlichen Brocken einer Unterhaltung.

      »Nun, Rex, sei mal vernünftig. Es liegt wirklich keine Veranlassung zu irgendwelcher Besorgnis vor. Du könntest sehr gut gesagt haben, daß Margaret ...«

      Seine Stimme sank zu einem unverständlichen Flüstern herab. Das Mädchen hörte verschiedene Male das Wort »Abrechnung«, »Übertragung«, »Konto«, gleichzeitig zweimal den Namen »Margaret« und »Luke«.

      »... schon in Ordnung bringen, mach dir man keine Sorgen!« Danty klopfte dem anderen beruhigend auf die Schultern, und das junge Mädchen war sich klar, daß sie »Danty« nicht ausstehen konnte. »Da ist ein Taxi!«

      Der jüngere der beiden winkte und lief auf den Wagen zu. Der andere folgte langsam und ließ beim Vorbeigehen etwas auf ihre Blumen fallen – eine Visitenkarte.

      »Komm so gegen neun mit heran und trink ein Glas Wein bei mir«, murmelte er.

      Sie ergriff die Karte vor seinen Augen, las langsam Namen und Adresse – und zerriß sie.

      Danty war in nicht besonders guter Stimmung, als er seinen Freund einholte.

      »Mr. Danton Morell, 907 Half Moon Street«, hatte sie gelesen, ein Name, den sie nicht vergessen sollte.

      Und dann tauchte aus dem Nebel der wirbelnden Flocken eine riesige Figur auf, und sie fühlte instinktiv, daß der Mann, der auf sie zu kam, mit ihr sprechen würde. Warum sie dies wußte, konnte sie nicht sagen – er hätte ja ebensogut in die Bank gehen können.

      Er war groß und dick. Als er noch nicht neben ihr stand, schien seine Länge gar nicht so außerordentlich zu sein; wenn man seine Länge geschätzt hatte, war die enorme Breite seiner Schultern noch nicht einmal so auffällig. Er war weit über zwei Meter groß, sein breites, rundes Gesicht war dunkel und wenig anziehend, er hatte einen kurzen Stiernacken und eine volle tiefe, ein wenig heisere Stimme.

      Langsam, beinah wie im Schlaf, ging er durch den Schnee dahin, die Hände auf dem Rücken, seinen steifen Hut auf dem Hinterkopf, die zerkaute, unregelmäßig brennende Zigarre zwischen den Zähnen.

      Das Blumenmädchen nahm an, daß er schließlich doch in die Bank gehen würde, aber – er pflanzte sich vor ihr auf und blickte auf sie hinab. In den kleinen Schlitzaugen lag keinerlei Ausdruck: seine Aufmerksamkeit konnte ebensogut durch sie selbst in Anspruch genommen sein oder durch den Versuch, sich an irgend etwas zu erinnern.

      Und dann sagte er heiser: » Sie sind kein Kind der Armen!«

      Es lag so viel Freundlichkeit, so viel guter Humor in dem Ton dieser Worte, daß sie lachte.

      »Und auch kein Übeltäter«, sagte sie betont ernsthaft, und sein rundes Gesicht verzog sich zu einem entzückten Lächeln.

      »Sie sind wirklich die erste Person, die mir jemals die richtige Antwort gegeben hat«, sagte er. »Jetzt will ich Sie noch etwas anderes fragen: Wo in unserer guten Stadt London steht dieser Text in Stein geschrieben?«

      Beinahe verächtlich erwiderte das junge Mädchen:

      »Solch eine Frage! Über dem Eingang von Old Bailey – »Beschütze die Kinder der Armen und strafe die Übeltäter.«

      Er nickte.

      »Sie haben wenigstens eine Butterdose gewonnen, aber Sie können sich auswählen, was Sie wollen. Um mal auf etwas anderes zu kommen: Wer und was bin ich? Für die richtige Antwort bekommen Sie eine Tüte Kameruner und ein Freibillett für den Zoo.«

      Sie blickte ihn mit einer gewissen übertriebenen Feierlichkeit an, die ihn entzückte.

      »Sie sind der Detektiv-Inspektor Horace Bird – und man nennt Sie gewöhnlich ›Spatz‹.«

      Er beugte sich zu ihr, und sein Gesicht wurde purpurrot vor unterdrücktem Gelächter.

      »Sie sind einzig! Jetzt lassen Sie mich auch einmal ein bißchen hervorragende Detektivarbeit leisten, genau so wie der allgemein bekannte Mr. wie-heißt-er-doch in der Baker Street. Also: Ihr Name ist Mary Bolford, Sie sind Reporter im Daily


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