Also sprach Zarathustra. Friedrich Wilhelm Nietzsche

Also sprach Zarathustra - Friedrich Wilhelm Nietzsche


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erschrickst du deshalb? – Aber es ist mit dem Menschen wie mit dem Baume.

      Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, um so stärker streben seine Wurzeln erdwärts, abwärts, in's Dunkle, Tiefe, – in's Böse.«

      »Ja in's Böse! rief der Jüngling. Wie ist es möglich, dass du meine Seele entdecktest?«

      Zarathustra lächelte und sprach: »Manche Seele wird man nie entdecken, es sei denn, dass man sie zuerst erfindet.« »Ja in's Böse! rief der Jüngling nochmals.

      Du sagtest die Wahrheit, Zarathustra. Ich traue mir selber nicht mehr, seitdem ich in die Höhe will, und Niemand traut mir mehr, – wie geschieht dies doch?

      Ich verwandele mich zu schnell: mein Heute widerlegt mein Gestern. Ich überspringe oft die Stufen, wenn ich steige, – das verzeiht mir keine Stufe.

      Bin ich oben, so finde ich mich immer allein. Niemand redet mit mir, der Frost der Einsamkeit macht mich zittern. Was will ich doch in der Höhe?

      Meine Verachtung und meine Sehnsucht wachsen mit einander; je höher ich steige, um so mehr verachte ich Den, der steigt. Was will er doch in der Höhe?

      Wie schäme ich mich meines Steigens und Stolperns! Wie spotte ich meines heftigen Schnaubens! Wie hasse ich den Fliegenden! Wie müde bin ich in der Höhe!«

      Hier schwieg der Jüngling. Und Zarathustra betrachtete den Baum, an dem sie standen, und sprach also:

      Dieser Baum steht einsam hier am Gebirge; er wuchs hoch hinweg über Mensch und Tier.

      Und wenn er reden wollte, er würde Niemanden haben, der ihn verstünde: so hoch wuchs er.

      Nun wartet er und wartet, – worauf wartet er doch? Er wohnt dem Sitze der Wolken zu nahe: er wartet wohl auf den ersten Blitz?

      Als Zarathustra dies gesagt hatte, rief der Jüngling mit heftigen Gebärden: »Ja, Zarathustra, du sprichst die Wahrheit. Nach meinem Untergange verlangte ich, als ich in die Höhe wollte, und du bist der Blitz, auf den ich wartete! Siehe, was bin ich noch, seitdem du uns erschienen bist? Der Neid auf dich ist's, der mich zerstört hat!« – So sprach der Jüngling und weinte bitterlich. Zarathustra aber legte seinen Arm um ihn und führte ihn mit sich fort.

      Und als sie eine Weile mit einander gegangen waren, hob Zarathustra also an zu sprechen:

      Es zerreisst mir das Herz. Besser als deine Worte es sagen, sagt mir dein Auge alle deine Gefahr.

      Noch bist du nicht frei, du suchst noch nach Freiheit. Übernächtig machte dich dein Suchen und überwach.

      In die freie Höhe willst du, nach Sternen dürstet deine Seele. Aber auch deine schlimmen Triebe dürsten nach Freiheit.

      Deine wilden Hunde wollen in die Freiheit; sie bellen vor Lust in ihrem Keller, wenn dein Geist alle Gefängnisse zu lösen trachtet.

      Noch bist du mir ein Gefangener, der sich Freiheit ersinnt: ach, klug wird solchen Gefangenen die Seele, aber auch arglistig und schlecht.

      Reinigen muss sich noch der Befreite des Geistes. Viel Gefängnis und Moder ist noch in ihm zurück: rein muss noch sein Auge werden.

      Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg!

      Edel fühlst du dich noch, und edel fühlen dich auch die Andern noch, die dir gram sind und böse Blicke senden. Wisse, dass Allen ein Edler im Wege steht.

      Auch den Guten steht ein Edler im Wege: und selbst wenn sie ihn einen Guten nennen, so wollen sie ihn damit bei Seite bringen.

      Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend. Altes will der Gute, und dass Altes erhalten bleibe.

      Aber nicht das ist die Gefahr des Edlen, dass er ein Guter werde, sondern ein Frecher, ein Höhnender, ein Vernichter.

      Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre höchste Hoffnung. Und nun verleumdeten sie alle hohen Hoffnungen.

      Nun lebten sie frech in kurzen Lüsten, und über den Tag hin warfen sie kaum noch Ziele.

      »Geist ist auch Wollust« – so sagten sie. Da zerbrachen ihrem Geiste die Flügel: nun kriecht er herum und beschmutzt im Nagen.

      Einst dachten sie Helden zu werden: Lüstlinge sind es jetzt. Ein Gram und ein Grauen ist ihnen der Held.

      Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf den Helden in deiner Seele nicht weg! Halte heilig deine höchste Hoffnung! –

      Also sprach Zarathustra.

      Von den Predigern des Todes

      Es gibt Prediger des Todes: und die Erde ist voll von Solchen, denen Abkehr gepredigt werden muss vom Leben.

      Voll ist die Erde von Überflüssigen, verdorben ist das Leben durch die Viel-zu-Vielen. Möge man sich mit dem »ewigen Leben« aus diesem Leben weglocken!

      »Gelbe«: so nennt man die Prediger des Todes, oder »Schwarze«. Aber ich will sie euch noch in andern Farben zeigen.

      Da sind die Fürchterlichen, welche in sich das Raubtier herumtragen und keine Wahl haben, es sei denn Lüste oder Selbstzerfleischung. Und auch ihre Lüste sind noch Selbstzerfleischung.

      Sie sind noch nicht einmal Menschen geworden, diese Fürchterlichen: mögen sie Abkehr predigen vom Leben und selber dahinfahren!

      Da sind die Schwindsüchtigen der Seele: kaum sind sie geboren, so fangen sie schon an zu sterben und sehnen sich nach Lehren der Müdigkeit und Entsagung.

      Sie wollen gerne tot sein, und wir sollten ihren Willen gut heissen! Hüten wir uns, diese Toten zu erwecken und diese lebendigen Särge zu versehren!

      Ihnen begegnet ein Kranker oder ein Greis oder ein Leichnam; und gleich sagen sie »das Leben ist widerlegt!«

      Aber nur sie sind widerlegt und ihr Auge, welches nur das Eine Gesicht sieht am Dasein.

      Eingehüllt in dicke Schwermut und begierig auf die kleinen Zufälle, welche den Tod bringen: so warten sie und beissen die Zähne auf einander.

      Oder aber: sie greifen nach Zuckerwerk und spotten ihrer Kinderei dabei: sie hängen an ihrem Strohhalm Leben und spotten, dass sie noch an einem Strohhalm hängen.

      Ihre Weisheit lautet: »ein Thor, der leben bleibt, aber so sehr sind wir Toren! Und das eben ist das Törichtste am Leben!« –

      »Das Leben ist nur Leiden« – so sagen Andre und lügen nicht: so sorgt doch, dass ihr aufhört! So sorgt doch, dass das Leben aufhört, welches nur Leiden ist!

      Und also laute die Lehre eurer Tugend »du sollst dich selber töten! Du sollst dich selber davonstehlen!« –

      »Wollust ist Sünde, – so sagen die Einen, welche den Tod predigen – lasst uns bei Seite gehen und keine Kinder zeugen!«

      »Gebären ist mühsam, – sagen dich Andern – wozu noch gebären? Man gebiert nur Unglückliche!« Und auch sie sind Prediger des Todes.

      »Mitleid tut not – so sagen die Dritten. Nehmt hin, was ich habe! Nehmt hin, was ich bin! Um so weniger bindet mich das Leben!«

      Wären sie Mitleidige von Grund aus, so würden sie ihren Nächsten das Leben verleiden. Böse sein – das wäre ihre rechte Güte.

      Aber sie wollen loskommen vom Leben: was schiert es sie, dass sie Andre mit ihren Ketten und Geschenken noch fester binden! –

      Und auch ihr, denen das Leben wilde Arbeit und Unruhe ist: seid ihr nicht sehr müde des Lebens? Seid ihr nicht sehr reif für die Predigt des Todes?

      Ihr Alle, denen die wilde Arbeit lieb ist und das Schnelle, Neue, Fremde, – ihr ertragt euch schlecht, euer Fleiss ist Flucht und Wille, sich selber zu vergessen.

      Wenn ihr mehr an das Leben glaubtet, würdet ihr weniger


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