Erziehungskunst I. Rudolf Steiner

Erziehungskunst I - Rudolf Steiner


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heraus, diese Begriffe sind eigentlich heute mehr oder weniger inhaltleer, sind zur Phrase geworden. Wer heute irgendeine Psychologie oder auch nur irgend etwas in die Hand nimmt, das mit Psychologiebegriffen zu tun hat, der wird finden, dass ein wirklicher Inhalt heute in solchen Schriftwerken nicht mehr drinnen ist. Man hat das Gefühl, dass die Psychologen nur mit Begriffen spielen. Wer entwickelt heute zum Beispiel einen richtigen deutlichen Begriff von dem, was Vorstellung, was Wille ist? Sie können heute Definition nach Definition aus Psychologien und Pädagogiken nehmen über Vorstellung, über Wille: eine eigentliche Vorstellung über die Vorstellung, eine eigentliche Vorstellung vom Willen werden Ihnen diese Definitionen nicht geben können. Man hat eben vollständig versäumt – natürlich aus einer äußeren geschichtlichen Notwendigkeit heraus, den einzelnen Menschen anzuschließen auch seelisch an das ganze Weltenall. Man war nicht imstande zu begreifen, wie das Seelische des Menschen in Zusammenhang steht mit dem ganzen Weltenall. Erst dann, wenn man den Zusammenhang des einzelnen Menschen mit dem ganzen Weltenall ins Auge fassen kann, ergibt sich ja eine Idee von der Wesenheit Mensch als solcher. Sehen wir einmal auf das, was man gewöhnlich die Vorstellung nennt. Wir müssen ja Vorstellen, Fühlen und Wollen bei den Kindern entwickeln. Also wir müssen zunächst für uns einen deutlichen Begriff gewinnen von dem, was Vorstellung ist. Wer wirklich unbefangen das anschaut, was als Vorstellung im Menschen lebt, dem wird wohl sogleich der Bildcharakter der Vorstellung auffallen: Vorstellung hat einen Bildcharakter. Und wer einen Seins-Charakter in der Vorstellung sucht, wer eine wirkliche Existenz in der Vorstellung sucht, der gibt sich einer großen Illusion hin. Was sollte für uns aber auch Vorstellung sein, wenn sie ein Sein wäre? Wir haben zweifellos auch SeinsElemente in uns. Nehmen Sie nur unsere leiblichen SeinsElemente, nehmen Sie nur das, was ich jetzt sage, ganz grob: zum Beispiel Ihre Augen, die Seins-Elemente sind, Ihre Nase, die ein Seins-Element ist, oder auch Ihren Magen, der ein SeinsElement ist. Sie werden sich sagen, in diesen Seins-Elementen leben Sie zwar, aber Sie können mit ihnen nicht vorstellen. Sie fließen mit Ihrem eigenen Wesen in die Seins-Elemente aus, Sie identifizieren sich mit den Seins-Elementen. Gerade das ergibt die Möglichkeit, dass wir mit den Vorstellungen etwas ergreifen, etwas erfassen können, dass sie Bildcharakter haben, dass sie nicht so mit uns zusammenfließen, dass wir in ihnen sind. Sie sind also eigentlich nicht, sie sind bloße Bilder. Es ist der große Fehler gerade im Ausgang der letzten Entwicklungsepoche der Menschheit in den letzten Jahrhunderten gemacht worden, das Sein mit dem Denken als solchem zu identifizieren. »Cogito, ergo sum« ist der größte Irrtum, der an die Spitze der neueren Weltanschauung gestellt worden ist; denn in dem ganzen Umfange des »cogito« liegt nicht das »sum«, sondern das »non sum«. Das heißt, soweit meine Erkenntnis reicht, bin ich nicht, sondern ist nur Bild. Nun müssen Sie, wenn Sie den Bildcharakter des Vorstellens ins Auge fassen, ihn vor allem qualitativ ins Auge fassen. Sie müssen auf die Beweglichkeit des Vorstellens sehen, müssen sich gewissermaßen einen nicht ganz zutreffenden Begriff vom Tätigsein machen, was ja anklingen würde an das Sein. Aber wir müssen uns vorstellen, dass wir auch im gedanklichen Tätigsein nur eine bildhafte Tätigkeit haben. Also alles, was auch nur Bewegung ist im Vorstellen, ist Bewegung von Bildern. Aber Bilder müssen Bilder von etwas sein, können nicht Bilder bloß an sich sein. Wenn Sie reflektieren auf den Vergleich mit den Spiegelbildern, so können Sie sich sagen: Aus dem Spiegel heraus erscheinen zwar die Spiegelbilder, aber alles, was in den Spiegelbildern liegt, ist nicht hinter dem Spiegel, sondern ganz unabhängig von ihm irgend woanders vorhanden, und es ist für den Spiegel ziemlich gleichgültig, was sich in ihm spiegelt; es kann sich alles mögliche in ihm spiegeln. – Wenn wir genau in diesem Sinne von der vorstellenden Tätigkeit wissen, dass sie bildhaft ist, so handelt es sich darum, zu fragen: Wovon ist das Vorstellen Bild? Darüber gibt natürlich keine äußere Wissenschaft Auskunft; darüber kann nur anthroposophisch orientierte Wissenschaft Auskunft geben. Vorstellen ist Bild von all den Erlebnissen, die vorgeburtlich beziehungsweise vor der Empfängnis von uns erlebt sind. Sie kommen nicht anders zu einem wirklichen Begreifen des Vorstellens, als wenn Sie sich darüber klar sind, dass Sie ein Leben vor der Geburt, vor der Empfängnis durchlebt haben. Und so wie die gewöhnlichen Spiegelbilder räumlich als Spiegelbilder entstehen, so spiegelt sich Ihr Leben zwischen Tod und neuer Geburt in dem jetzigen Leben drinnen, und diese Spiegelung ist das Vorstellen. Also Sie müssen sich geradezu vorstellen – wenn Sie es sich bildhaft vorstellen, Ihren Lebensgang verlaufend zwischen den beiden horizontalen Linien, begrenzt rechts und links durch Geburt und Tod. Sie müssen sich dann weiter vorstellen, dass fortwährend von jenseits der Geburt das Vorstellen hereinspielt und durch die menschliche Wesenheit selber zurückgeworfen wird. Und auf diese Weise, indem die Tätigkeit, die Sie vor der Geburt beziehungsweise der Empfängnis ausgeführt haben in der geistigen Welt, zurückgeworfen wird durch Ihre Leiblichkeit, dadurch erfahren Sie das Vorstellen. Für wirklich Erkennende ist einfach das Vorstellen selbst ein Beweis des vorgeburtlichen Daseins, weil es Bild dieses vorgeburtlichen Daseins ist. Ich wollte dies zunächst als Idee hinstellen – wir kommen auf die eigentlichen Erläuterungen der Dinge noch zurück – um Sie darauf aufmerksam zu machen, dass wir auf diese Weise aus den bloßen Worterklärungen, die Sie in den Psychologien und Pädagogiken finden, herauskommen und dass wir zu einem wirklichen Ergreifen dessen, was vorstellende Tätigkeit ist, kommen, indem wir wissen lernen, dass wir im Vorstellen die Tätigkeit gespiegelt haben, die vor der Geburt oder Empfängnis von der Seele in der rein geistigen Welt ausgeübt worden ist. Alles übrige Definieren des Vorstellens nützt gar nichts, weil man keine wirkliche Idee von dem bekommt, was das Vorstellen in uns ist. Nun wollen wir uns in derselben Art nach dem Willen fragen. Der Wille ist eigentlich für das gewöhnliche Bewusstsein etwas außerordentlich Rätselhaftes; er ist eine Crux der Psychologen, einfach aus dem Grunde, weil dem Psychologen der Wille entgegentritt als etwas sehr Reales, aber im Grunde genommen doch keinen rechten Inhalt hat. Denn wenn Sie bei den Psychologen nachsehen, welchen Inhalt sie dem Willen verleihen, dann werden Sie immer finden: solcher Inhalt rührt vom Vorstellen her. Für sich selber hat der Wille zunächst einen eigentlichen Inhalt nicht. Nun ist es wiederum so, dass keine Definitionen da sind für den Willen; diese Definitionen sind beim Willen umso schwieriger, weil er keinen rechten Inhalt hat. Was ist er aber eigentlich? Er ist nichts anderes, als schon der Keim in uns für das, was nach dem Tode in uns geistig-seelische Realität sein wird. Also wenn Sie sich vorstellen, was nach dem Tode geistig-seelische Realität von uns wird, und wenn Sie es sich keimhaft in uns vorstellen, dann bekommen Sie den Willen. In unserer Zeichnung endet der Lebenslauf auf der Seite des Todes, und der Wille geht darüber hinaus. Wir haben uns also vorzustellen: Vorstellung auf der einen Seite, die wir als Bild aufzufassen haben vom vorgeburtlichen Leben; Willen auf der anderen Seite, den wir als Keim aufzufassen haben für späteres. Ich bitte, den Unterschied zwischen Keim und Bild recht ins Auge zu fassen. Denn ein Keim ist etwas Überreales, ein Bild ist etwas Unterreales; ein Keim wird später erst zu einem Realen, trägt also der Anlage nach das spätere Reale in sich, so dass der Wille in der Tat sehr geistiger Natur ist. Das hat Schopenhauer geahnt; aber er konnte natürlich nicht bis zu der Erkenntnis vordringen, dass der Wille der Keim des Geistig-Seelischen ist, wie dieses Geistig-Seelische sich nach dem Tode in der geistigen Welt entfaltet. Nun haben Sie in einer gewissen Weise das menschliche Seelenleben in zwei Gebiete zerteilt: in das bildhafte Vorstellen und in den keimhaften Willen; und zwischen Bild und Keim liegt eine Grenze. Diese Grenze ist das ganze Ausleben des physischen Menschen selbst, der das Vorgeburtliche zurückwirft, dadurch die Bilder der Vorstellung erzeugt, und der den Willen nicht sieh ausleben lässt und dadurch ihn fortwährend als Keim erhält, bloß Keim sein lässt. Durch welche Kräfte, so müssen wir fragen, geschieht denn das eigentlich? Wir müssen uns klar sein, dass im Menschen gewisse Kräfte vorhanden sein müssen, durch welche die Zurückwerfung der vorgeburtlichen Realität und das Im-Keime-Behalten der nachtodlichen Realität bewirkt wird; und hier kommen wir auf die wichtigsten psychologischen Begriffe von den Tatsachen, die Spiegelung desjenigen sind, was Sie aus dem Buche »Theosophie« schon kennen: Spiegelungen von Antipathie und Sympathie. Wir werden – und jetzt knüpfen wir an das im ersten Vortrage Gesagte an –, weil wir nicht mehr in der geistigen Welt bleiben können, herunterversetzt in die physische Welt. Wir entwickeln, indem wir in diese herunterversetzt werden, gegen alles, was geistig ist, Antipathie, so dass wir die geistige vorgeburtliche Realität zurückstrahlen in einer uns unbewussten Antipathie. Wir tragen die Kraft der Antipathie in uns und verwandeln durch sie das vorgeburtliche Element in ein bloßes Vorstellungsbild. Und mit demjenigen, was als Willensrealität nach dem Tode hinausstrahlt zu unserem Dasein, verbinden wir uns in Sympathie.
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