Boden, Kirschbaum, Bretter, Schreibtisch. C.-A. Rebaf

Boden, Kirschbaum, Bretter, Schreibtisch - C.-A. Rebaf


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den Paul nicht nur ideologisch der Fortschritt der Zeit ein: Die Elektrizität hatte es ihm angetan und er war der erste im ganzen Viertel, der mit einem Dioden-Empfänger, einer Drahtantenne und einem Kopfhörer in die Welt des Radios horchte. Er genoss die Bewunderung derer, denen er das Knacken und Rauschen vorführte.

      Sein kleiner Stiefbruder Reinhard liebäugelte mit einer anderen Technologie und wurde von der HJ1 mit dem Traum zum Fliegen verführt. Der Vater, Wilhelm, trat zum ersten Male massiv gegen ihn auf und verbat ihm jeglichen Kontakt mit seinen politischen Gegnern. Wie gerne wäre der Sohn mit in die Zeltlager auf die Wasserkuppe gefahren und in einem Gleiter geflogen. Statt dessen begnügte er sich mit dem kleinen Uhu, den er zu Hause auf dem Dachboden sorgfältig nach einem gekauften Bauplan erschuf und auf den 'Nächstenbacher Hochalmen', der ersten Erhebung aus der Rheinebene dem Odenwald zu, in den blauen Herbsthimmel mit einem aus alten Einmachgummis zusammengeknoteten Seil aufsteigen ließ.

      Das Flugmodell drehte seine Runden und sah das übliche Bild in der Nordstadt: Die auf den Namen 'Adolf-Hitler' umbenannte Steinstraße bereitete sich gerade wieder auf einen neuerlichen Aufmarsch der braunen Bataillone vor. Überall hingen Girlanden und rote Hakenkreuzfahnen. Nur eine enge ansteigende Gasse, die wie eine Hofeinfahrt zwischen zwei Anwesen von der Straße abzweigte, nahm sich aus. An der Einmündung stand eine große Tanne zum Ausdruck des passiven Widerstands einiger Aufrechten!

      So wundert es nicht, dass wir den Namen des Widerständlers und den seiner inzwischen sehr frommen Frau Eva auf der Transportliste ins KZ finden, die im Rathaus sehr viel später nach der braunen Götterdämmerung gefunden wurde. Gott sei Dank war die Liste lange, Gott sei Dank liegt die Kurpfalz weit im Westen und Gott sei Dank kamen die Amerikaner aus dieser Himmelsrichtung dorthin schneller, als die Nazis diese Liste abarbeiten konnten. Dieser Listenplatz machte das Weiterleben dann sehr einfach für Eva und Wilhelm, als ein Neuanfang gestartet wurde.

      Wer konnte ahnen, dass Wilhelm alsbald als einer der beiden Großväter in Geschichten von Kirschbäumen und komplexen Boden-Besitzverhältnissen stadtnaher Grundstücke eingehen sollte?

      Reinhards Kriegstagebuch Teil 1

       Vom Hof hinter Reinhards neuem Haus sieht man durch das Grün der Gärten die alte Scheune herüber scheinen. Sie gehört zum Anwesen seiner Eltern. Inzwischen ist ihr Giebel krumm, sie kommt jetzt in die Jahre. Er hat die Scheune so wie sie jetzt da steht, von August 1947 bis Frühjahr 1948 erweitert. Im Sommer vor mehr als 50 Jahren kam er zurück vom Ural aus russischer Gefangenschaft. Wie viele seiner Leidensgenossen hatte er sich mit Makhorka, dem schlechten russischen Tabak, dystroph gemacht und seine Malaria, die er von einer Mücke aus dem rumänischen Donaudelta über-tragen bekam, tat auch einiges zu seiner frühzeitigen Entlassung schon nach drei Jahren. War er doch erst 25 Jahre in der Blüte seines Lebens.

       Er wollte sich sogleich nützlich machen daheim und er beschloss deshalb mit seinem Vater die alte kleine Scheune zu erweitern. Es war ein konkretes Nahziel, denn seine weiteren Lebenspläne waren durch die Kriegswirren zunächst unklar. Er musste sich doch erst einmal darüber bewusst werden, dass er es überhaupt überlebt hatte, wenn ihm auch die schönsten sieben Jahre seines Lebens geraubt wurden. Außerdem war das Leben 1947 im Sommer auch verändert im Vergleich zu 1940, als er in den Krieg ziehen musste. Er brauchte Zeit, sich zu Recht zu finden. Ein Fünfundzwanzigjähriger mit der Lebenserfahrung eines Fünfzig-jährigen. Das hatte er in allen den Wirren eingesogen wie ein Schwamm: Lebenserfahrung, Überlebensstrategien, Lebensweisheit, viel mehr als vergleichbare junge Menschen in friedlichen Zeiten. Er, Reinhard der Kriegstourist, im Krieg römisch zwei, wie Erwin1 sich ausdrückte. Von Mainz über Prag und zu den südrussischen Weiten. Dann Stalingrad und - nach einer Verwundung - rechtzeitig heraus, vor dem Untergang dort. Nach seiner Genesung als 'Stalingrad-Kämpfer' Aufstieg zum Unteroffizier und ab an das Schwarze Meer: Von Constanza bis Sewastopol und Charkow. Dann geschahen wilde Geschichten bis er in die russische Gefangenschaft 1944 kam.

       Zuhause überlebten seine Eltern mit seinem Halbbruder, einer der drei Sorten Kinder und dessen Frau auf einem kleinen Bauernhof. Das Heu und das Stroh für die Kuh und die Ziegen des Kleinbauernhofes lagerten in der alten kleinen Scheune. Die Lagerkapazität reichte allerdings nicht aus und aus diesem Platzmangel heraus wurde ein zweites Hauptlager im Anwesen der Großmutter in der Bischofsgasse, etwa 500 m entfernt genutzt. Reinhard war es Leid immer mit dem Kuhfuhrwerk den Wochenvorrat aus dem großmütterlichen Großlager zu holen. Die Großmutter bestand in ihrem hohen Alter auch immer darauf, dass er den Hof säuberlich von den Halmen befreite, die natürlich immer aus dem Strohballen auf die Erde fielen. Das war ihm in seinen jungen Jahren lästig. Er, der er sieben Jahre Krieg und Gefangenschaft überlebt hatte, musste sich dem lächerlichen Willen der Großmutter beugen. Sein Vater und er beschlossen deshalb, sich vom 'Schütz', dem Waldhüter, einige Tannen auf dem Hirschkopf anweisen zulassen, die sowieso wegen Borkenkäferbefall hätten gefällt werden müssen. Aus den Stämmen schlug Reinhard mit dem Stiefelbeil Balken, die ein Sägewerk nicht besser hätten schneiden können. Die Giebelmauern der Scheune wurden vom ‚Vadder‘, dem gelernten Maurer, hoch gemauert und verlängert. Im März 1948 war die erweiterte Scheune fertig und das großmütterliche Großlager wurde geschlossen. Er brauchte diese Beschäftigung, da er immer ein fleißiger Mensch war, der nur durch Arbeit zu sich selbst fand.

       So wie damals in Nishnij Tagil in einem Gefangenenlager, wo er seit Sommer 1944 mit seinen 22 Jahren noch sehr jung, interniert war. Er arbeitete in einer Panzerfabrik. T34-Panzer – also 34 Tonner - wurden dort produziert. 36 Stück jeden Tag. Die gesamte Produktion war auf diese magische Zahl, der „Norm“, abgestimmt. Neben diesem leichten Panzer gab es noch den T54, der wurde woanders gebaut und wog folglich 54 Tonnen.

       Reinhard hatte keinen vollständigen Überblick über den gesamten Produktionsablauf - auch nicht nach drei Jahren. Die Russen wollten auch keine Informationen an den Gegner liefern. Er arbeitete als gelernter Dreher an einer Drehbank und stellte Panzerräder aus den stahl gegossenen Rohlingen her. Innen musste das Kugellager für die Achse heraus gearbeitet werden. Außen die Laufauflagen geglättet werden, damit die Antriebsketten reibungslos über die Räder glitten. Später war er im Werkzeugbau, das war ein Aufstieg, nicht mehr die stupide Arbeit mit den Tausenden von Rädern drehen Tag aus Tag ein. Genau 12 Räder wurden für einen T34 benötigt, also 12 x 36 pro Tag war die Norm! Ausschuss nicht mit gerechnet. Ausschuss und anderer Abfall wurde gesammelt, mit einer Lore in die Ebene gefahren und in die Landschaft gekippt. Das Wort 'Recycling' gab es im Russischen nicht. Es war von allem – vor allem Rohstoffen - immer ausreichend vorhanden. Das wurde auch mit nicht funktionsfähigen Panzern so gemacht. Einfach in die Landschaft. Anschließend füllten die Kriegsgefangenen das Terrain mit Erde auf und die Schienen wurden auf das neue höhere Niveau gelegt. Dann verklappte man weiter: Dreh-späne, Ausschuss. Die Norm musste erfüllt werden!

      Das gesamte Werk wurde während des deutschen Vormarsches von den Russen aus Charkow an den Ural verlegt. Eine unvorstellbare Leistung. Am Ural wurden in den Wäldern Bäume gefällt und die Drehbänke, Stanzen und alle anderen Maschinen unter freien Himmel aufgestellt und hauptsächlich von russischen Frauen in Betrieb genommen. Später wurden Dächer und Hallen um die Maschinen gebaut.

       Die Maschinentypen waren Reinhard alle bekannt und ausschließlich aus Deutschland: Müller Pressen aus Weingarten, Drehbänke aus Karlsruhe. Die Russen hatten diese vor dem Kriege im Rahmen des Berliner Abkommens 1926 aus Deutschland bezogen. Ursprünglich wurden damit Lokomotiven hergestellt. Reinhard hatte genau auf solchen Maschinen das Drehhandwerk in der 'Badenia'1 gelernt. Was für ein Wiedersehen! Jetzt stellten deutsche Gefangene an deutschen Maschinen Panzer gegen Nazi-Deutsche in den Wäldern am Ural in Fabrikhallen her, wo keine Betonböden waren und die Baumstümpfe noch im Werkshallenboden staken und man aufpassen musste, dass man nicht darüber stolperte.

       Die T34 wurden dann gegen deutsche Soldaten eingesetzt aber nicht nur. Bei Haruki Murakami2 habe ich gelernt, dass auch Japanischen Soldaten Hände von den Panzerketten des T34 abgetrennt wurden.

       Reinhard fürchtete diese Panzer, als er sie noch als Soldat beim Vormarsch im Südabschnitt auf dem Gefechtsfeld kennenlernte. Wenn der Fieseler Storch, die deutschen Aufklärer, die violetten Rauchzeichen abwarfen und die russischen


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