Mephisto. Roman einer Karriere / Мефистофель. История одной карьеры. Клаус Манн

Mephisto. Roman einer Karriere / Мефистофель. История одной карьеры - Клаус Манн


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die Bedingungen bespreche. Nicoletta machte sofort ihr hinterhältig korrektes Gesicht, verneigte sich feierlich und gab in scharfen Worten ihrer Befriedigung über diesen Entschluß des Direktors Ausdruck.

      Theophil Marder hatte die beiden jungen Damen und den Schauspieler Höfgen in ein sehr teures, mehr bürgerlich solides als mondänes Lokal eingeladen. Hendrik war hier noch niemals gewesen, was Marder Anlaß gab, schneidend festzustellen, dies sei die einzige» Bude «in Hamburg, wo Genießbares auf den Tisch komme – solide Kost, guter alter Stil, wenn man dem Dramatiker glauben durfte; überall sonst gebe es ranziges Fett und stinkende Braten, hier aber verkehrten feine alte Herren, die noch zu leben wüßten; auch sei der Weinkeller gepflegt.

      Wirklich saßen in der braun getäfelten Stube, an deren Wänden Jagdbilder und schöne Teppiche hingen, nur bejahrte Väter, die nach Millionenvermögen aussahen. Noch würdevoller freilich als sie alle wirkte der Oberkellner: in dem Respekt, mit dem er Theophils Bestellungen entgegennahm, ließ sich ein klein wenig Ironie vermuten. Marder schlug vor, man möge mit Langusten beginnen.»Was meinen Sie, bester Heinrich?«erkundigte er sich bei Höfgen mit jener hinterhältigen Korrektheit, die Nicoletta bei ihm gelernt haben mochte. Hendrik hatte nichts einzuwenden. Übrigens fühlte er sich etwas unsicher und befangen in dem herrschaftlichen Lokal. Ihm wollte es scheinen, als habe der Oberkellner mit Geringschätzung seinen Smoking gemustert, der fleckig war und an einigen Stellen speckig glänzte. Unter dem taxierenden Blick des feinen Kellners ward Hendrik sich, flüchtig aber mit Heftigkeit, seiner umstürzlerischen Gesinnung bewußt. ›Ich gehöre nicht in dieses Lokal für kapitalistische Ausbeuter‹, dachte er zornig, während er sich Weißwein eingießen ließ. Nun bereute er es, die Eröffnung des Revolutionären Theaters immer wieder hinausgeschoben zu haben. Von Marder aber war er enttäuscht. Dieser unbarmherzige, hellsichtige und gefährliche Kritiker der bourgeoisen Gesellschaft zeigte sich, da man ihm nun von Mensch zu Mensch gegenübersaß, als ein Herr mit bedenklich reaktionären Neigungen. Er hatte eine schnarrende Kommandostimme, einen tückischen Blick, trug einen viel zu tadellos gearbeiteten dunklen Anzug mit sorgfältig gewählter Krawatte, und von den Langusten, die nun serviert wurden, suchte er mit einer fatalen Kennerschaft die schönsten aus. Hatte er nicht mit jenen Figuren, die er in seinen Stücken verhöhnte, viele Eigenschaften gemeinsam? Nun lobte er die gute alte Zeit, in der er jung gewesen und mit der die neue, oberflächliche, verkommene in keinem Punkte sich messen könne. Dabei hielt er fortwährend die kalten, unruhigen und gierigen Augen auf Nicoletta gerichtet, die ihrerseits nicht nur den Mund schlängelte, sondern auch den Körper in einem metallisch glitzernden Abendkleid. Barbara saß still dabei. Hendrik, degoutiert durch Nicolettas provokant betonten Flirt mit Marder, vielleicht auch nur eifersüchtig, wandte seine Aufmerksamkeit endlich Barbara zu. Da bemerkte er: ihr Blick war forschend auf ihn gerichtet gewesen. Hendrik Höfgen erschrak.

      Mitten in seinem Herzen erschrak er darüber, daß er Barbara Bruckner begnadet fand mit einem Reiz, den er noch an keiner anderen Frau je wahrgenommen hatte. Ihm waren schon vielerlei Frauen begegnet, aber noch keine wie diese. Während er diese anschaute, erinnerte er sich, in geschwinder, aber genauer Zusammenfassung – so, als gälte es, einen Schlußstrich zu ziehen unter eine lange und beschmutzte Vergangenheit – aller jener weiblichen Geschöpfe, mit denen er je zu tun gehabt hatte. Er ließ sie Revue passieren, um sie alle zu verwerfen: Die handfest munteren Rheinländerinnen, die ihn, ohne viel Umstände und ohne viel Raffinement, eingeführt hatten in die derbe Wirklichkeit der Liebe – reifere, aber noch stramme Damen, Freundinnen seiner Mutter Bella; junge, aber keineswegs sehr zarte Dinger, Freundinnen seiner Schwester Josy; die erfahrenen Berliner Straßenmädchen und die kaum weniger tüchtigen der deutschen Provinz, die ihm jene besonderen Dienste zu leisten pflegten, nach denen er verlangte, und ihn solcherart den Geschmack verlieren ließen an weniger scharfen, weniger speziellen Lustbarkeiten; die kunstvoll hergerichteten, routinierten und stets gefälligen Kolleginnen, denen er jedoch seine Huld nur in den seltensten Fällen gewährte, die sich vielmehr mit seiner launenhaften, manchmal zur Grausamkeit, manchmal zur verführerischen Koketterie aufgelegten Kameradschaft zufrieden geben mußten; die Schar der Verehrerinnen – schüchtern-mädchenhafte oder pathetisch-düstere oder ironisch-kluge. Sie präsentierten sich alle noch einmal, zeigten alle noch einmal ihre Mienen und ihre Gestalten, um dann zurückzutreten, sich aufzulösen, zu versinken, angesichts von Barbaras soeben erst entdeckter, außerordentlicher Beschaffenheit. Selbst Nicoletta, interessante Tochter des Abenteurers und faszinierend präzise Sprecherin, fiel ab, wurde beinah komisch mit all ihrer Korrektheit und Verworfenheit. Hendrik opferte sie, er gab sein Interesse für sie auf – aber was opferte er nicht sonst noch alles in diesem mit Schicksal geladenen, entscheidungsvollen, süßen Augenblick? Verübte er, während er auf Barbara schaute, nicht den ersten großen Verrat an Juliette, der finsteren Geliebten, die er das Zentrum seines Lebens genannt hatte und die große Kraft, an der seine Kräfte sich erneuerten und erholten? Mit Nicoletta, an deren Beinen man sich grüne Schaftstiefel vorstellen konnte, hätte er Juliette niemals ernsthaft betrogen; sie wäre, im allergünstigsten Fall, ein Ersatz für die Schwarze Venus gewesen, gewiß nicht ihre Gegenspielerin. Die Gegenspielerin aber saß hier. Sie hatte Hendrik forschend betrachtet, während er sich noch mit Marder und Nicoletta beschäftigte. Da er sie nun seinerseits anstarrte – nicht verführerisch schielend, nicht rätselhaft schillernd, sondern mit der echten Ergriffenheit, die hilflos macht – senkte sie den Blick und wandte den Kopf halb zur Seite.

      Ihr sehr einfaches, schwarzes Kleid, dem der Kenner seine Herkunft von der kleinen Hausschneiderin angemerkt hätte und zu dem sie einen weißen, schulmädchenhaft steifen Kragen trug, ließ den Hals und die mageren Arme frei. Das empfindliche und genau geschnittene Oval ihres Gesichtes war blaß; Hals und Arme waren bräunlich getönt, golden schimmernd, von der reifen und zarten Farbe sehr edler, in einem langen Sommer duftend gewordener Äpfel. Hendrik mußte angestrengt darüber nachdenken, woran ihn diese kostbare Farbe, von der er noch betroffener war als von Barbaras Antlitz, erinnerte. Ihm fielen Frauenbilder Lionardos ein, und er war etwas gerührt darüber, daß er hier, in aller Stille, während Marder mit seiner Kenntnis alter französischer Kochrezepte prahlte, an so vornehme und hohe Gegenstände dachte; ja, auf gewissen Lionardo-Bildern gab es diese satte, sanfte, dabei spröd empfindliche Fleischesfarbe; auch einige seiner Jünglinge, die den gekrümmten, lieblichen Arm aus einer schattenvollen Dunkelheit hoben, zeigten sie. Jünglinge und Madonnen auf alten Meisterbildern hatten solche Schönheit.

      An Jünglinge und Madonnen ließ der Anblick Barbara Bruckners den begeisterten Hendrik denken. Nach dem Ideal geformte Knaben hatten diese schöne Magerkeit der Glieder; Madonnen aber hatten dieses Gesicht. So schlugen sie die Augen auf, genau so wie Barbara es jetzt tat: Augen unter langen, schwarzen und starren, aber ganz natürlichen Wimpern; Augen von einem satten Dunkelblau, das ins Schwärzliche spielte. Solche Augen hatte Barbara Bruckner, und sie schauten ernst forschend, mit einer freundschaftlichen Neugier, und zuweilen beinah schalkhaft. Überhaupt war das edle Gesicht nicht ohne schalkhafte Züge: kein weinerliches, auch kein gebieterisches Madonnenantlitz, vielmehr ein durchtriebenes. Der ziemlich große und feuchte Mund lächelte versonnen, aber nicht ohne Witz. Dem träumerischen Frauenhaupt gab es eine fast kecke Note, daß der Knoten des reichen aschblonden Haares im Nacken ein wenig schief saß. Der Scheitel hingegen war genau und in der Mitte gezogen.

      «Warum schauen Sie mich so an?«fragte Barbara schließlich, da der entzückte Hendrik den Blick nicht von ihr ließ.

      «Darf ich nicht?«fragte er leise zurück.

      Sie sagte mit einer burschikosen Koketterie, hinter der ihre Befangenheit sich verbarg:»Wenn es Ihnen Vergnügen macht…«

      Hendrik fand: Ihre Stimme war für das Ohr der nämliche Genuß, wie die Farbe ihrer Haut für das Auge. Auch ihre Stimme schien gesättigt von reifem und zartem Ton. Auch sie schimmerte, hatte den kostbar nachgedunkelten Glanz. Hendrik lauschte mit derselben Hingegebenheit, die er vorhin gehabt hatte beim Schauen. Damit sie nur weiterspräche, stellte er Fragen. Er wollte wissen, wie lange sie in Hamburg zu bleiben gedächte. Sie sagte, während sie mit einer Ungeschicklichkeit, die den Mangel an Gewohnheit verriet, an ihrer Zigarette sog:»So lange Nicoletta hier spielt. Es hängt also vom Erfolg des ›Knorke‹ ab.«-»Jetzt freut es mich erst, daß das Publikum heute abend so lange geklatscht hat«, sagte Hendrik.»Ich glaube, auch die Presse wird gut sein.«– Er erkundigte sich nach ihren Studien – Nicoletta hatte erwähnt,


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