Anna Karenina, 2. Band. Лев Толстой
Briefe versetzte die Gräfin Lydia Iwanowna in Zorn; sowohl der Inhalt im allgemeinen, als der Hinweis auf Großmut und insbesondere der, wie ihr schien, frivole Ton.
„Sag', es gebe keine Antwort,“ sprach die Gräfin Lydia Iwanowna, und schrieb sogleich an Aleksey Aleksandrowitsch, sie hoffe, ihn um ein Uhr zur Hofcour zu sehen.
„Ich habe mit Euch über eine wichtige und traurige Angelegenheit zu sprechen, und dort wollen wir verabreden, wo dies geschehen kann. Am besten wohl bei mir, wo ich den Thee so wie Ihr ihn ja liebt, bereiten lassen werde. Es ist unbedingt notwendig. Gott legt uns das Kreuz auf, aber er giebt uns auch die Kraft,“ fügte sie hinzu, um ihn doch wenigstens in Etwas vorzubereiten.
Die Gräfin Lydia Iwanowna schrieb gewöhnlich zwei oder drei Briefe täglich an Aleksey Aleksandrowitsch. Sie liebte diese Verkehrsweise mit ihm, da sie an sich Eleganz und Diskretion besaß, wie sie sich ihr in persönlichen Beziehungen nicht bot.
24
Die Hofcour war vorüber. Die Abfahrenden pflogen bei der Begegnung noch Gespräche über die letzten Tagesneuigkeiten, über neuempfangene Auszeichnungen und Versetzungen hoher Beamter.
„Etwa der Gräfin Marja Borisowna das Kriegsportefeuille, und an die Spitze des Stabes die Fürstin Watkowskaja,“ sagte ein alter Herr in goldgestickter Uniform zu einer hochgewachsenen Schönheit, die sich bei ihm über die Beförderungen erkundigt hatte.
„Und mich zum Adjutanten,“ versetzte das Fräulein lächelnd.
„Ihr habt bereits Eure Bestimmung. Man bestellt Euch in das Ressort für geistliche Sachen. Und zu Eurem Beistande – Karenin.“
„Guten Tag, Fürst,“ sagte der alte Herr, einem Hinzutretenden die Hand drückend.
„Was habt Ihr zu Karenin gesagt?“ sprach der Fürst.
„Er und Putjakoff haben den Alexander Newskiy erhalten.“
„Ich dachte, er hätte ihn schon.“
„Nein. Seht ihn Euch doch an,“ sagte der alte Herr, mit dem goldgestickten Hute auf den, bei einem einflußreichen Mitglied des Staatsrats an der Saalthür stehenden Karenin weisend, der in Galauniform war und das neue rote Band über der Schulter trug. „Glücklich und zufrieden, wie ein Kupfergroschen,“ fügte er hinzu, stehen bleibend, um einem athletischgebauten, schöngewachsenen Kammerherrn die Hand zu drücken.
„Er ist gealtert,“ sagte der Kammerherr.
„Von Sorgen. Er macht jetzt nur Projekte. Keinen Unglücklichen entläßt er jetzt, bevor er nicht alles gewissenhaft dargelegt hat.“
„Wie, gealtert? Il fait des passions. Ich glaube, die Gräfin Lydia Iwanowna ist jetzt eifersüchtig auf seine Frau.“
„Was soll das heißen! Über die Gräfin Lydia Iwanowna, bitte, sprecht nichts Übles!“
„Ist denn das schlecht, wenn sie in Karenin verliebt ist?“
„Ist es denn wahr, daß die Karenina hier ist?“
„Das heißt nicht hier am Hofe, sondern in Petersburg! Ich begegnete ihr gestern mit Aleksey Wronskiy, bras dessus, bras dessous, auf der Morskaja.“
„C'est un homme qui n'a pas“ – begann der Kammerherr, hielt aber inne, indem er grüßend Platz machte vor einer vorüberschreitenden Persönlichkeit aus der Familie des Zaren.
So sprach man fortwährend von Aleksey Aleksandrowitsch, ihn richtend und verspottend, während dieser, dem von ihm in Beschlag genommenen Mitglied des Staatsrates den Weg vertretend, und um keine Minute seine Ausführungen verkürzend, um ihn nicht fortlassen zu müssen, demselben Punkt für Punkt einen Finanzplan vorlegte.
Fast zu gleicher Zeit, als Aleksey Aleksandrowitsch von seinem Weibe verlassen wurde, ereignete sich für diesen das bitterste Ereignis was einem Beamten passieren kann – Stillstand in seiner aufwärtsführenden Carriere. Derselbe war Thatsache geworden, und alle erkannten dies klar, Aleksey Aleksandrowitsch selbst aber hatte sich noch nicht eingestanden, daß seine Carriere zu Ende sei. War es der Zusammenstoß mit Stremoff, war es das Unglück mit seinem Weibe, oder einfach der Umstand, daß Aleksey Aleksandrowitsch zu der ihm bestimmten Grenze gelangt war, für jedermann war es im laufenden Jahre klar geworden, daß es mit seiner amtlichen Laufbahn vorüber war. Er bekleidete noch einen wichtigen Posten, er war noch Mitglied vieler Kommissionen und Komitees, aber auch ein Mann, der in Ungnade gefallen, und von welchem man nichts mehr erwartete. Was er auch reden mochte, was er auch in Vorschlag brachte, man hörte ihn, als wäre das, was er beantragte, schon längst bekannt und eben gerade das, was gar nicht notwendig war.
Aber Aleksey Aleksandrowitsch merkte das nicht, im Gegenteil, der direkten Teilnahme an der Regierungsthätigkeit fernstehend, sah er jetzt viel klarer, als früher, die Mängel und Fehler in der Thätigkeit anderer, und hielt es für seine Pflicht, auf die Mittel zu deren Verbesserung hinzuweisen.
Bald nach seiner Trennung von der Gattin begann er, seine Denkschrift über die neue Rechtsordnung zu schreiben, die erste aus einer zahllosen Reihe niemandem nutzbringender Denkschriften über alle Zweige der Verwaltung, welche er sich vorgenommen hatte, zu schreiben.
Aleksey Aleksandrowitsch erkannte seine hoffnungslose Stellung in der Beamtenwelt nicht nur nicht, er war auch nicht erbittert hierüber, sondern eher noch mehr als je zufrieden mit seiner Thätigkeit.
„Ein Beweibter sorgt sich um das Eitle, wie er seinem Weibe gefallen mag, ein Unbeweibter um das Erhabene, wie er dem Herrn gefallen kann,“ sagt der Apostel Paulus, und Aleksey Aleksandrowitsch, in allen Dingen jetzt nur noch geleitet von der heiligen Schrift, erinnerte sich oft dieses Textes. Es schien ihm, daß er seit der Zeit, seit welcher er ohne seine Frau lebte, gerade mit diesen Projekten dem Herrn mehr diente, als früher.
Die augenscheinliche Ungeduld des Mitgliedes des Staatsrats, welches wünschte, von ihm loszukommen, setzte Aleksey Aleksandrowitsch nicht in Verlegenheit; er hörte nicht eher damit auf, seinen Plan zu entwickeln, als bis das Ratsmitglied, die Gelegenheit des Vorüberschreitens der Persönlichkeit aus der Zarenfamilie benutzend, ihm entschlüpft war.
Allein geblieben, ließ Aleksey Aleksandrowitsch den Kopf sinken, indem er seine Gedanken sammelte, blickte dann zerstreut um sich, und schritt der Thür zu, an welcher er der Gräfin Lydia Iwanowna zu begegnen hoffte.
„Wie sind sie alle körperlich so stark und gesund,“ dachte Aleksey Aleksandrowitsch, auf den mächtigen Kammerherrn mit seinem frisierten, wohlriechenden Backenbart blickend, auf den rotschimmernden Hals des straff in seiner Uniform erscheinenden Fürsten, an denen er vorbeizuschreiten hatte. „Es ist ganz richtig gesagt, daß alles in der Welt von Übel ist,“ dachte er, nochmals seitwärts nach den Waden des Kammerherrn blickend.
Langsam seine Beine weiterbewegend, verbeugte er sich mit dem gewöhnlichen Ausdruck von Ermüdung und Würde vor jenen Herren, welche von ihm gesprochen hatten, und suchte, nach der Thür blickend, mit seinen Augen die Gräfin Lydia Iwanowna.
„Ah, Aleksey Aleksandrowitsch!“ sagte der alte Herr, mit boshaft blinzelnden Augen, während Karenin neben ihm hinschritt und mit kalter Bewegung den Kopf neigte.
„Ich habe Euch noch nicht beglückwünscht,“ sagte der alte Herr, auf sein neuempfangenes Ordensband weisend.
„Ich danke Euch,“ versetzte Aleksey Aleksandrowitsch, „welch ein herrlicher Tag ist heute,“ fügte er hinzu, nach seiner Gewohnheit besonders Betonung auf das Wort „herrlich“ legend.
Daß man über ihn lachte, wußte er, aber er erwartete von ihnen ja auch gar nichts anderes als Feindseligkeit; er war schon daran gewöhnt.
Als er die aus dem Korsett emporsteigenden gelben Schultern der Gräfin Lydia Iwanowna, die in die Thür getreten war, und ihre ihn zu sich rufenden, schönen sinnigen Augen erblickte, lächelte er, die weißen, nicht schlecht gewordenen Zähne zeigend, und begab sich zu ihr hin.
Die Toilette Lydia Iwanownas hatte große Mühe gekostet, wie überhaupt alle ihre Toiletten in der letzten Zeit. Der Zweck derselben war jetzt ein vollständig umgekehrter im Vergleich zu dem, welchen sie vor dreißig Jahren damit verfolgt hatte.
Damals