Magellan. Stefan Zweig
nur handelsmäßig monopolisieren kann und am allerwenigsten für ewige Zeiten gegen die Eifersucht der andern Nationen verteidigen. Ein einziger Öltropfen kann nicht ein aufgeregtes Meer glätten, ein stecknadelgroßes Land nicht hunderttausendfach größere Länder endgültig unterwerfen. Von der Vernunft aus gesehen, stellt also die schrankenlose Expansion Portugals eine Absurdität dar, eine Don Quichotterie gefährlichster Art. Aber immer ist ja das Heldische irrational und antirational, immer, wo ein Mensch oder ein Volk sich an eine Aufgabe wagt, die sein eigentliches Maß übersteigt, steigern sich auch seine Kräfte zu nie geahnter Stärke: nie vielleicht hat sich eine Nation großartiger in einen einzigen sieghaften Augenblick zusammengefaßt als Portugal um die Wende des fünfzehnten Jahrhunderts: nicht nur seinen Alexander, seine Argonauten schafft sich das Land plötzlich in Albuquerque, Vasco da Gama und Magellan, sondern auch in Camoens seinen Homer, in Barros seinen Livius. Gelehrte, Baumeister, große Kaufleute sind über Nacht zur Stelle: wie Griechenland unter Perikles, England unter Elisabeth, Frankreich unter Napoleon, verwirklicht in universaler Form ein Volk seine innerste Idee und stellt sie als sichtbare Tat vor die Welt. Eine unvergeßliche Weltstunde lang ist Portugal die erste Nation Europas, die Führerin der Menschheit gewesen.
Aber jede große Tat eines einzelnen Volks ist immer für alle Völker getan. Alle spüren sie, daß dieser eine erste Einbruch ins Unbekannte zugleich alle bisher gültigen Maße, Begriffe, Distanzgefühle umgestoßen hat, und mit pochender Ungeduld verfolgt man darum an allen Höfen, an allen Universitäten die neuesten Nachrichten aus Lissabon. Dank einer merkwürdigen Hellsichtigkeit begreift Europa das Schöpferische dieser welterweiternden portugiesischen Tat; es begreift, daß Seefahrt und Entdeckung bald entscheidender die Welt verändern werden als alle Kriege und Kartaunen, daß eine hundertjährige, eine tausendjährige Epoche, das Mittelalter, endgültig zu Ende ist und eine neue Zeit, die »Neuzeit«, beginnt, die in andern räumlichen Dimensionen denken und schaffen wird. Feierlich erhebt im Vollgefühl solchen historischen Augenblicks der Florentiner Humanist Politian als Sachwalter der friedlichen Vernunft die Stimme zum Ruhme Portugals, und der Dank des ganzen kultivierten Europa schwingt mit in seinen begeisterten Worten: »Nicht nur die Säulen des Herkules hat es hinter sich gelassen und einen wütigen Ozean bezähmt, sondern die bislang unterbundene Einheit der bewohnbaren Welt wiederhergestellt. Was für neue Möglichkeiten und wirtschaftliche Vorteile, welche Erhöhung des Wissens, welche Bestätigungen der alten Wissenschaft, die bisher als unglaubhaft verworfen wurden, dürfen wir noch erwarten! Neue Länder, neue Meere, neue Welten (alii mundi) sind aus jahrhundertelangem Dunkel aufgetaucht. Portugal ist heute der Hüter, der Wächter einer zweiten Welt.«
Ein verblüffender Zwischenfall unterbricht diesen grandiosen Vorstoß Portugals nach dem Osten. Schon scheint die »zweite Welt« erreicht, schon scheinen Krone und alle Schätze Indiens dem König João gesichert, denn nach der Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung kann Portugal niemand mehr zuvorkommen, und niemand unter den Mächten Europas darf sogar auf diesem langgesicherten Wege ihm noch nachfolgen. Denn bereits Enrique der Seefahrer hatte sich vorsichtigerweise vom Papst verbriefen lassen, daß alle Länder, Meere und Inseln, welche hinter dem Vorgebirge Bojador entdeckt würden, einzig und allein den Portugiesen zugehören sollten, und drei andere Päpste hatten diese sonderbare »Schenkung« bekräftigt, welche mit einem Griff und Federstrich den ganzen noch unbekannten Orient mit Millionen Einwohnern dem Hause Viseu als rechtmäßiges Krongut Übermacht. Portugal und Portugal allein sind also alle neuen Welten zugeschworen. Mit solchen unantastbaren Sicherheiten in Händen hat man im allgemeinen für unsichere Geschäfte nicht viel Neigung, und deswegen war es keineswegs so einfältig und wunderlich, wie es meist die Geschichtsschreiber a posteriori darstellen, wenn der beatus possidens, wenn König João II. dem etwas konfusen Projekt eines unbekannten Genuesen wenig Interesse entgegenbrachte, der emphatisch eine ganze Flotte forderte, »para buscar el levante por el ponente«, um Indien von Westen her zu erreichen. Man hört zwar Messer Christoforo Colombo im Schloß von Lissabon freundlich an, man sagt ihm keineswegs ein grobes Nein. Aber man erinnert sich allzu gut, daß bisher alle Expeditionen nach den sagenhaften Inseln Antilha und Brazil, die westwärts zwischen Europa und Indien liegen sollen, kläglich gescheitert sind. Und überdies: wozu sichere portugiesische Dukaten wagen für einen höchst unsichern Weg nach Indien, da man doch nach jahrelanger Mühe eben den rechten gefunden hat und auf dem Tejo die Schiffswerften bereits Tag und Nacht an der großen Flotte arbeiten, die geradewegs um das Kap bis nach Indien fahren soll?
Wie ein Steinschlag durch das Fenster klirrt darum die brüske Nachricht in den Palast von Lissabon, jener großsprecherische genuesische Abenteurer habe unter spanischer Flagge den Oceano tenebroso wirklich durchsteuert und sei in knappen fünf Wochen auf Land im Westen gestoßen. Ein Wunder hat sich ereignet. Erfüllt ist über Nacht die mystische Prophezeiung aus Senecas »Medea«, die seit Jahren und Jahren schon die Gemüter der Weltfahrer erregte:
»venient annis
saecula seris, quibus Oceanus
vincula rerum laxet et ingens
pateat tellus, Typhisque novos
detegat orbes, nee sit terris
Ultima Thula.«
Wahrlich, sie scheinen gekommen, »die Tage, da nach Jahrhunderten der Ozean sein Geheimnis auftut und ein unbekanntes Land erscheint, da der argonautische Pilot neue Welten entdeckt und Thule nicht mehr das fernste Land unserer Erde ist«. Zwar Columbus, der neue »argonautische Pilot«, ahnt nicht, daß er einen neuen Weltteil entdeckt hat. Bis zu seinem Lebensende hat dieser hartnäckige Phantast sich unbelehrbar in den Wahn vermauert, er habe bereits das Festland Asiens erreicht und könne, von seinem »Hispaniola« westwärts steuernd, in wenigen Tagesreisen an der Mündung des Ganges landen. Gerade dies aber ist Portugals tödliche Angst. Denn was hilft Portugal der Papstbrief, der ihm für die Ostfahrt alle Länder zusagt, wenn Spanien ihm auf dem kürzeren Westwege gerade vor dem Endsprunge zuvorkommt und Indien in letzter Minute noch vorwegnimmt? Damit wäre die fünfzigjährige Lebensarbeit Enriques, die vierzigjährige Mühe seit seinem Tode sinnlos geworden, Indien für Portugal verloren durch den tollkühnen Abenteurerstreich des unseligen Genuesen. Will Portugal seinen Vorrang und sein Vorrecht auf Indien weiter behaupten, so bleibt ihm keine andere Wahl, als die Waffen zu ergreifen gegen den plötzlich eingedrungenen Rivalen.
Glücklicherweise beseitigt der Papst die drohende Gefahr. Portugal und Spanien sind die Lieblingskinder seines Herzens, weil die einzigen Nationen, deren Könige sich niemals störrisch seiner geistlichen Autorität widersetzten. Sie haben die Mauren bekämpft und die Ungläubigen vertrieben, mit Feuer und Schwert rotten sie jede Ketzerei aus in dem Lande, nirgends findet gegen Mauren, Maranen und Juden die päpstliche Inquisition so bereite Helferschaft. Nein, seine Lieblingskinder sollen sich nicht entzweien, beschließt der Papst, und darum geht er daran, alle noch unbekannten Sphären der Welt zwischen Spanien und Portugal einfach aufzuteilen, und zwar aufzuteilen, nicht wie man in unserer modernen diplomatischen Heuchelsprache sagt, als »Interessensphären«, sondern der Papst schenkt klar und redlich diesen beiden Völkern alle die Völkerschaften, Länder, Inseln und Meere kraft seiner Autorität als Statthalter Christi. Wie einen Apfel nimmt er die Erdkugel und teilt sie statt mit einem Messer durch die Bulle vom 4. Mai 1493 in zwei Hälften. Die Schnittlinie setzt ein hundert leguas (ein altes Meilenmaß) von den Kap Verde-Inseln. Was auf der Erdkugel fortan an unentdeckten Ländern westlich dieser Linie liegt, soll seinem lieben Kinde Spanien, was östlich liegt, seinem lieben Kinde Portugal gehören. Zunächst erklären sich die beiden Kinder dankbar einverstanden mit dem schönen Geschenk. Aber bald fühlt sich Portugal doch beunruhigt und ersucht, die Grenzlinie möge noch ein wenig nach Westen verschoben werden. Dies geschieht im Vertrage von Tordesillas am 7. Juni 1494, der die Grenzlinie um zweihundertsiebzig leguas weiter nach Westen legt (wodurch Portugal späterhin tatsächlich das damals noch gar nicht entdeckte Brasilien zufallen wird).
So grotesk auf den ersten Blick eine Generosität auch anmuten mag, welche beinahe die ganze Welt mit einem einzigen Federstrich an zwei einzelne Nationen ohne Rücksicht auf die andern verschenkt – man muß doch diese friedliche Lösung als einen der seltenen Vernunftakte der Geschichte bewundern, wo ein Konflikt statt durch Gewalt vermittels friedlicher Einigung ausgetragen wurde. Für Jahre und Jahrzehnte ist jeder Kolonialkrieg zwischen Spanien und Portugal durch den Tordesillas-Vertrag tatsächlich vermieden worden, obzwar