Anna Karenina, 1. Band. Лев Николаевич Толстой

Anna Karenina, 1. Band - Лев Николаевич Толстой


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hätte ich etwas übel aufzunehmen? O nein, dem ist durchaus nicht so,“ versetzte sie kühl, fügte aber dann sogleich hinzu, „habt Ihr Mademoiselle Linon gesehen?“

      „Noch nicht.“

      „Geht doch zu ihr; sie liebt Euch so sehr.“

      „Was soll das heißen?“ dachte Lewin, „ich habe sie gekränkt, Herr, steh mir bei!“ Er lief zu der alten Französin hin mit den weißen Locken, die drüben auf der Bank saß. Lächelnd und ihre falschen Zähne zeigend, begrüßte sie ihn als alten Freund.

      „Ja, ja, wir sind gewachsen,“ sagte sie, mit den Augen auf Kity weisend, „und wir werden älter. Tiny bear ist groß geworden!“ fuhr die Französin lachend fort und erinnerte ihn damit an seinen Scherz über die jungen Herrinnen, die er einst die drei Bären aus dem englischen Märchen genannt hatte. „Wißt Ihr noch, wie Ihr zu sagen pflegtet.“

      Er konnte sich durchaus nicht mehr hierauf besinnen, aber sie lachte nunmehr schon ins zehnte Jahr über jenen Scherz und sie liebte denselben.

      „Nun, fahrt nur immer zu, fahrt. Unsere Kity hat gut Schlittschuhlaufen gelernt, nicht wahr?“

      Als Lewin wieder zu Kity zurückkehrte, war ihr Gesicht nicht mehr so ernst, ihre Augen blickten wieder so ehrlich und freundlich, aber ihm schien es, als läge in ihrer Freundlichkeit ein seltsamer, nachdenklich ruhiger Ton. Auch er wurde nachdenklich. Er begann von der alten Gouvernante und von ihren Eigenheiten zu sprechen; sie aber frug ihn nach seinem Leben.

      „Ist es Euch nicht zu langweilig auf dem Dorfe?“ sagte sie.

      „O nein; langweilig ist es da nicht; ich habe sehr viel zu thun,“ antwortete er ihr, empfindend, daß sie ihn ihrem ruhigen Tone unterordnete, dem zu entweichen er sich nie imstande fühlen würde, obwohl es im Beginn des Winters war.

      „Seid Ihr für längere Zeit hierher gekommen?“ frug Kity.

      „Ich weiß noch nicht,“ antwortete er, ohne zu überlegen, was er sprach.

      Der Gedanke, daß er wiederum unverrichteter Sache von dannen gehen werde, falls er sich dem nämlichen ruhigen Freundschaftston hingeben würde, wie sie, kam ihm in den Kopf und er entschloß sich, Mut zu fassen.

      „Inwiefern wißt Ihr das nicht?“

      „Ich weiß nicht. Es hängt dies ganz von Euch ab,“ sagte er, erschrak aber sofort über seine eigenen Worte.

      Hörte sie diese nicht, oder wollte sie sie nicht hören, aber sie schien zu straucheln, stieß zweimal mit dem Füßchen auf das Eis und fuhr dann hinweg von ihm. Sie schwebte zu Mademoiselle Linon, sagte ihr einige Worte und begab sich dann nach dem Häuschen, wo die Damen ihre Schlittschuhe ablegten.

      „Mein Gott, was habe ich angerichtet, mein Gott! Hilf mir und rate mir,“ sagte Lewin zu sich, gleichsam betend, und dabei zugleich in der Empfindung des Bedürfnisses nach einer heftigen Bewegung, ausstreichend und nach auswärts und innen Kreise ziehend.

      In diesem Augenblicke kam ein junger Mann, der beste der jüngeren Schlittschuhläufer, die Cigarette im Munde, auf seinen Schlittschuhen aus dem Café heraus; er lief, eilte auf den Schlittschuhen die Stufen herab, lachend und springend und flog dann auf dem Eise davon, ohne die freie Haltung seiner Arme zu verändern.

      „Aha, ein neues Kunststückchen,“ sagte Lewin, und lief sofort nach oben um das neue Kunststückchen zu versuchen.

      „Fallt nicht, das will geübt sein!“ rief ihm Nikolay Schtscherbazkiy zu.

      Lewin trat auf einen Vortritt, und sprang herab, bei der ungewohnten Übung das Gleichgewicht mit den Armen haltend. Auf der letzten Stufe blieb er hängen und berührte leicht das Eis mit der Hand, machte aber eine heftige Bewegung, schnellte auf und flog lachend hinaus auf die Fläche.

      „Ein wackerer Bursch,“ dachte Kity dabei, als sie aus dem Häuschen heraustrat in der Begleitung der Mademoiselle Linon. Sie blickte dabei mit stillem Lächeln nach ihm hinüber, wie nach einem lieben Bruder. „Bin ich denn schuld, habe ich etwas Übles gethan? Man sagt, das sei Koketterie. Ich weiß, daß ich ihn nicht liebe, und doch bin ich gern in seiner Gesellschaft, er ist so wacker. Warum sagte er das auch gerade?“ dachte sie.

      Als Lewin Kity mit ihrer Mutter, die ihr auf den Stufen entgegenkam, fortgehen sah, blieb er, errötet von der schnellen Bewegung, stehen und versank in Nachdenken. Er schnallte die Schlittschuhe ab und holte dann Mutter und Tochter am Ausgange des Gartens ein.

      „Sehr erfreut, Euch wiederzusehen,“ sagte die Fürstin, „Donnerstag, wie ja immer, empfangen wir.“

      „Nicht heute vielleicht auch?“

      „Wird uns sehr angenehm sein,“ versetzte die Fürstin trocken.

      Diese Trockenheit erbitterte Kity, und diese konnte sich nicht enthalten, die Kälte ihrer Mutter zu mildern. Sie wandte das Haupt nach ihm um und sprach lächelnd:

      „Auf Wiedersehen.“

      In diesem Augenblick erschien Stefan Arkadjewitsch, den Hut schief auf der Seite mit glänzenden Mienen und Augen, wie ein wohlgelaunter Sieger im Garten. Als er sich indessen der Tante genähert hatte, antwortete er mit schuldbewußtem Gesicht auf ihre Fragen betreffs des Befindens von Dolly. Nachdem er so halblaut und zerknirscht mit der Tante eine Weile gesprochen hatte, warf er sich wieder in die Brust, und nahm Lewin unter dem Arme.

      „Nun, was thun wir, wollen wir fahren?“ frug er, „ich habe immer an dich gedacht und bin sehr, sehr glücklich, daß du gekommen bist,“ sprach er, Lewin bedeutungsvoll ins Auge blickend.

      „Fahren wir, fahren wir,“ antwortete dieser beglückt, ohne den Klang der Stimme aus dem Ohre zu verlieren, die da gesagt hatte, „auf Wiedersehen“. Er sah noch das Lächeln mit welchem die Worte gesprochen worden waren.

      „Gehen wir nach England oder in die Eremitage?“

      „Mir ganz gleichgültig.“

      „Nun, also nach ‚England‘“, fuhr Stefan Arkadjewitsch fort, „England“ deshalb wählend, weil er daselbst mehr Schulden hatte, als in der Eremitage. Er hielt es daher nicht für geraten, dieses Hotel zu meiden. „Du hast wohl einen Kutscher? Gut, ich habe nämlich meinen Wagen entlassen.“

      Die beiden Freunde legten schweigend den ganzen Weg zurück. Lewin dachte an das, was jene Veränderung im Gesichtsausdruck Kitys bedeutet haben mochte, und er überzeugte sich bald, es sei Hoffnung für ihn vorhanden, bald geriet er in Mutlosigkeit und erkannte klar, seine Hoffnung sei sinnlos. Nichtsdestoweniger fühlte er sich aber als einen ganz anderen Menschen, nicht mehr demjenigen ähnlich, der er gewesen war just bis zu jenem Lächeln hin, zu jenen Worten „auf Wiedersehen“!

      Stefan Arkadjewitsch stellte während dessen das Menu des Diners zusammen. „Liebst du nicht turbot?“ frug er Lewin während der Fahrt.

      „Was sagtest du?“ frug Lewin, „turbot? O ja, ich liebe den turbot außerordentlich.“

      10

      Als Lewin mit Oblonskiy in das Hotel trat, entging ihm nicht ein gewisser eigenartiger Ausdruck, ähnlich dem eines verhaltenen Aufglänzens auf dem Gesicht und in der ganzen Erscheinung Stefan Arkadjewitschs.

      Oblonskiy nahm seinen Überzieher ab und trat mit schiefsitzendem Hute in den Speisesalon, den sich an seine Sohlen haftenden Tataren im Frack und mit der Serviette einige Befehle erteilend. Er grüßte nach rechts und links die Anwesenden, und ging dann, wie stets seine Bekannten freundlich bewillkommend, an das Büffet, nahm ein Glas Branntwein mit Fisch und sagte der geschminkten, mit bunten Bändern und Krenzchen behängten Französin, die im Kontor saß, einige Worte, infolge deren sogar diese Französin herzlich lachte. Lewin trank nur deshalb keinen Branntwein, weil ihm die Französin widerwärtig war, die wie es schien nur aus falschen Haaren, poudre de riz und vinaigre de toilette zusammengesetzt war. Wie vor einem Schmutzhaufen, so wandte er sich hastig von ihr ab. Sein ganzes Inneres war von der Erinnerung an Kity erfüllt und in seinen Augen glänzte ein Lächeln des Triumphes und des Glückes.

      „Bitte hierher, Ew. Excellenz, man wird hier Ew.


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