Robert Blum. Blum Hans

Robert Blum - Blum Hans


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ganze lateinische Messe auswendig. Sein Vater zeigte ihm nun auch in der Nähe eines Altars, an dem gerade Messe gelesen wurde, was die Knaben dabei zu beobachten hätten. Und als Robert sich auch das eingeprägt, ließ der Vater ihn, unter Beihülfe eines größeren Knaben, am Altar mit dienen, und Robert sagte sein auswendig gelerntes Latein so schön und deutlich her, daß der Geistliche, ein gutmüthiger alter Herr, den Vater bat, ihm doch das liebe Kind täglich zum Meßdienen zu senden; den kleinen Robert aber beschenkte der freundliche alte Herr häufig mit Bildern, Büchern, Bonbons &c. Von dieser Zeit an ging der Kleine täglich in die Messe, bis er später wirklicher Meßdiener wurde.

      Aber auch irdischere Künste brachte der Vater seinem Kinde bei: er lehrte ihm Lesen, Schreiben und Rechnen in sehr frühen Jahren. Sicher ist, daß Robert zu der Zeit, als sein Vater im letzten Viertel des Jahres 1814 am Ende seiner Kräfte in seiner aufreibenden Thätigkeit angelangt war und für immer auf’s Krankenlager geworfen wurde, also mit sieben Jahren, bereits in allen diesen Künsten ganz tüchtig Bescheid wußte. Nach neunmonatlicher Krankheit am 24. Juni 1815, starb Engelbert Blum. Er hinterließ eine Wittwe mit drei Kindern, Robert, Johannes und Gretchen, von denen Robert beim Tode des Vaters noch nicht acht Jahre zählte.

      Die schlichten Aufzeichnungen, die mir vorliegen, über das Elend der Armuth, das die lange Krankheit und der Tod des Ernährers über die Familie brachte, und das Verhalten dieses jungen Knaben seiner Mutter und seinen Geschwistern gegenüber, als er in so zartem Alter Waise geworden war, gehören zu dem Rührendsten und Ergreifendsten, was man lesen kann, und lassen namentlich die ganze Verlogenheit der socialistischen Declamationen erkennen, wenn diese heutzutage danach trachten, die vergleichsweise beneidenswerthe Ueppigkeit einer heutigen Arbeiterfamilie, bei den jetzigen Löhnen, Lebensbedürfnissen und Lebensgewohnheiten auch der ärmsten Classen, als den Gipfel des Elends und der Würdelosigkeit zu bezeichnen.

      Robert erkannte mit seinem klaren Verstande, seiner herzlichen Liebe für Mutter und Geschwister viel schärfer als sonst Kinder in seinen Jahren, wieviel mit dem Vater für die arme Familie verloren war. Aber statt seiner Mutter Schmerz durch die Offenbarung seiner frühreifen Erkenntniß zu vergrößern, suchte er seine Mutter zu trösten durch die treuherzige Versicherung, er sei schon groß und stark und werde deshalb fleißig mit ihr arbeiten; nur solle sie nicht mehr weinen, sonst werde sie auch noch krank. Er that aber mehr. Er ließ die scheinbar prahlerischen Worte zur That werden. Die Mutter gewann mit ihrer Nadel den ganzen Unterhalt der Familie – kümmerlich genug. Damit sie keine Minute versäume, holte Robert die Arbeit von den Kunden und trug das Fertige wieder fort. Er rathschlagte ernstlich mit der Mutter darüber, was jeweilig zuerst beschafft werden müsse, ganz wie ein ordentlicher Finanzminister, und holte das Nöthige herbei. Er unterhielt und ermahnte die jüngeren Geschwister, damit die Mutter ja beim Nähen bleiben konnte. Er blieb auf, wenn die Jüngeren im Bette waren, und strickte für die Geschwister und für sich selbst, weil die Mutter darauf keine Zeit verwenden konnte. Er verrichtete freudig und geschickt aus freien Stücken die meisten Hausarbeiten. Und als sein Bruder Johannes zu kränkeln anfing, pflegte ihn Robert mit rührender Geduld und Ausdauer.

      Aber so traurig es der armen Familie ergangen war seit der Erkrankung und dem Tode des Familienhauptes, so sollte doch nun eine noch viel traurigere Zeit über sie kommen. Bisher hatte es wenigstens am Besten nicht gefehlt: an dem Frieden des Hauses. Die Ehegatten hatten sich aus Liebe geheirathet und sich herzlich geliebt, bis der Tod Engelbert’s sie trennte. Das Verhältniß zwischen Eltern und Kindern war das beste gewesen. In der Liebe, dem Gedeihen und dem Gehorsam ihrer Kinder sah auch die arme Wittwe einen unermeßlichen Schatz. Aber dieser Schatz wurde ihr mehr und mehr auch zu großer Sorge, namentlich als Johannes’ Krankheit sich verlängerte und als böses väterliches Erbtheil sich ankündigte. Da glaubte die arme Frau, sie werde doch auf die Dauer ihren Kindern das Brod nicht allein mit ihrer eigenen Kraft verdienen können, und nahm den Antrag an, den der Schiffer Kaspar Georg Schilder ihr machte, seine Frau zu werden.

      Schilder hatte einen etwas stürmischen Lebenslauf hinter sich. Er war zuerst Schmuggler gewesen, ein Beruf, der die Betheiligten nicht immer mit den Spitzen der Gesellschaft zusammenführen soll. Dann, vor acht Jahren, war er als Soldat mit Napoleon nach Spanien gezogen und dort bis jetzt verblieben, ohne auch hier unablässig an der Spitze der Civilisation zu marschiren. Nun war er eben aus dem Kriege zurückgekehrt und hatte zwar ein hübsches Stück Geld, aber auch eine kleine Schwäche mitgebracht, welche geeignet war, einer zu großen Ansammlung von Ersparnissen mit der größten Aussicht auf Erfolg energisch entgegenzutreten, nämlich eine liebevolle Anhänglichkeit an alkoholhaltige Flüssigkeiten. Es ist begreiflich, daß diese mit dem Charakter eines alten Troupiers sonst keineswegs unvereinbare Leidenschaft nicht an Liebenswürdigkeit gewann, als der spanische Krieger, der dort gewöhnt gewesen war, die ältesten, feurigsten Klosterweine im Namen des einen und untheilbaren französischen Kaiserreiches à discrétion durch die rächende Gurgel zu gießen, sich, nach seinem geliebten Heimathlande zurückgekehrt, gezwungen sah, für weit saurere oder gemeinere Getränke sein gutes Geld Zug um Zug hinzugeben. Sehr bald konnten sich die besten Freunde Schilder’s der Erkenntniß nicht länger verschließen, daß der einstige Bändiger Hesperiens nicht blos dem Trunke, sondern sogar einem bösen Trunke ergeben sei.

      Ob nun die arme Frau, die diesem Manne ihr Jawort gab, seine Schwäche weniger bemerkt hat, ob sie hoffte, ihn in dieser Hinsicht zu bessern, oder sich angezogen fühlte durch die wirklich guten Eigenschaften Schilder’s – denn er war kerngesund, gutmüthig, grundehrlich, treu und fleißig – sicher ist, daß sie vor Allem einen Ernährer ihrer Kinder in ihm zu heirathen meinte. Aber sie sah sich schwer getäuscht. Auch in nüchternen Stunden zeigte sich der neue Gatte argwöhnisch, eifersüchtig, jähzornig und nur zu geneigt, bösen Einflüsterungen ein williges Ohr zu leihen, mit denen seine Mutter und Schwestern ihn reichlich versorgten. Bedauert und aufgehetzt von seiner Familie, trug er dieser das verdiente Geld zu und gab murrend von dem Reste Weniges in den Haushalt seiner Frau. Während diese also schon wenige Monate nach Eingehung der neuen Ehe erkannte, daß sie nur den lieben Frieden ihres Heims geopfert habe, ohne irgend eine Erleichterung in ihrer vielen und schweren Arbeit zu gewinnen, im Gegentheile nach wie vor für ihre Kinder allein sorgen müsse, und ihre Verbindung mit Schilder tief bereute, brachte dieser eines Tages ganz plötzlich und unerwartet, zum größten Schrecken und Staunen seiner Frau, seine Mutter und drei Schwestern dauernd in’s Haus. Das häusliche Elend, welches dadurch für Robert, dessen Geschwister und vor Allem für dessen Mutter geschaffen wurde, war grenzenlos. Die neuen Ankömmlinge waren völlig ungebildete, rohe und zanksüchtige Menschen, die unter einander und mit Schilder’s Frau und Stiefkindern unaufhörlich haderten und stritten. Den Mann gegen die Frau aufzuhetzen, schien ihnen Lebensbedürfniß. Robert stand mit blutendem Herzen in dieser heillosen Wirthschaft. Das Leiden der Mutter erdrückte ihn fast. Inniger als je schloß sich Robert’s Herz an Mutter und Schwester. Stolz und ohne jede Heuchelei von Liebe, die er nicht empfand, trat er den neuen Tanten gegenüber. Mit Stichelreden und rohen Mißhandlungen wurde ihm von der Sippschaft vergolten. Unwirsch und gereizt durch das stete häusliche Gezänk, ward Schilder immer verdrießlicher und liebloser; zuletzt mißhandelte er im Trunke sein treues Weib, zum Lohne für ihre unendliche Anstrengung und Arbeit. Mehrere Monate dauerte dieses unselige Verhältniß – bis endlich Robert’s Mutter mit dem Muthe der Verzweiflung ihrem Manne die Wahl stellte: mit ihr ohne die Seinen, oder mit den Seinen ohne sie und ihre Kinder zu leben. Dieser Energie der Frau beugte sich der im Grunde gutmüthige Mann, indem er sie dauernd von seinen Angehörigen befreite.

      Elend blieb auch so genug noch übrig. Johannes starb im ersten Jahre der neuen Ehe an der Schwindsucht, bis an’s Ende von Robert treu gepflegt und nach Kräften erheitert. Der lange Zwist, Verdruß und Kummer hatten tief am Herzen der Mutter genagt. Viermal nach einander hat sie nach Eingehung der neuen Ehe zu früh geboren. Fortdauernde Kränklichkeit und Entkräftung waren die Folgen. Gicht und Lähmung traten schon jetzt bei ihr ein, um sie niemals mehr zu verlassen.

      Mit besonderer Liebe wandte sich Robert nach dem Tode seines Bruders dem Schwesterchen zu. Er war der Schutzgeist ihrer Kindheit und Jugend; er unterrichtete sie, spielte mit ihr, darbte sich oft einen guten Bissen ab, um ihr eine Freude zu machen, und hatte er Kleinigkeiten an Geld, so wurden sie zu einem Spielzeug, einer Leckerei &c. für die Kleine. War Gretchen einmal unartig, so brauchte er nur zu sagen: „Lieb’ Gretchen, thue das nicht mehr!“ und das Verbotene


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