Die Tigerin. Walter Serner
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Erotische Bibliothek
Band 11
Walter Serner
Die Tigerin
Eine absonderliche Liebesgeschichte
Ungekürzte Ausgabe
Erstmals erschienen 1925
© Lunata Berlin 2019
Inhalt
I
Kein Mensch wußte, wovon er eigentlich lebte. Das ist zwar in den maßgebenden Kreisen von Paris die Voraussetzung dafür, ernst genommen zu werden; der Umstand aber, daß man Fec weder spielen sah, noch je in deutlicher Gesellschaft eines weiblichen Wesens, kurz niemals in einer jener Situationen, welche immerhin gewisse Anhaltspunkte für etwaige Einkünfte bieten, hatte die im allgemeinen unvorteilhafte Folge, daß man ihn nicht ernst nahm. Man hielt ihn für einen jener posthumen Idealisten, die zwischen Fourier und Bakunin hausieren und in irgendeiner tiefen Mission dünne Revenüen beziehen; oder für einen bedauernswerten Dilettanten, der im geheimen an einem umstürzlerischen Werk arbeitet; oder für einen kleinen Spezialisten, dessen Ressort schon eines Tages sich enthüllen würde; oder sogar für einen verschämten Arbeiter; viele aber hielten ihn schlankweg für einen Trottel.
Groß und allgemein war deshalb die Verblüffung, als man Fec plötzlich an der Seite der schönen Bichette sah, die ihn öffentlich mit allen Zeichen wilder Gunst umgab. Und nach wenigen Tagen war es gänzlich außer Zweifel, das Unglaubliche war geschehen: Bichette hatte ihren Meister gefunden, Bichette, die Tigerin, war – gezähmt.
Sie hatte diesen Beinamen nicht nur erhalten, weil er im allgemeinen auf sie zutraf, sondern weil sie ihn tatsächlich vollauf rechtfertigte: sie war ausschweifend, grausam, hinterlistig, ja oft niederträchtig und von einem unhemmbaren Hang zum Vagabondieren besessen. Sie hatte kupferrotes Haar, schwarze von bläulichem Weiß umschlossene Augen und besaß jene scharfen Farben, welche die Pariserin sich anschminkt, teilweise von Natur aus. Sie trug zu jeder Jahreszeit Rock und Bluse, selten ein Brusttuch und nie einen Hut. Ihre Stimme war, obwohl im Grunde rauh, dennoch schneidend und von seltener Suggestivität. Sie sprach nur Argot, den sie durch eine große Zahl höchst eigenwilliger Wortbildungen vermehrt hatte. Drei Männer waren ihretwegen ins Gefängnis gekommen, zwei hatten sich ihretwegen erschossen und der unzählbare Rest ihrer Liebhaber, die sie alle nach wenigen Nächten abgeschüttelt hatte, ohne von Beschwörungen oder Drohungen sich imponieren zu lassen, wäre ausnahmslos auf das kleinste Zeichen hin, zu allem bereit, zu ihr zurückgekehrt. Sie war unter ihren Kolleginnen verhaßt, weil sie nie Geld verlangte. Die Männer drängten es ihr auf oder wertvolle Geschenke oder was sie eben hatten. Ihr Stolz war grenzenlos, ihr Hohn gräßlich und forderte man sie nur durch ein fast unmerkliches Lächeln heraus, so raufte sie mit jedem, wer immer es auch sein mochte, und mit einer Geschicklichkeit, die sie gefährlich machte. Das, was fast jedem Weib zumindest einmal im Leben widerfährt, einem Mann, sei es auch nur kurze Zeit, zu verfallen, war deshalb bei Bichette etwas geradezu Unglaubliches.
Es verstand sich somit von selbst, daß die Neugierde in den Montmartre-Cafés Formen heftigster Aufregung annahm. Jeder wollte die Basis dieses Verhältnisses kennen. Die kühnsten Hypothesen schwirrten über die Tische hin. Alle wurden als zu primitiv oder zu gewöhnlich verworfen; sonderlich in Ansehung Fecs, der plötzlich in den Augen aller zu einer im höchsten Maße bemerkenswerten Persönlichkeit aufgestiegen war, von der man sich nicht nur alles, sondern vielleicht noch ungeahntes Letzten versehen durfte.
Die Möglichkeit, daß Fec diesen Erwartungen entsprechen könnte, war zweifellos vorhanden, gleichwohl aber noch keineswegs begründet: Bichettes Kapitulation hatte sich auf eine Weise vollzogen, die ebenso einfach war wie gewöhnlich.
Es war bei ›Léon‹ gewesen, einer kleinen, nur von Kokotten, Zuhältern und verwandten Jünglingen frequentierten Brasserie auf dem Boulevard de Clichy.
Bichette war gegen vier Uhr morgens in Begleitung eines die herkömmlichen Körperdimensionen seiner Rasse beträchtlich überschreitenden Japaners erschienen, hatte an der Bar hintereinander vier Gläser Weißwein hinuntergegossen und sich hierauf gelangweilt auf eine Bank geworfen.
Der Japaner setzte sich demütig neben sie und liebkoste hündisch ihre kleine kräftige Hand.
Sie entriß sie ihm und versetzte ihm einen Stoß gegen den Kopf, so daß er beinahe zu Boden gefallen wäre.
Er blieb nun schweigend und dumpf neben ihr sitzen, die bewegungslos vor sich hin stierte.
Fec, der all das beobachtet hatte, machte, mehr aus Langeweile als aus Spott, dem Japaner ein Zeichen, zu ihm zu kommen.
Der erhob sich sofort, sehr erfreut, seiner nicht gerade schmeichelhaften Situation entgehen zu können.
Als der riesige Leib auf seinen Tisch zu sich bewegte, fiel Fec ein, daß er Bichette beleidigt hatte, und da er ihre Rauflust kannte, war er neugierig auf das, was etwa folgen würde. Während er den Japaner allerlei Belangloses fragte, ließ er Bichette nicht aus den Augen.
Sie stand denn auch nach wenigen Minuten langsam auf und schlenderte, nachlässig in den Hüften sich drehend, an Fecs Tisch heran.
Der Japaner schwieg augenblicks und beglotzte scheu seine schmutzigen Hände.
Fec, doch ein wenig nervös geworden, fing an, halblaut zu singen: »J'ai une femme qui aime les animaux, ça c'est rigolo, ça c'est rigolo ...«
Bichette griff schnell und fest in seine Haare, riß seinen Kopf nach hinten, starrte ihm wütend in die Augen und zischte: »Scheinst mich nicht zu kennen ... Wer bist du überhaupt, hein?«
Da Fec, den der Haarboden heftig schmerzte, nicht antwortete, schrie sie den Japaner an: »Woher kennst du denn diesen Schnock?« (Eigene Wortbildung Bichettes.)
Der Japaner schwieg, verlegen die schmalen Lippen von den gelben Zähnen ziehend.
Bichette, welche die Bewegungslosigkeit Fecs zu verwirren begann, ließ seinen Kopf fahren. »Schlingue! ... Und du, gelber Idiot, kannst bleiben, wo du bist.« Hierauf verließ sie, die Schultern rollend, sehr langsam das Lokal.
Der Japaner wollte