Joseph Fouché. Stefan Zweig

Joseph Fouché - Stefan Zweig


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Boten nach Lyon, um Chalier zu retten. Er mahnt, er fordert, er droht dem unbotmäßigen Magistrat. Aber nun erst recht entschlossen, den Pariser Terroristen endlich einmal die Zähne zu zeigen, weist der Gemeinderat von Lyon selbstherrlich jeden Einspruch zurück. Ungern haben sie sich seinerzeit die Guillotine, das Schreckensinstrument, schicken lassen und unbenutzt in einen Speicher gestellt: nun wollen sie den Anwälten des Schreckenssystems eine Lektion erteilen, indem sie das angeblich humane Werkzeug der Revolution erstmalig an einem Revolutionär erproben. Und gerade, weil die Maschine noch nicht erprobt ist, wird die Hinrichtung Chaliers durch die Ungeschicklichkeit des Henkers zu einer grausamen und niederträchtigen Folterung. Dreimal saust das stumpfe Beil nieder, ohne den Nackenwirbel des Verurteilten zu durchschlagen. Mit Grauen sieht das Volk den gefesselten blutüberströmten Leib seines Führers sich noch immer lebend unter dieser schandbaren Folter krümmen, bis schließlich der Henker mit einem mitleidigen Säbelhieb das Haupt des Unglücklichen vom Rumpfe trennt.

      Aber dieses gefolterte Haupt, dreimal vom Beil zerschmettert, wird bald für die Revolution ein Palladium der Rache und ein Medusenhaupt für seine Mörder sein.

      Der Konvent schrickt auf bei der Nachricht dieses Verbrechens; wie, eine einzelne französische Stadt wagt offen der Nationalversammlung Trotz zu bieten? Eine solche freche Herausforderung muß sofort in Blut erstickt werden. Aber auch die Lyoner Regierung weiß, was sie nun zu erwarten hat. Offen geht sie von der Auflehnung gegen die Nationalversammlung zur Rebellion über; sie hebt Truppen aus, setzt die Verteidigungswerke instand gegen Mitbürger, gegen Franzosen, und bietet offen der republikanischen Armee Trotz. Nun müssen die Waffen entscheiden zwischen Lyon und Paris, zwischen Reaktion und Revolution.

      Logisch genommen, scheint ein Bürgerkrieg in diesem Augenblick Selbstmord für die junge Republik. Denn niemals war ihre Situation gefährlicher, verzweifelter, aussichtsloser. Die Engländer haben Toulon eingenommen, die Flotte und das Arsenal geraubt, sie bedrohen Dünkirchen, indes gleichzeitig die Preußen und Österreicher am Rhein und in den Ardennen vorstoßen und die ganze Vendee in Flammen steht. Kampf und Aufruhr durchschüttelt die Republik von einer Grenze Frankreichs bis zur anderen. Aber diese Tage sind auch die wahrhaft heroischen des französischen Konvents. Aus einem unheimlichen, schicksalshaften Instinkt, Gefahr durch Herausforderung am besten zu bekämpfen, lehnen die Führer nach dem Tode Chaliers jeden Pakt mit seinen Henkern ab. »Potius mori quam foedari«, »lieber untergehen als paktieren«, lieber noch einen Krieg zu sieben Kriegen als einen Frieden, der auf Schwäche deutet. Und dieser unwiderstehliche Elan der Verzweiflung, diese illogische und berserkerische Leidenschaft hat ebenso wie die russische Revolution (gleichfalls im Westen, Osten, Norden und Süden von den Engländern und Söldnern der ganzen Welt, innen von den Legionen Wrangels, Denikins und Koltschaks gleichzeitig bedroht) im Augenblick der höchsten Gefahr die französische gerettet. Nichts hilft es, daß die erschreckte Bürgerschaft von Lyon sich nun offen den Royalisten in die Arme wirft und einem General des Königs ihre Truppen anvertraut, – aus den Bauernhöfen, aus den Vorstädten strömen proletarische Soldaten, und am 9. Oktober wird die aufrührerische zweite Hauptstadt Frankreichs von den republikanischen Truppen erstürmt. Dieser Tag ist der vielleicht stolzeste der Französischen Revolution. Als im Konvent der Vorsitzende sich feierlich von seinem Platz erhebt und die endgültige Kapitulation Lyons meldet, springen die Abgeordneten von ihren Sitzen auf, jauchzen und umarmen sich: für einen Augenblick scheint alle Zwietracht beendet. Die Republik ist gerettet, ein herrliches Beispiel dem ganzen Lande, der Welt gegeben von der unwiderstehlichen Gewalt, von der Zornkraft und Stoßkraft der republikanischen Volksarmee. Aber verhängnisvollerweise reißt das Stolzgefühl dieses Mutes die Sieger in einen Übermut, in ein tragisches Verlangen, diesen Triumph sofort in Terror zu verwandeln. Furchtbar wie der Elan zum Sieg soll nun die Rache gegen die Besiegten sein. »Es soll ein Beispiel gegeben werden, daß die Französische Republik, daß die junge Revolution am härtesten diejenigen straft, die sich gegen die Trikolore erhoben haben.« Und so schändet sich der Konvent, der Anwalt der Humanität vor der ganzen Welt, mit einem Dekret, für das Barbarossa mit seiner hunnischen Zerstörung von Mailand, für das die Kalifen die erste historische Folie gegeben haben. Am 12. Oktober entrollt der Präsident des Konvents jenes furchtbare Blatt, das nichts Minderes enthält als den Antrag auf Zerstörung der zweiten Hauptstadt Frankreichs. Dieses sehr wenig bekannte Dekret lautet wörtlich:

      »1. Der Nationalkonvent ernennt auf Vorschlag des Wohlfahrtsausschusses eine außerordentliche Kommission von fünf Mitgliedern, um ohne Verzug die Gegenrevolution von Lyon militärisch zu bestrafen.

      2. Alle Bewohner von Lyon sind zu entwaffnen und ihre Waffen den Verteidigern der Republik zu übergeben.

      3. Ein Teil davon wird den Patrioten übergeben, die von den Reichen und Konterrevolutionären unterdrückt wurden.

      4. Die Stadt Lyon wird zerstört. Alles, was von den vermögenden Leuten bewohnt war, ist zu vernichten; es dürfen nur übrig bleiben die Häuser der Armen, die Wohnungen der ermordeten oder proskribierten Patrioten, die industriellen Gebäude und die, die wohltätigen und erzieherischen Zwecken dienen.

      5. Der Name Lyon wird aus dem Verzeichnis der Städte der Republik ausgestrichen. Von nun an wird die Vereinigung der übrig gebliebenen Häuser den Namen Ville Affranchie tragen.

      6. Es wird auf den Ruinen von Lyon eine Säule errichtet, die der Nachwelt die Verbrechen und die Bestrafung der royalistischen Stadt verkündigt, mit der Inschrift: Lyon führte Krieg gegen die Freiheit – Lyon ist nicht mehr.« Niemand wagt gegen diesen wahnsinnigen Antrag, die zweitgrößte Stadt Frankreichs in einen Trümmerhaufen zu verwandeln, Einspruch zu erheben. Der Mut im französischen Konvent ist längst dahin, seit die Guillotine über den Häuptern aller derer gefährlich blinkt, die das Wort Gnade oder Mitleid auch nur zu flüstern versuchen. Eingeschüchtert vom eigenen Schrecken, billigt einstimmig der Konvent die Vandalentat, und Couthon, der Freund Robespierres, wird mit der Ausführung betraut.

      Couthon, der Vorgänger Fouchés, erkennt sofort das Wahnwitzige und Selbstmörderische, um einer Abschreckungsgeste willen die größte Industriestadt Frankreichs und gerade ihre Kunstdenkmäler mutwillig zu zerstören. Und vom ersten Augenblick ist er innerlich entschlossen, diesen Auftrag zu sabotieren. Aber dazu ist kluge Heuchelei notwendig. Darum verdeckt Couthon seine geheime Absicht, Lyon zu schonen, mit der hinhaltenden List, daß er zunächst das wahnwitzige Dekret der völligen Zerstörung überschwenglich lobt. »Bürgerkollegen,« ruft er aus, »die Lektüre eures Dekrets hat uns mit Bewunderung überwältigt. Ja, es tut not, daß diese Stadt zerstört werde und als großes Beispiel für alle andern diene, die wagen könnten, sich gegen das Vaterland zu erheben. Von allen den großen und kräftigen Maßregeln, die der Nationalkonvent bisher angeordnet, war uns bisher nur eine entgangen: nämlich diejenige der vollkommenen Zerstörung ... Aber seid ruhig, Bürgerkollegen, und versichert dem Nationalkonvent, seine Grundsätze sind die unsern, und seine Dekrete werden buchstäblich ausgeführt werden.« Jedoch der so mit hymnischen Worten seinen Auftrag begrüßt, denkt in Wirklichkeit gar nicht daran, ihn auszuführen, sondern begnügt sich nur mit theatralischen Maßnahmen. An beiden Beinen gelähmt durch frühzeitige Paralyse, aber geistig von unbeugsamer Entschlossenheit, läßt er sich in einer Sänfte auf den Marktplatz von Lyon tragen, bezeichnet mit dem Schlag eines silbernen Hammers symbolisch die Häuser, die der Niederreißung verfallen sind, und kündigt Tribunale furchtbarer Rache an. Damit sind die hitzigsten Gemüter beschwichtigt. In Wirklichkeit werden unter dem Vorwand des Mangels an Arbeitern nur ein paar Frauen und Kinder hingeschickt, die pro forma ein Dutzend lässige Spatenschläge gegen die Häuser tun, und nur einige wenige Hinrichtungen werden vorgenommen.

      Schon atmet die Stadt auf, von so unerwarteter Milde nach so fulminanten Ankündigungen wohltätig überrascht. Aber auch die Terroristen sind wachsam, sie erkennen nach und nach die milde Gesinnung Couthons, und so fordern sie den Konvent gewaltsam zur Gewaltsamkeit heraus. Der blutige, zerschmetterte Schädel Chaliers wird als Reliquie nach Paris gebracht, in feierlichem Pomp dem Konvent gezeigt und zur Aufreizung der Bevölkerung in Notre-Dame ausgestellt. Und immer ungeduldiger schleudern sie neue Anträge gegen den Kunktator Couthon: er sei zu lässig, zu träge, zu feige, kurzum nicht Mann genug, um solche exemplarische Rache zu üben. Ein wirklich rücksichtsloser, ein verläßlicher, ein wahrhafter Revolutionär sei vonnöten, der vor Blut nicht zurückschrecke und das Äußerste wage,


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