Die Seelenlicht Chroniken. Katrin Gindele
sicher nicht harmlos. Doch warum auch immer, bei ihm hatte ich zu keiner Zeit das Gefühl gehabt, ich könne ihm nicht trauen. Er machte auf mich zwar einen gefährlichen Eindruck, das ließ sich allein schon aufgrund seiner beeindruckenden Statur nicht abstreiten, allerdings wirkte er auf mich nicht so, als würde er hilflose Frauen angreifen. Zumindest hoffte ich das.
Mom versuchte sich aufzurichten. Ich half ihr und schüttelte das Kissen auf, damit sie bequem sitzen konnte.
»Es tut mir so leid«, murmelte sie sichtlich ergriffen. »Ich wünschte, ich könnte dir helfen.«
»Du könntest damit anfangen, indem du etwas isst«, versuchte ich sie ein wenig aufzumuntern.
Sie lächelte kaum wahrnehmbar. »Was gibt es denn?«
Ich erwiderte ihr Lächeln. »Wie wäre es mit Spaghetti Bolognese?«
»Klingt gut«, meinte sie und faltete die Hände im Schoß. Dann wanderten ihre Augen über meine Arme. »Du hast schon wieder vergessen, dich einzucremen«, sagte sie in vorwurfsvollem Ton.
Ich folgte ihrem Blick und betrachtete die roten Stellen auf meinem rechten Unterarm. Ganz egal, mit wie viel Sunblocker ich mich einschmierte, früher oder später wurde ich dennoch wieder knallrot, meine Haut war einfach viel zu empfindlich.
»Wir hätten lieber nach England gehen sollen«, versuchte Mom zu scherzen. »Italien ist nicht gut für dich.«
Dafür war es leider zu spät, wie ich fand, denn in Anbetracht ihrer gesundheitlichen Verfassung würden wir in absehbarer Zeit nirgendwohin gehen, so viel stand fest.
»Ruh dich ein bisschen aus, bis das Essen fertig ist.« Ich erhob mich, und Mom schloss die Augen.
»Richte unserem Gast liebe Grüße aus«, murmelte sie schlaftrunken.
Ich nickte betreten. Mom war so schwach, sie wirkte so zerbrechlich, selbst diese wenigen Worte schienen sie unheimlich anzustrengen.
In Gedanken versunken durchquerte ich den oberen kleinen Flur, der direkt in mein Zimmer führte und von mir in einem kräftigen Sonnengelb gestrichen worden war. Möbel standen in diesem Flur keine, dafür war er viel zu schmal. Doch Bilder gab es dafür reichlich an den Wänden, tolle Landschaften, die Mom gemalt hatte. Früher einmal hatte sie es geliebt, zu malen. Neben dem Restaurieren alter Möbel war das eine ihrer absoluten Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Doch dafür fehlte ihr inzwischen die Kraft.
Direkt neben meiner Zimmertür hing ein besonders schönes Bild, welches mir von allen am besten gefiel: eine weitläufige, üppig begrünte Landschaft mit einem Wasserfall, umrahmt von unzähligen Bäumen, deren massige Stämme mit Moos bewachsen waren. Eine herrliche Landschaft voll unberührter Natur. Im Vorbeigehen warf ich einen flüchtigen Blick auf das Bild und fragte mich, so wie immer, wenn mein Blick das Gemälde traf, wann Mom wohl diese Landschaft mit eigenen Augen gesehen haben mochte. Lange vor meiner Geburt, das wusste ich aus ihren Erzählungen. Vielleicht würde ich eines Tages dorthin reisen und diese atemberaubend schöne Landschaft selbst sehen.
Ich stieß die Tür auf und betrat mein Zimmer. Der alte weiße Holzboden hatte auch schon bessere Tage erlebt. Er knarrte unter meinen Schritten, als ich zum Schrank ging, um mir frische Sachen zu holen.
Die Wände hatte ich lavendelfarben gestrichen und weiße, bodenlange Gardinen am Fenster angebracht. Mein weißes Himmelbett war aus Metall und eigentlich viel zu groß für eine einzelne Person. Mom hatte es auf einem Flohmarkt entdeckt, in alle Einzelteile zerlegt und den Händler mit einem hübschen Lächeln sogar dazu überredet, es anzuliefern und aufzubauen. Auf dem nächsten Flohmarkt waren uns die herrlichen weißen Vorhänge in die Hände gefallen, die seitdem mein Bett zierten.
Der zweitürige Kleiderschrank, an dem schon die weiße Farbe abblätterte, wurde nur noch durch ein paar Schrauben zusammengehalten, weil Mom es nicht mehr geschafft hatte, ihn herzurichten, als sie krank geworden war. Weil ich jeden Tag damit rechnete, dass der Schrank zusammenbrechen könnte, ließ ich stets beide Türen offen, damit diese unabwendbare Tatsache durch das stetige Öffnen und Schließen der Türen nicht unnötig beschleunigt wurde.
Ohne groß darüber nachzudenken, schnappte ich mir eine kurze Jeans und ein grünes Top, frische Unterwäsche und ein sauberes Handtuch. Nun, da es draußen langsam etwas kühler wurde, war es an der Zeit, das Fenster zu öffnen. Ich schob die Vorhänge zur Seite, öffnete das Fenster sperrangelweit und atmete tief die klare Luft ein. Begleitet von einem tiefen Seufzer machte ich mich auf den Weg ins Badezimmer.
Eigentlich war Italien ein ganz wundervoller Ort zum Leben, und wären die Umstände anders gewesen, hätten Mom und ich hier sicher wieder glücklich werden können. Doch so fühlte ich mich einsamer als jemals zuvor, trotz Patrizia und all meinen anderen Freunden. Inzwischen fühlte ich mich leer und ausgelaugt, müde, als würde mein Körper seit Monaten nur noch auf Reserve laufen. Eine Besserung war leider nicht in Sicht.
Nachdem ich fertig geduscht war und meine Haare mit dem Handtuch trocken gerubbelt und sie gekämmt hatte, schlüpfte ich in meine frischen Sachen und schlug barfuß den Weg zur Küche ein.
Mickal stand mit dem Rücken zu mir gewandt im Wohnzimmer und telefonierte. Er drehte sich blitzschnell herum, als er mich bemerkte, nickte mir zu und beendete das Gespräch augenblicklich.
Ich schenkte ihm keinerlei Beachtung, sondern band meine Haare zusammen und machte mich daran, das Abendessen vorzubereiten.
Während ich die Zutaten für die Soße schnippelte, wurde mir bewusst, dass er mich die ganze Zeit über anstarrte. Ich reckte das Kinn und begegnete seinem durchdringenden Blick. Es war ihm anzusehen, was ihm durch den Kopf ging.
»Ja, ich kann kochen, stell dir das vor«, sagte ich schnippisch. »Oder hast du etwa gedacht, ich lebe den ganzen Tag nur von Kaviar und Champagner?«
»Ich war mir nicht sicher«, entgegnete er trocken und zuckte mit den Schultern.
Angesäuert legte ich das Messer zur Seite. Ich war kurz davor gewesen, es nach ihm zu werfen. »Der erste Eindruck kann manchmal täuschen«, sagte ich so beherrscht wie möglich.
Am liebsten wäre ich diesem arroganten Typen an die Kehle gesprungen. Es war offensichtlich, dass er mich für eine Tussi hielt.
»Doch meistens ist der erste Eindruck der richtige«, entgegnete er unbeeindruckt.
Das war zu viel für mich. Ich wusste nicht, warum ich plötzlich das Bedürfnis verspürte, mich verteidigen zu müssen, denn normalerweise ging es mir am Arsch vorbei, was andere über mich dachten. Diesmal jedoch konnte und wollte ich das nicht auf sich beruhen lassen.
Zuerst warf ich alle Zutaten in den Topf und stellte ihn auf den Herd, dann holte ich einen zweiten Topf für die Nudeln aus dem Schrank, füllte ihn mit Wasser, gab einige Tropfen Öl samt einer Prise Salz hinzu und schob ihn für später auf die Anrichte. Dabei musste ich mich schwer zusammenreißen, so wütend war ich auf ihn.
Kaum war ich damit fertig, wirbelte ich herum, verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte ihn böse an. Ich war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren, was bei mir äußerst selten vorkam. »Jetzt pass mal auf, du oberflächlicher, arroganter Vollidiot«, zischte ich. »Meine Mutter ist schwer krank, und ich musste ich einen zweiten Job annehmen, weil in diesem heruntergekommenen Loch ständig etwas kaputtgeht, aber ich habe nicht genug Geld, um einen Handwerker zu bezahlen. Ich habe nicht einmal genug Geld, um mir ein zweites Kostüm zu kaufen. Weil Signore Russo, mein Chef, sehr viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres legt, wenn ich potenziellen Kunden die Häuser zeige, bin ich gezwungen, bei dieser Affenhitze in einem Businesskostüm herumzulaufen, das ich jeden Abend waschen muss, damit ich es am nächsten Tag wieder anziehen kann. Ich hasse hohe Schuhe, am liebsten laufe ich den ganzen Tag über barfuß, aber ich muss diese Schuhe tragen, weil sie zum Kostüm passen und weil es nun einmal professioneller aussieht als mit Turnschuhen.« Ich atmete ein paar Mal tief durch, um mich zu beruhigen. »Vielleicht solltest du die Menschen nicht nur nach ihrem Äußeren beurteilen«, schlug ich mit strenger Miene vor und wirbelte herum, um mich wieder dem Essen zu widmen.
Nach meiner Standpauke würde