Jung & Alt. Ludwig Hasler

Jung & Alt - Ludwig Hasler


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Kuchen! – haben Frauen mehr Übung, sind besser trainiert im kreativen Handeln. Inzwischen mehrheitlich auch besser ausgebildet. Warum übernehmt ihr nicht einfach?

      Weißt du, was ich glaube? Ihr seid zu schlau, ihr hütet euch vor der Rolle als Oberhaupt. Ihr wisst, was blüht. Siehe Landesmuseum, aktuelle Schau: »Der erschöpfte Mann«.

       Ludwig

       Die Männerquote

       #10 Lieber Ludwig

      Hab ich’s mir gedacht mit dem Backen. Ich muss zwar zugeben, ich bin auch keine große Bäckerin. Backen macht Freude, sagt vielleicht Dr. Oetker. Backen macht hässig, sage ich. Damit bin ich wohl eher generationenuntypisch. Mein Insta-Feed ist jedenfalls voller Bananenbrot und Sauerteig.

      Aber nun zum eigentlichen Thema. Du glaubst, Frauen hätten mehr Fähigkeiten, die heute wichtig sind und seien mittlerweile oft besser ausgebildet.

      Kann ich alles bestätigen. Woher kommt es also, dass nicht sämtliche Unternehmen von Frauen geführt werden? Dass nur noch Frauen in den Verwaltungsräten sitzen? Dass es im Bundesrat überhaupt noch Männer gibt?

      Du stellst die Vermutung auf, wir seien zu schlau. Wir wollten die ganze Verantwortung gar nicht und würden uns vor der Rolle als Oberhaupt drücken. Chabis.

      Es ist vielmehr so, dass die echte Chancengleichheit noch immer weit weg ist. Dass in der Berufswelt noch immer Bedingungen herrschen, die Frauen Karriere schwer machen.

      Sie würden übrigens auch Männern die Karriere schwer machen, wenn nicht die Frauen üblicherweise den Löwinnenateil der Familienarbeit leisten würden. Darum sträube ich mich auch gegen den Begriff frauenfreundlich. Item. Dass Frauen einfach nicht wollen, ist jedenfalls eine faule Ausrede.

      Unter dem Hashtag #ichwill ging im Herbst in Deutschland ein Video viral. Mehr als 50 Frauen aus verschiedenen Branchen forderten darin eine verbindliche Frauenquote.

      Damit wollten sie Druck ausüben auf die Politik. Und sie hatten Erfolg: 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten von Unternehmen des Bundes und Vorgaben zu den Vorständen von börsenkotierten Unternehmen. Die Frauenquote ist quasi Fakt.

      Und das ist gut. Denn wie weit wir mit Freiwilligkeit kommen, haben wir in den letzten 50 Jahren ja gesehen.

      »Aber dann bekommt nicht mehr die Person den Job, die am besten qualifiziert ist«, sagen Kritiker. Unangenehme Überraschung: Das ist schon jetzt nicht der Fall. Wenn Menschen anhand ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe benachteiligt werden, bedeutet das automatisch einen Vorteil für alle, die der Norm entsprechen. Sprich: Weiße Männer haben Jobs nicht, weil sie am besten qualifiziert sind, sondern weil sie weiße Männer sind.

      Meritokratie, die Idee, dass harte Arbeit automatisch zu Erfolg führt, ist ein Mythos. Ich denke, wir sollten über Privilegien sprechen. Das Thema ist zugegebenermaßen unangenehm. Aber ich erlebe, wie meine Generation zunehmend beginnt, sich damit zu beschäftigen. Bist du dir deiner Privilegien bewusst?

       Samantha

       Wie dankbar bin ich Eva, dass sie in den Apfel biss

       #11 Liebe Samantha

      Unser Wortwechsel rutschte Ende Jahr von Jung & Alt zu Frau & Mann. Begann mit Backen. Landete bei Verwaltungsräten. Der Generationendialog als Genderdebatte? Siehst du das so? Weil der Typ Mann retro aussieht, Typ Frau eher nach Futur? Seh ich manchmal selber so, der Spur nach. Ergo gehören mehr Frauen nicht nur ans Ruder, sondern ans Steuer, logisch. Nur dass da immer schon Männer sitzen, auch solche, die auf mirakulöse Weise Karriere machten, jedenfalls kaum dank Meriten – und sich umso hartnäckiger an ihre Privilegien krallen. Das nervt nicht nur dich, es ist jedoch menschlich, den Besitzstand wahren zu wollen, was heißt, es dauert seine Zeit.

      Was ich weniger verstehe: die Fixierung auf Verwaltungsräte. Glaubst du im Ernst, dort sei die Schaltzentrale der Gesellschaft daheim? Nur als Reminder: Eine junge Frau namens Greta hat mit 18 mehr bewegt als jeder aktuelle VR-Präsident der Schweiz. Aufbruch beginnt im Kopf. Macht hat, wer die Köpfe bewegt, mit Vorstellungen, Gedanken, Bildern. Und da sind Frauen schon tüchtig vorn, in Kunst, Literatur, Film, sogar in Medien. Auch in meiner Branche, der Philosophie. Du fragst, ob ich mir meiner Privilegien als Mann bewusst sei. Gegenfrage: Meinst du, ich hätte eine Chance gegen eine junge Philosophin, sagen wir, Barbara Bleisch? Da dreht sich etwas. Mir soll es recht sein.

      War ich doch schon Eva stets dankbar, dass sie in den Apfel biss und den Auszug aus dem bescheuerten Paradies provozierte. Mit Adam, fürchte ich, säßen wir noch heute drin. Aufbruchslust ist eher weiblich, Charles Darwin sah in ihr die Triebkraft der Evolution: Tierischer Sex ist meist Damenwahl, dabei setze sich die »Sehnsucht nach Variation« durch, nämlich das weibliche Verlangen nach Ästhetik, nach Verwandlung naturhafter Plumpheit durch Schönheit. Das Weibchen sucht Variation (Fantasie, Farbe, Eleganz, Wandel), das Männchen macht, was es kann; selber hat es nicht viel anderes im Kopf als Sex, dazu kommt es aber nur, wenn es sich und das Nest so luxusartig schön herrichtet, dass ein Weibchen davon begeistert ist. Siehe Pfau. Siehe Zaunkönig, der baut gleich drei Nester, eines feudaler als das andere, das Weibchen wählt – wenn überhaupt …

      Was das nun bedeuten soll? Es fiel mir halt ein, wir schreiben ja Briefe, keine Leitartikel. Mit Fallen da und dort. Tappte ich grad in die Biologiefalle? Die Frau ist fürs Schöne da, der Mann für die Tatsachen? Gar nicht mein Ding. Eher interessiert mich: Sind Menschenmänner so viel bockiger gegen weibliche »Sehnsucht nach Variation«? Oder leben wir generell sehnsuchtsfreier, stets datenbasiert, also pragmatisch? Beißt auch Eva vorsichtshalber nicht mehr in den Apfel? Dann wäre es am Ende gar egal, wer im VR sitzt.

       Ludwig

       Ich kann die alten Männer nie auseinanderhalten

       #12 Lieber Ludwig

      Zuerst zum Apfel. Es ist die beste Frucht überhaupt. Ich dulde keine Widerrede. Äpfel schmecken gut, sind gesund und wachsen regional. Ich liebe Äpfel sehr, habe sogar dezidierte Haltungen zu den verschiedenen Apfelsorten. Ich bin sozusagen ein wandelndes Thurgauerinnenklischee. Wenn ich nur ein bisschen netter wäre, ich bin sicher, ich wäre längst Thurgauer Apfelkönigin geworden.

      Du schreibst über Eva, den Apfel und über die Erbsünde. Und da bin ich ganz deiner Meinung: Auf ewig im Paradies wäre wohl recht öde gewesen. Auszug also ein gute Sache, Freude herrscht. Um es mit den Worten von Ueli Maurer zu sagen. Oder war es Adolf Ogi? Oder doch Gilbert Gress? Keine Ahnung, ich kann die alten Männer nie auseinanderhalten. Es gibt so viele von ihnen, und sie sehen einfach alle gleich aus.

      Das kann man von meiner Generation sicher nicht behaupten. Wir sind überhaupt nicht alle gleich. Wir sind alle sehr besonders.

      Individualismus ist in meiner Generation ein großes Thema. Wohin wir auch schauen in der Gesellschaft der Gegenwart: Was immer mehr erwartet wird, ist nicht das Allgemeine, sondern das Besondere. Das sage nicht ich, sondern Andreas Reckwitz. Er ist Soziologe und hat ein ziemlich interessantes Buch geschrieben mit dem Titel »Die Gesellschaft der Singularitäten«.

      Er schreibt, wir lebten nicht mehr im industriellen, sondern im kulturellen Kapitalismus. Es gehe um die Logik des Besonderen. Erlebnisse und Güter müssten nicht mehr in erster Linie funktional sein, sondern dazu dienen, uns selbst zu definieren. Dieser Wunsch nach Besonderheit durchdringt dabei jeden Bereich unseres Lebens. Wie wir wohnen, wie wir essen, wohin wir reisen, wie wir unsere Körper, Karrieren oder Freundeskreise gestalten.

      Und darin erkenne ich mich und meine Generation wieder. Wir richten unsere Wohnungen mit Vintage-Möbeln ein, züchten Sauerteig, backen veganes Bananenbrot, formen unsere Körper mit Fitness, gestalten sie mit Tätowierungen. Unsere Leben werden nicht gelebt,


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