Die seltsame Gräfin. Edgar Wallace

Die seltsame Gräfin - Edgar Wallace


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unwillkommenen Kavalier um, aber er war glücklicherweise nicht in der Nähe.

      »Ich weiß einen verhältnismäßig billigen Schönheitssalon in der South Moulton Street«, sagte Lizzy, als sie quer über die Theobald Road gingen, »wo man sich solche Narben entfernen lassen kann, wie du eine am Arm hast. Ich habe auch daran gedacht, mein rotes Gesicht einmal behandeln zu lassen. Denk dir, der Bürovorsteher hat mir das geraten; der Kerl fängt an, frech zu werden – ich muß ihn einmal etwas auf Eis stellen! Und dabei ist er achtundvierzig Jahre alt und hat bereits erwachsene Kinder!«

      Zwei Stunden später nahm Mr. Oliver Shaddles einige Schriftstücke vom Tisch, las sie schnell durch, rieb sich nervös das unrasierte Kinn mit den grauen Bartstoppeln und schaute auf die Bedford Row hinaus.

      Dann wandte er sich zu der kleinen elektrischen Tischglocke, zögerte einen Augenblick und drückte den Knopf.

      »Miss Reddle!«, sagte er kurz zu der Angestellten, die eilig hereinkam. Er nahm die Urkunden wieder auf und las noch darin, als sich die Tür öffnete und Lois eintrat.

      Sie war etwas über mittelgroß, aber ihre Schlankheit ließ sie größer erscheinen, als sie wirklich war. Sie trug das einfache schwarze Bürokleid, das die Firma Shaddles & Soan ihren weiblichen Angestellten vorschrieb. Mr. Shaddles hatte das Alter erreicht, in dem Schönheit keinen Eindruck mehr auf ihn machte. Über Lois Reddle lag eine zarte, ätherische Lieblichkeit. Aber für den Rechtsanwalt war sie nur eine Angestellte, die allwöchentlich fünfunddreißig Shilling erhielt. Davon wurden jedoch noch die Kosten der Unfallversicherung und Krankenkasse abgezogen.

      »Sie fahren nach Telsbury.« Shaddles hatte eine raue, abgerissene Sprechweise. »Sie sind in anderthalb Stunden dort. Nehmen Sie die beiden eidesstattlichen Erklärungen und bringen Sie die zu Mrs. Desmond. Sie soll sie unterschreiben. Das Auto steht unten –«

      »Ich dachte, Mr. Dorling hätte es«, begann sie.

      »Der Wagen ist vor der Tür«, sagte er kurz. »Sie werden eine glatte Fahrt haben und müßten eigentlich dankbar sein, daß Sie so viel frische Luft auf dem Weg schnappen können. Hier, vergessen Sie das nicht«, rief er ihr nach, als sie mit den Urkunden weggehen wollte. Er hielt ihr ein kleines Papier entgegen. »Vergessen Sie den Passierschein nicht – seien Sie doch nicht so unaufmerksam! Wie sollen Sie denn sonst ins Gefängnis kommen, Mädchen? Und dann sagen Sie der Desmond – machen Sie jetzt, daß Sie fortkommen!«

      Lois verließ den Raum und schloß die Tür leise hinter sich. Die vier blassen Angestellten, die nicht mehr allzu jung waren, saßen an hohen Büropulten und schauten nicht einen Augenblick von ihrer Arbeit auf. Nur das dralle Mädel mit dem runden Gesicht, das die Schreibmaschine bearbeitete, drehte sich nach ihr um.

      »Fährst du nach Telsbury – mit seinem sogenannten Auto?« fragte sie. »Ich dachte mir schon, daß er dich damit wegschicken würde. Der alte Teufel ist so niederträchtig geizig, daß er nicht einmal seine Fahrt zum Himmel bezahlen würde!«

      Die Firma Shaddles & Soan besaß ein Auto, das vor dem Krieg einmal schön und modern gewesen war. Es stand in einer benachbarten Garage, für die keine Miete gezahlt zu werden brauchte, denn das Grundstück wurde von Mr. Shaddles verwaltet. Den Wagen selbst hatte er für eine verschwindend geringe Summe bei einer Zwangsversteigerung erworben. Es war ein Fordwagen, und jeder Angestellte mußte ihn fahren können.

      Mr. Shaddles benutzte ihn, wenn er zum Gericht mußte, die Angestellten absolvierten damit ihre Botengänge, und die Fahrten wurden auf allen Kostenrechnungen nicht zu gering in Ansatz gebracht. So war das Auto für die Firma obendrein noch eine recht einträgliche Sache.

      »Bist du nicht froh, daß du fahren darfst?« fragte Lizzy etwas neidisch. »Großer Gott, wenn ich einmal aus diesem staubigen Loch heraus könnte! Möglich, daß du deinem Schicksal begegnest!«

      Lois runzelte die Stirn.

      »Was meinst du?«

      »Dein Schicksal«, erwiderte Elizabeth, nicht im mindesten eingeschüchtert. »Ich habe ihn schon heute morgen gesehen, als ich durch das Fenster schaute – na, wenn der nicht in dich verliebt ist!«

      Lois sah sie kühl und ablehnend an.

      »Aber da ist doch nichts dabei«, fuhr Lizzy fort. »Der junge Mann wartete neulich sogar im Regen stundenlang auf mich, nur um nach dir zu fragen. Ich glaube, der ist nicht ganz richtig im Kopf.«

      Lois lachte leise, band sich ein grellfarbenes Halstuch um und zog ihre Handschuhe an. Plötzlich wurde sie ernst.

      »Ich hasse dieses Telsbury, ich hasse überhaupt alle Gefängnisse – mich schaudert, wenn ich nur daran denke. Ich freue mich, daß ich bald nicht mehr hier in diesem Büro von Mr. Shaddles arbeiten muß.«

      »Nenne ihn bloß nicht Mister – dieses Kompliment verdient er nicht!«

      Der Tag war schön und warm, es wehte eine laue, milde Luft. Als Lois aus dem lärmenden Treiben Londons herauskam, wichen Niedergeschlagenheit und Unlust von ihr. Bevor sie abgefahren war, hatte sie sich instinktiv nach dem Mann umgesehen, von dem Lizzy vorhin so schmeichelhaft gesprochen hatte und dessen beständige und unerschütterliche Ergebenheit sie sehr in Erstaunen setzte. Aber sie konnte ihn nicht entdecken und vergaß ihn auch bald. Außerhalb Londons bog sie von der Hauptstraße auf eine der gewundenen Landstraßen ab, die parallel zur Chaussee liefen. Von hier aus konnte man die Natur und die ganze Landschaft besser genießen als auf der geraden, langweiligen Chaussee, die obendrein noch von hohen Hecken eingefaßt war.

      Sieben Meilen vor Telsbury fuhr sie mit zu hoher Geschwindigkeit wieder auf die asphaltierte Hauptstraße zurück. Als sie eben die hohen Hecken passieren wollte, hörte sie das Hupen eines Autos und bremste. Der kleine Wagen rutschte aber trotzdem weiter auf die Hauptstraße. Zu spät gab sie die Bremsen frei, um Gas zu geben. Plötzlich sah sie das Verdeck eines schwarzen Wagens, der gerade auf sie zukam, und fühlte den Ruf des Fahrers mehr, als sie ihn hörte.

      Krach!

      Dem Fahrer des großen, eleganten Wagens war es im letzten Augenblick gelungen, sein Auto zum Stehen zu bringen; trotzdem war er noch leicht mit dem alten Ford zusammengestoßen. Das Mädchen hatte die Hände am Steuer ihres Wagens und schaute verzweifelt auf die zerbrochene Windschutzscheibe. Michael Dorn ließ seinen Wagen langsam rückwärtsrollen, so daß das lange Trittbrett seines Wagens aus dem Schutzblech des anderen herauskam, und er bewies dabei eine so höfliche Geduld, daß es ihr noch peinlicher war, als wenn er ihr Vorwürfe gemacht hätte.

      »Sagen Sie doch etwas – irgend etwas Heftiges – oder meinetwegen schimpfen Sie! Es ist doch besser, daß man sich die Sache vom Herzen herunterredet, als daß man seinen Groll in sich hineinfrißt.«

      Graue Augen, durch dunkle Wimpern gehoben, dachte er. Auch hatte sie eine feingeformte Nase, wie er sie an Frauen so gern hatte, Ihr Kinn gefiel ihm, und da sie es angriffslustig gehoben hatte, konnte er auch ihren Hals sehen, der ihm trotz des seidenen Halstuchs in den schreienden roten und gelben Tönen in der Form vollkommen erschien. Sie war sehr geschmackvoll, wenn auch einfach gekleidet.

      »Ich habe ja gar keinen Groll und bin höchstens etwas verwirrt. Aber wenn ich schon etwas aussetzen soll, so muß ich sagen, daß mir Ihr Halstuch durchaus nicht gefällt.«

      Sie schaute an dem Tuch herunter, das sein Schönheitsgefühl beleidigte, und runzelte die Stirn.

      »Sie haben kein Recht, mich mit Ihrem Wagen anzurennen, weil Ihnen mein Halstuch nicht gefällt«, sagte sie kühl. »Wollen Sie bitte noch weiter zurückfahren, damit mein Auto freikommt? Hoffentlich sind Sie versichert?«

      Er fuhr rückwärts. Sie hörte, wie Blech schrammte und Glassplitter zur Erde fielen, dann war ihr Wagen wieder frei.

      »Sie sind mit einer Geschwindigkeit von vierzig Meilen aus der Seitenstraße herausgekommen – Ihr Wagen wäre sicher umgeschlagen, wenn ich Sie nicht angefahren hätte«, sagte er halb entschuldigend. »Ich hoffe jedoch, Sie haben sich nicht verletzt?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Ich bin nicht verletzt, aber ich glaube, mein Chef wird


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