Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole (Roman). H. G. Wells

Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole (Roman) - H. G. Wells


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Gott, ein Exemplar der autorisierten Ausgabe der englischen Bibel zu schenken und verwies sie allezeit großmütig an ihren Freund und Oberherrn. Sie schrieb ihm ganz gewiß sehr ernste Briefe, in denen sie ihre besonderen Wünsche unterstrich, just wie sie ja auch Lord Beaconsfield und dem Deutschen Kaiser mitteilte, was ihr feiner Instinkt, ein wenig belehrt durch Baron Stockmar, als nützlich für das Königreich, für Gottes Welt und für ihre Familienverbindungen erkannt hatte. Unter ihr bestand ein System hierarchischen Wohlwollens. Unser örtlicher Magnat war Sir Willoughby Denby, der für die Bewässerung subtropischer Landstriche, für den Anbau von Baumwolle, die in den Webereien von Manchester benötigt wurde, und für die Bedürfnisse der Menschheit im allgemeinen aufs trefflichste wirkte. Ein Mann von rötlicher Gesichtsfarbe und recht wohlbeleibt, pflegte er auf einem kräftigen kleinen Pferd durch das Dorf zu reiten. Mehr gegen Devizes zu, lagen die Besitztümer und die Einflußsphäre des Lord Penhartingdon, eines Bankiers und Archäologen, mütterlicherseits ein Blettsworthy. Von Downton bis Shaftesbury und nach der andern Seite hin bis Wincanton saßen Blettsworthys auf ihren Erbgütern.

      In dieser wohlwollenden Welt, die der Gott meines Onkels und seine eigene Güte im Hochland von Wiltshire aufgebaut hatten, wuchs ich vom Kind zum Jüngling heran, und der dunkle Einschlag des mütterlichen Blutes in mir, eines zu Traurigkeit neigenden und doch abenteuerlichen Blutes, floß unbemerkt durch meine Adern. Vielleicht war ich für einen Blettsworthy ein wenig zu geschwätzig und sprachbegabt. Anfänglich hatte ich eine Gouvernante, eine Miss Duffield aus Boars Hill bei Oxford; sie war die Tochter eines Freundes meines Onkels, ein blondes junges Mädchen, das ihn innig verehrte und mich mit gutem Erfolg im Französischen und im Deutschen unterrichtete. Dann kam ich als Wochenpensionär in die ausgezeichnete Schule zu Imfield, für die Sir Willoughby Denby so viel getan hatte: Er hatte sie mit Gottes und des Kirchenverwaltungsrates Hilfe neu aufleben lassen und reich dotiert. Sie war außerordentlich modern für jene Tage: Wir hatten Zimmerhandwerkskurse, betrieben an Pflanzen und Froschlaich experimentelle Biologie und lernten babylonische und griechische Geschichte anstatt griechischer Grammatik. Mein Onkel gehörte dem dieser Schule vorstehenden Kollegium an und kam von Zeit zu Zeit, um uns einen Vortrag zu halten.

      Er sprach etwa fünf bis zehn Minuten zu uns, sagte uns ohne vorherige Vorbereitung, was ihm bei unserem Anblick in den Sinn kam; er war dabei kaum bestrebt, uns Respekt vor irgendeiner höheren Macht einzuflößen, er wollte vielmehr unserer Jugend und erwartungsvollen Strebsamkeit ein aufmunterndes Wort sagen, das uns über Schwierigkeiten hinweghelfen sollte.

      »Zivilisation«, pflegte er zu uns zu sagen. »Werdet hier tüchtig und kräftig und geht dann hinaus, um die Welt zu zivilisieren.«

      Das war der Zweck der Imfielder Schule. »Zivilisation« war sein Lieblingswort; ich glaube, ich habe es sechsmal so oft aus seinem Munde gehört wie »Christentum«. Die Theologie war seinem Geiste ein Spiel, ein ziemlich müßiges Spiel. Er war für die Wiedervereinigung der ganzen Christenheit im Interesse der Zivilisation und setzte große Hoffnungen auf die heiligen Männer, die in der Troitzko-Sergijevskaja Lavra bei Moskau hausten und niemals zur gemeinen Wirklichkeit herabstiegen. Er wünschte einen Austausch orthodoxer und anglikanischer Priester. Seine Neigung, eingebildete Ähnlichkeiten zu sehen, war weit größer als seine Fähigkeit, Unterschiede zu erkennen. Unter dem langen Haar und Bart eines russischen Priesters vermochte er sich sehr gut die Mentalität eines sanftmütigen englischen Hilfsgeistlichen vorzustellen. Er glaubte, daß der russische Landadel binnen kurzem dem englischen gleichen und ein Parlament in St. Petersburg errichten werde. Er stand mit mehreren Kadetten in Briefwechsel. Und der Streitpunkt zwischen dem lateinischen und dem griechischen Glaubensbekenntnis, die sehr wesentliche Meinungsverschiedenheit nämlich betreffs Filioque, galt ihm, so fürchte ich, nur als Wortklauberei.

      »Im Grunde sind wir alle gleich«, sagte er, als er mich zur Konfirmation vorbereitete. »Man darf Formen und Formeln nicht zu wichtig nehmen. Es gibt nur eine Wahrheit auf der Welt, und alle guten Menschen kennen sie.«

      »Darwin und Huxley?« wandte ich ein.

      »Sind beide gute Christen im wahren Sinne des Wortes«, erwiderte er. »Das heißt nämlich, ehrliche Menschen. Kein Glaube ist gesund, wenn er sich nicht in die frische Luft wagt, sich Bewegung verschafft, sich um und um dreht und gelegentlich auch einmal auf dem Kopfe steht.«

      An Huxley, diesem Athleten des Geistes und durch und durch rechtschaffenen Mann, haben die Bischöfe im Oberhaus viel verloren, versicherte er mir. Jedermann würde sein Wort vor dem so manchen Bischofs gelten lassen. Aus der Tatsache, daß Wissenschaft und Religion zwei Seiten der Medaille der Wahrheit seien, folge keineswegs, daß sie in Gegensatz zueinander stünden, und unbewußt ein Christ zu sein, bedeute vielleicht die Quintessenz des wahren Christentums.

      »Wer da meint, er stehe«, zitierte mein Onkel, »sei auf der Hut, daß er nicht falle.«

      Alle Menschen meinten im Grunde dasselbe, und jeder sei im innersten Herzen gut. Manchmal aber vergäßen sich die Leute. Oder verstünden nicht recht, wie die Schwierigkeiten des Daseins zu erklären seien. Wenn der Ursprung des Bösen meinem Onkel nicht viel Kopfzerbrechen bereitete, so brachte ihn die sittliche Lässigkeit seiner Mitmenschen doch mitunter aus der Fassung, glaube ich. Er pflegte beim Frühstück mit seiner Frau, Miss Duffield und mir Zeitungsnachrichten zu besprechen, und unterhielt sich mit den Tischgästen, die wir häufig hatten, über Verbrechen, über das unbegreifliche Verhalten kläglich gottloser Individuen, Mörder, Betrüger und dergleichen.

      »Ach, ach«, pflegte er beim Frühstück auszurufen. »Das ist nun wirklich schimpflich.«

      »Was ist denn schon wieder geschehen?« fragte Tante Dorcas.

      »Was ich nicht begreifen kann, ist die gottlose Torheit solch eines Menschen«, meinte er.

      Miss Duffield lehnte sich in Bewunderung auf ihrem Stuhl zurück und wartete, die Tante jedoch frühstückte weiter.

      »Muß da dieser arme, alberne, wirrköpfige Kerl seine Frau vergiften. Versichert sie auf eine ansehnliche Summe – wodurch man auf die ganze Sache aufmerksam wurde – und gibt ihr dann Gift. Noch dazu sind drei nette kleine Kinder da. Als bei der Gerichtsverhandlung davon die Rede ist, wie sehr die Frau litt und daß sie ihr Schicksal beklagte, bricht der arme Teufel in Tränen aus. Der bedauernswerte Narr! Blödheit! Er steckte sein Lebtag in Geldsorgen … Ein Jammer!«

      »Die Frau aber hat sterben müssen«, meinte Tante Dorcas.

      »Wenn einer in solche Not gerät, verliert er jeden Sinn für das wahre Wertverhältnis. Ich habe das als Richter so oft mit eigenen Augen angesehen. Keinerlei Zuversicht mehr, kein Lebensmut und schließlich ein moralischer Zusammenbruch. Höchstwahrscheinlich wollte er ursprünglich nur zu Geld kommen, weil er es nicht ertragen konnte, seine Frau darben zu sehen. Und dann wurde das Verlangen nach Geld übermächtig in ihm. Er mußte sich um jeden Preis Geld verschaffen und vergaß darüber seine Frau und Kinder.«

      Miss Duffield nickte zum Zeichen des Verständnisses und der Erbauung heftig mit dem Kopfe, Tante Dorcas aber schien noch nicht überzeugt.

      »Was aber willst du mit dem Mann anfangen, mein Lieber?« meinte sie. »Man kann ihn doch nicht freisprechen, damit er hingeht und jemanden anderen vergiftet.«

      »Du kannst ja nicht wissen, ob er das tun würde«, erwiderte mein Onkel.

      »Christus würde ihm verziehen haben«, sagte Miss Duffield leise – die Stimme versagte ihr fast.

      »Er müßte wohl gehängt werden«, meinte der Onkel, der sich intensiv mit der Frage meiner Tante auseinandersetzte. »Ja, er muß gehängt werden. (Dieser Bückling ist ausgezeichnet. Ich glaube, das sind die besten Bücklinge, die wir seit langem gehabt haben.)«

      Er betrachtete die Sache von allen Seiten. »Ich würde ihm wohl seine Sünde verzeihen, nicht aber die Strafe erlassen. Nein. Um der Schwachen willen, die so leicht der Versuchung erliegen, muß er gehängt werden, ich gebe es zu. Ja. Er muß gehängt werden.« Er seufzte tief. »Jedoch im Geiste der Zivilisation. Verstehst du, es sollte jemand zu ihm gehen und ihm klar machen, daß es eine Strafe ohne Gehässigkeit ist, daß wir erkennen, welch arme, sündige, der Versuchung ausgesetzte Wesen wir alle sind, kein bißchen besser als er, kein bißchen, Sünder


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