Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil. Döring Georg

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      Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil

      1

      Die zwei hoffnungsvollen Schüler des Leydener Professors Eobanus Hazenbrook hatten, als sie ihn am heutigen Morgen verließen, ihre Schritte zum Haven von Rotterdam gelenkt. Es dünkte ihnen wahrscheinlich, daß Clelia van Vlieten mit ihrem Herzallerliebsten zu Wasser entflohen sey, indem sie hier nicht so leicht eine Entdeckung und Verfolgung zu fürchten hatten, als auf einem Landwege.

      »Sandis!« sagte Le Vaillant, als sie an der vorüberströmenden Maas standen und zahllose Schiffe ab- und zufahren sahen, »wir sind ein Paar irrende Ritter geworden aus den Zeiten der Tafelrunde und ziehen auf Abentheuer, wie die Helden Lancelot und Parcival. Aber wo ist unsere Dame vom See, wo ist das heilige Graal? – Da fahren Schiffe nach Ost- und Westindien, nach Constantinopel und Copenhagen, sie alle wissen das Ziel ihrer Reise, den Weg, den sie zu nehmen haben, aber wir stehen schon hier, wie vor einem bezauberten Schlosse, das uns hundert Pforten zeigt, aber keine vor uns aufthut, weil wir den Talisman nicht kennen, der sie eröffnet.«

      »Es wird sich Alles finden!« erwiederte der ruhige La Paix. »Nur nichts übereilt, nur nicht Sturm gelaufen am unrechten Orte. Festina lente! sagen die Alten und der Professor, und ein Sprüchlein, das sich seit tausend Jahren bewährt hat, kann uns wohl auch zum Frommen gereichen. Haben wir doch jetzt Ferienzeit, Geld im Sacke und sind der Aufsicht des lästigen Professors entledigt. Mag er seine egyptische Gelehrsamkeit auskramen, wo er will, uns soll das freie Leben behagen und wenn wir in dieser Zeit den Musen opfern, so müssen es holländische seyn im Spitzenhäubchen und Silbermieder!«

      »Cadédis!« rief sein Freund. »Das heißt weise gesprochen. Wir wollen deine Lebensphilosophie so lange in’s Praktische übersetzen, wie es unsere Gelder aushalten. Aber die Hauptsache ist, daß wir erst wissen, wo der Wind die Amasia hingeweht hat, die wir aufsuchen sollen. Ist es zu Lande, so führen wir in unsern Börsen Alles, was wir bedürfen; ist es aber zu Wasser, so müssen wir reichlich für die nothwendigsten Lebensmittel sorgen: als da sind geräucherte Würste, Wildpret, Austern, Mandeln, Rosinen und Zucker; dann jene Getränke, deren wir durchaus bedürfen, um Jugend und Leben zu conserviren: den belebenden Genever, den kräftigen Rhum, den beruhigenden Burgunder und das treffliche Bier aus Löwen, dem man mit Recht den königlichen Namen des Pharao gegeben hat.«

      »Nimm dich in Acht!« ermahnte La Paix und zeigte mit der erhobenen Hand nach einem Manne in der Kleidung eines gemeinen Schiffers, der schlafend so hart am Rande des Havenbassins lag, daß er bei der geringsten Bewegung hinabfallen konnte. »Nimm dir ein Beispiel an dem Burschen! Der scheint auch dem hold belebenden Genever so lange zugesprochen zu haben, bis er den Gang am Havenbassin für seine Hangematte angesehen und sich unbekümmert hingelegt hat zum Schlafe, aus dem ihn ein unruhiger Traum in den ewigen befördern kann. Komm her, Le Vaillant! Wir wollen ein gutes Werk thun! Nimm du den Schläfer bei den Schultern, ich nehme ihn an den Füßen. Da legen wir ihn zur Seite, mit dem Kopfe auf die Wollsäcke dort, und wir können so uns einbilden, ein Menschenleben gerettet zu haben.«

      Le Vaillant griff sogleich zu. Aber er that dieses so derb, daß der Seemann, während sie ihn nach dem von La Paix bezeichneten Platze trugen, halb erwachte und, ihr Benehmen mißverstehend, heftig mit den Fäusten um sich schlug.

      »Seyd Ihr es, Myn Heer Cornelius van Daalen?« rief er, ohne die Augen zu öffnen, mit lallender Zunge und noch von der Macht des betäubenden Wachholderrausches befangen. »Soll ich Euch noch einmal an Bord der Syrene führen, wie ich in dieser Nacht gethan, mit der schönen Jungfer, die sich so gar innig an Euch schmiegte! Kommt nur her! Die Brücke liegt. Gleich sind wir drüben, wo Capitän Jansen Euch erwartet.«

      »Bei allen Reichthümern der Gascogne!« rief Le Vaillant, indem er den verstummenden Trunkenbold ziemlich unsanft auf die Wollsäcke hinwarf. »Jetzt wirst du dich doch überzeugen, daß der Wachholder gar kein zu verachtendes Getränk ist, denn er lös’t die Zungen und öffnet die Herzen. Er ist uns der Compaß geworden, nach dem wir unsere Fahrt regeln können. Aber der Bursch muß noch mehr reden! Ich will ihn mit meiner Degenspitze kitzeln, bis er munter genug geworden ist, um die ganze Entführungsgeschichte ausführlich zu erzählen.«

      »Bist du rasend?« sagte La Paix und hielt den Unbesonnenen zurück, der schon den Degen halb entblößt hatte. »Siehst du dort die stämmigen Bursche herumschlendern, seine Freunde und Cameraden, die jetzt gerade ein müßiges Stündchen hätten, um es bei der geringsten Gewaltthätigkeit gegen ihn, mit einer gymnastischen Uebung auszufüllen, die uns übel bekommen dürfte? Sieh, wie sie schon argwöhnisch ihre Blicke auf uns richten! Wir müssen die Sache anders anfangen. Wir wissen nun schon genug, um in wenigen Augenblicken ganz im Reinen seyn zu können. Laß mich nur machen! Jene selbst sollen uns das Uebrige sagen, aber dazu müssen wir ihr Vertrauen gewinnen.«

      Er beugte sich nun zu dem Schlafenden herab. Er faßte ihn so sanft und zart an, wie er nur vermochte, legte ihn möglichst bequem auf die Wollsäcke und steckte ihm, so daß es die näher tretenden und neugierig gaffenden Seeleute deutlich bemerken konnten, ein Stück Geld in die halbgeöffnete Hand.

      »Richtig!« sagte jetzt einer von diesen, der ganz nahe herangekommen war. »Es ist Peter Trip von der Barke Syrene, Capitän Jansen. Er kann das Trinken nicht lassen, bis ihn der Verstand verläßt und, ich wette zehn holländische Dreidecker gegen eine spanische Galliotte, daß er sich an derselben Stelle benebelt hat, wo Ihr ihn fandet. Aber woher mag er das Geld bekommen haben? Niemand borgt ihm mehr und sein Capitän hebt ihm schon seit lang den Sold auf, damit er in seinen alten Tagen etwas hat.«

      Indem die Schiffleute sich über diesen wichtigen Gegenstand in die scharfsinnigsten Vermuthungen verloren, zeigte sich La Paix noch immer thätig, dem Schlafenden eine recht bequeme Lage zu verschaffen. Er zupfte bald an den Wollsäcken, auf welchen er hingestreckt lag, bald suchte er ihn mit den in Unordnung gerathenen Kleidern gegen die kühle Luft zu verwahren, bald rückte er ihm den schweren sinkenden Kopf zurecht.

      »Bemühet Euch nicht so sehr um ihn!« hob jetzt wieder der Mann an, der vorher gesprochen hatte. »Er schläft jetzt sein Stück weg, bis der Wachholder all verdampft ist, der ihm den Kopf einnimmt. Er fühlt auch nicht, ob er weich oder hart liegt, denn seine Knochen sind die Steine mehr gewohnt, als ein Bett oder die Hangematte. Sein Herr ist heute Morgen in aller Frühe nach Antwerpen unter Segel gegangen. Der Peter thut nicht mehr gut auf dem Schiffe. Er ist zu steif und zu faul. Deshalb läßt ihn der Capitän immer daheim, damit er im Gewölbe die Kisten und Ballen verwahre, die für die nächste Fahrt eingebracht werden.«

      »Nach Antwerpen? Morgué! dahin müssen wir auch,« fuhr Le Vaillant unbesonnen heraus, »und noch in dieser Stunde.«

      Der französische Schwur, der übereilt seinen Lippen entflohen, machte sogleich die Matrosen stutzig. Sie sahen ihn finster an. Sie flüsterten einander ihre Vermuthungen zu und einige ballten schon drohend die kräftigen Fäuste, um sie im nächsten Augenblicke vielleicht den Feind des Vaterlandes empfinden zu lassen. Da trat der besonnene La Paix dem leichtsinnigen Freunde ebenso heftig, wie bedeutsam, auf den Fuß und sagte zu den Umstehenden mit seiner sanften, fast mädchenhaften Stimme:

      »Wir sind Wallonen, liebe Leute. Wir kommen von Leyden und wollen in die Heimath, um unsere Eltern zu besuchen. Aber wir haben Eile. Wir wären heute Morgen schon gern mit der Syrene abgefahren, doch sind wir zu spät gekommen und wir sahen die Barke schon in weiter Ferne, als wir am Haven anlangten. Da, Freunde, trinkt einmal auf unsere Gesundheit! Sagt mir aber auch, ob wir nicht gleich Gelegenheit finden können, auf irgend einem schnellen Fahrzeuge der Syrene nachzusegeln und sie noch während ihrer Fahrt zu erreichen?«

      »Nichts leichter, als das!« erwiederte sehr freundlich der Seemann, der sich selbst zum Sprecher aufgeworfen und das Geld genommen hatte. »Seht Ihr dort den Kutter, der eben anfängt sich zu bewegen und hin und her zu schaukeln auf den Wellen? Die Leute drauf sind im Begriff, die Anker zu lichten und in Zeit von fünf Minuten sind alle Segel


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