Jenseits von Gut und Böse: Zur Genealogie der Moral. Friedrich Nietzsche

Jenseits von Gut und Böse: Zur Genealogie der Moral - Friedrich Nietzsche


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unerbittlich. Endlich – giebt das Gedächtniss nach.

      69. Man hat schlecht dem Leben zugeschaut, wenn man nicht auch die Hand gesehn hat, die auf eine schonende Weise – tödtet.

      70. Hat man Charakter, so hat man auch sein typisches Erlebniss, das immer wiederkommt.

      71. Der Weise als Astronom. – So lange du noch die Sterne fühlst als ein »Über-dir«, fehlt dir noch der Blick des Erkennenden.

      72. Nicht die Stärke, sondern die Dauer der hohen Empfindung macht die hohen Menschen.

      73. Wer sein Ideal erreicht, kommt eben damit über dasselbe hinaus.

      73a. Mancher Pfau verdeckt vor Aller Augen seinen Pfauenschweif – und heisst es seinen Stolz.

      74. Ein Mensch mit Genie ist unausstehlich, wenn er nicht mindestens noch zweierlei dazu besitzt: Dankbarkeit und Reinlichkeit.

      75. Grad und Art der Geschlechtlichkeit eines Menschen reicht bis in den letzten Gipfel seines Geistes hinauf.

      76. Unter friedlichen Umständen fällt der kriegerische Mensch über sich selber her.

      77. Mit seinen Grundsätzen will man seine Gewohnheiten tyrannisiren oder rechtfertigen oder ehren oder beschimpfen oder verbergen: – zwei Menschen mit gleichen Grundsätzen wollen damit wahrscheinlich noch etwas Grund-Verschiedenes.

      78. Wer sich selbst verachtet, achtet sich doch immer noch dabei als Verächter.

      79. Eine Seele, die sich geliebt weiss, aber selbst nicht liebt, verräth ihren Bodensatz: – ihr Unterstes kommt herauf.

      80. Eine Sache, die sich aufklärt, hört auf, uns etwas anzugehn. – Was meinte jener Gott, welcher anrieth: »erkenne dich selbst«! Hiess es vielleicht: »höre auf, dich etwas anzugehn! werde objektiv!« – Und Sokrates? – Und der »wissenschaftliche Mensch«?

      81. Es ist furchtbar, im Meere vor Durst zu sterben. Müsst ihr denn gleich eure Wahrheit so salzen, dass sie nicht einmal mehr – den Durst löscht?

      82. »Mitleiden mit Allen« – wäre Härte und Tyrannei mit dir, mein Herr Nachbar!

      83. Der Instinkt. – Wenn das Haus brennt, vergisst man sogar das Mittagsessen. – Ja: aber man holt es auf der Asche nach.

      84. Das Weib lernt hassen, in dem Maasse, in dem es zu bezaubern – verlernt.

      85. Die gleichen Affekte sind bei Mann und Weib doch im Tempo verschieden: deshalb hören Mann und Weib nicht auf, sich misszuverstehn.

      86. Die Weiber selber haben im Hintergrunde aller persönlichen Eitelkeit immer noch ihre unpersönliche Verachtung – für das Weib«.

      87. Gebunden Herz, freier Geist. – Wenn man sein Herz hart bindet und gefangen legt, kann man seinem Geist viele Freiheiten geben: ich sagte das schon Ein Mal. Aber man glaubt mir's nicht, gesetzt, dass man's nicht schon weiss...

      88. Sehr klugen Personen fängt man an zu misstrauen, wenn sie verlegen werden.

      89. Fürchterliche Erlebnisse geben zu rathen, ob Der, welcher sie erlebt, nicht etwas Fürchterliches ist.

      90. Schwere, Schwermüthige Menschen werden gerade durch das, was Andre schwer macht, durch Hass und Liebe, leichter und kommen zeitweilig an ihre Oberfläche.

      91. So kalt, so eisig, dass man sich an ihm die Finger verbrennt! Jede Hand erschrickt, die ihn anfasst! – Und gerade darum halten Manche ihn für glühend.

      92. Wer hat nicht für seinen guten Ruf schon einmal – sich selbst geopfert?

      93. In der Leutseligkeit ist Nichts von Menschenhass, aber eben darum allzuviel von Menschenverachtung.

      94. Reife des Mannes: das heisst den Ernst wiedergefunden haben, den man als Kind hatte, beim Spiel.

      95. Sich seiner Unmoralität schämen: das ist eine Stufe auf der Treppe, an deren Ende man sich auch seiner Moralität schämt.

      96. Man soll vom Leben scheiden wie Odysseus von Nausikaa schied, – mehr segnend als verliebt.

      97. Wie? Ein grosser Mann? Ich sehe immer nur den Schauspieler seines eignen Ideals.

      98. Wenn man sein Gewissen dressirt, so küsst es uns zugleich, indem es beisst.

      99. Der Enttäuschte spricht. – »Ich horchte auf Widerhall, und ich hörte nur Lob –«

      100. Vor uns selbst stellen wir uns Alle einfältiger als wir sind: wir ruhen uns so von unsern Mitmenschen aus.

      101. Heute möchte sich ein Erkennender leicht als Thierwerdung Gottes fühlen.

      102. Gegenliebe entdecken sollte eigentlich den Liebenden über das geliebte Wesen ernüchtern. »Wie? es ist bescheiden genug, sogar dich zu lieben? Oder dumm genug? Oder – oder –«

      103. Die Gefahr im Glücke. – »Nun gereicht mir Alles zum Besten, nunmehr liebe ich jedes Schicksal: – wer hat Lust, mein Schicksal zu sein?«

      104. Nicht ihre Menschenliebe, sondern die Ohnmacht ihrer Menschenliebe hindert die Christen von heute, uns – zu verbrennen.

      105. Dem freien Geiste, dem »Frommen der Erkenntniss« – geht die pia fraus noch mehr wider den Geschmack (wider seine »Frömmigkeit«) als die impia fraus. Daher sein tiefer Unverstand gegen die Kirche, wie er zum Typus »freier Geist« gehört, – als seine Unfreiheit.

      106. Vermöge der Musik geniessen sich die Leidenschaften selbst.

      107. Wenn der Entschluss einmal gefasst ist, das Ohr auch für den besten Gegengrund zu schliessen: Zeichen des starken Charakters. Also ein gelegentlicher Wille zur Dummheit.

      108. Es giebt gar keine moralischen Phänomene, sondern nur eine moralische Ausdeutung von Phänomenen...

      109. Der Verbrecher ist häufig genug seiner That nicht gewachsen: er verkleinert und verleumdet sie.

      110. Die Advokaten eines Verbrechers sind selten Artisten genug, um das schöne Schreckliche der That zu Gunsten ihres Thäters zu wenden.

      111. Unsre Eitelkeit ist gerade dann am schwersten zu verletzen, wenn eben unser Stolz verletzt wurde.

      112. Wer sich zum Schauen und nicht zum Glauben vorherbestimmt fühlt, dem sind alle Gläubigen zu lärmend und zudringlich: er erwehrt sich ihrer.

      113. »Du willst ihn für dich einnehmen? So stelle dich vor ihm verlegen –«

      114. Die ungeheure Erwartung in Betreff der Geschlechtsliebe, und die Scham in dieser Erwartung, verdirbt den Frauen von vornherein alle Perspektiven.

      115. Wo nicht Liebe oder Hass mitspielt, spielt das Weib mittelmässig.

      116. Die grossen Epochen unsres Lebens liegen dort, wo wir den Muth gewinnen, unser Böses als unser Bestes umzutaufen.

      117. Der Wille, einen Affekt zu überwinden, ist zuletzt doch nur der Wille eines anderen oder mehrer anderer Affekte.

      118. Es giebt eine Unschuld der Bewunderung: Der hat sie, dem es noch nicht in den Sinn gekommen ist, auch er könne einmal bewundert werden.

      119. Der Ekel vor dem Schmutze kann so gross sein, dass er uns hindert, uns zu reinigen, – uns zu »rechtfertigen«.

      120. Die Sinnlichkeit übereilt oft das Wachsthum der Liebe, so dass die Wurzel schwach bleibt und leicht auszureissen ist.

      121. Es ist eine Feinheit, dass Gott griechisch lernte, als er Schriftsteller werden wollte – und dass er es nicht besser lernte.

      122. Sich über ein Lob freuen ist bei Manchem nur eine Höflichkeit des Herzens – und gerade das Gegenstück einer Eitelkeit des Geistes.

      123. Auch das Concubinat ist corrumpirt worden: – durch die Ehe.

      124. Wer auf dem Scheiterhaufen noch frohlockt, triumphirt nicht über den Schmerz, sondern darüber, keinen Schmerz zu fühlen, wo er ihn erwartete. Ein Gleichniss.

      125.


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