Anna Karenina, 1. Band. Лев Николаевич Толстой

Anna Karenina, 1. Band - Лев Николаевич Толстой


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ist zunächst nicht der Fall, und dann, selbst wenn dem so wäre, warum?“

      „Ihr werdet doch auf den Ball fahren?“ frug Kity.

      „Ich denke, es wird nicht zu umgehen sein. – Da nimm ihn,“ sagte sie zu Tanja, welche ihr den leicht von ihrem weißen Finger herabgehenden Ring abgezogen hatte.

      „Ich werde mich sehr freuen, wenn Ihr mitkommt, denn ich möchte Euch gar zu gern auf dem Balle sehen.“

      „Nun, wenn denn einmal gefahren sein muß, so werde ich mich mit dem Gedanken trösten, daß dies eben Euch Vergnügen macht. Grischa, zerr' nicht so, bitte; sie haben mich schon ganz derangiert,“ sprach sie, eine in Unordnung geratene Haarflechte, mit der Grischa gespielt hatte wieder zurechtsteckend.

      „Ich denke mir Euch auf dem Ball in Lila.“

      „Weshalb gerade in Lila?“ lächelte Anna. „Kinder geht jetzt, geht! Hört ihr? Miß Goul ruft euch zum Thee,“ fuhr sie fort, die Kinder von sich losmachend und sie nach dem Speisesalon dirigierend. „Ich weiß übrigens, weshalb Ihr mich zu der Teilnahme am Balle einladet. Ihr versprecht Euch viel von demselben und wünscht, daß jedermann dort und Teilhaber dabei sein möchte.“

      „Woher wißt Ihr das? Allerdings.“

      „O, wie schön ist doch Euer Alter,“ fuhr Anna fort, „ich entsinne mich noch jenes blauen Nebels, ähnlich dem, der sich über die Berge der Schweiz lagert, jenes Nebels, der alles in dieser glückseligen Zeit überdeckt, da die Kindheit für uns aufgehört hat und aus ihrem grenzenlosen Kreise des Glückes und der Lust ein Weg, enger und enger werdend, in Heiterkeit und Scherz in diese Enfilade hineinführt, obwohl er hell und angenehm erscheint. Wer hätte diesen Weg nicht durchschritten?

      Kity lächelte schweigend, „sie hat ihn gewiß zurückgelegt, was gäbe ich nicht darum, könnte ich ihren ganzen Roman in Erfahrung bringen,“ dachte sie und vergegenwärtigte sich dabei das unpoetische Äußere Aleksey Aleksandrowitschs, ihres Gatten.

      „Ich bin schon in einigem unterrichtet, Stefan erzählte mir davon; ich gratuliere; er gefällt mir sehr,“ fuhr Anna fort, „ich traf mit Wronskiy auf der Eisenbahn zusammen.“

      „Ah; er war dort?“ frug Kity errötend, „was hat Euch Stefan erzählt?“

      „Er hat mit mir nur leichthin geplaudert; ich wäre sehr froh gewesen – Gestern bin ich mit der Mutter Wronskiys hierher gereist,“ fuhr sie fort, „und diese hat mir in einem fort von ihm erzählt, er ist ihr Liebling. Ich weiß, wie leidenschaftlich Mütter für ihre Kinder eingenommen sein können, aber“ —

      „Was hat Euch denn seine Mutter erzählt?“

      „O, viel! Ich weiß wohl, daß er ihr Liebling ist, aber es ist trotzdem auch sichtbar, daß er auch der vollendete Kavalier ist. Nun, zum Beispiel hat sie mir erzählt, daß er sein ganzes Besitztum seinem Bruder überlassen wollte, daß er bereits in seiner Jugend eine ungewöhnliche That vollbracht habe, indem er ein Weib aus dem Wasser errettete. Mit einem Worte, er ist ein Heros,“ sagte Anna lächelnd, und sich dabei der zweihundert Rubel erinnernd, die er auf der Station geschenkt hatte.

      Doch von diesen erzählte sie nichts, weil es ihr unangenehm war, an das Vorkommnis zurückzudenken. Sie empfand, daß in der Sache etwas auf sie selbst Weisendes gelegen hatte, etwas, das nicht hätte sein dürfen.

      „Sie hat mich lebhaft gebeten, zu ihr zu kommen,“ fuhr Anna fort, „und ich werde mich freuen, die liebe alte Dame wiedersehen zu können. Morgen gedenke ich daher zu ihr zu fahren. Indessen – Gott sei gedankt – Stefan bleibt lange bei Dolly im Kabinett,“ fügte sie alsdann hinzu, das Thema wechselnd und sich erhebend; wie es Kity schien, mochte sie mit irgend etwas unzufrieden sein.

      „Nein, ich will zuerst zur Tante! Nein ich! Nein ich!“ schrieen jetzt die Kinder, welche mit Theetrinken fertig waren und wieder zur Tante Anna geeilt kamen.

      „Alle zusammen sollen bei mir sein!“ rief diese, ihnen lachend entgegenlaufend und sie umarmend, worauf sie die ganze Schar der sich tummelnden und vor Lust laut hinausschreienden Kinder über den Haufen warf.

      21

      Zur Theestunde für die Erwachsenen erschien Dolly aus ihrem Zimmer; Stefan Arkadjewitsch kam nicht mit. Er mochte wohl, das Gemach der Gattin verlassend, einen Ausgang nach hinten benutzt haben.

      „Ich fürchte, es wird dir oben zu kalt werden,“ wandte sich Dolly zu Anna, „und wünschte recht sehr, dich mehr nach unten zu placieren; wir sind uns dann auch näher.“

      „O, meinetwegen beunruhige dich nicht,“ antwortete Anna, in das Gesicht Dollys blickend und sich bemühend aus ihm herauszulesen, ob die Aussöhnung zustande gekommen sei oder nicht.

      „Es wird dir hier zu hell sein,“ versetzte die Schwägerin.

      „Ich sage dir, daß ich überall schlafen kann und stets wie ein Murmeltier schnarche.“

      „Wovon sprecht ihr denn?“ frug Stefan Arkadjewitsch, aus dem Kabinett hereintretend und sich an seine Frau wendend.

      An seinem Tone erkannten Anna und Kity sofort, daß die Aussöhnung zustande gekommen war.

      „Ich will Anna tiefer einlogieren, es müssen aber die Gardinen anders gesteckt werden. Niemand versteht dies jedoch richtig zu machen, ich muß es daher selbst thun,“ antwortete Dolly, sich an ihren Gatten wendend.

      „Wer weiß ob die schon vollkommen ausgesöhnt sind,“ dachte Anna, als sie den kalten ruhigen Ton der Stimme Dollys vernahm.

      „O, es ist genug so, Dolly, mach dir nicht zu viel Umstände,“ sagte Stefan Arkadjewitsch, „wenn du aber willst, so werde ich selbst alles thun.“

      „Aha, es muß wohl so sein; sie sind versöhnt,“ dachte Anna.

      „Ich weiß schon, wie du alles thust,“ erwiderte Dolly, „du sagst dem Mattwey, er möge thun, was sich gar nicht ausführen läßt, fährst dann fort von hier und er bringt alles durcheinander;“ das gewohnte spöttische Lächeln verzog die Mundwinkel Dollys bei diesen Worten.

      „Die Versöhnung ist vollständig, vollständig,“ dachte Anna, „Gott sei gedankt!“ und in der Freude darüber, daß sie die Ursache derselben war, trat sie zu Dolly hin und küßte dieselbe.

      „Es ist ganz und gar kein Grund vorhanden, wegen dessen du mich und den Mattwey so über die Achsel ansehen könntest,“ sagte Stefan Arkadjewitsch, mit kaum merkbarem Lächeln sich zu seinem Weibe wendend.

      Den ganzen Abend hindurch war Dolly, wie stets, ein wenig zu einem gewissen leichten Spotte gegen ihren Gatten gestimmt, doch dieser selbst befand sich in sehr zufriedener und heiterer Stimmung, gleichwohl aber nicht so weit, daß er damit gezeigt hätte, er habe nach erlangter Verzeihung seinen Fehltritt schon vergessen.

      Um halb zehn Uhr abends wurde jedoch die ausnehmend lustige und angenehme Unterhaltung im Familienkreis beim Theetisch der Oblonskiy durch ein dem Anschein nach höchst harmloses Ereignis plötzlich gestört; dieses harmlose Ereignis erschien indessen allen aus einem unbekannten Grunde seltsam.

      Als man von den allgemeinen Petersburger Verhältnissen sprach, stand Anna Karenina plötzlich schnell auf.

      „Sie befindet sich in meinem Album,“ sagte sie, „und ich werde sogleich auch meinen Sergey zeigen,“ fügte sie mit dem stolzen Lächeln der Mutter hinzu.

      Um die zehnte Stunde, wo sie für gewöhnlich von ihrem Söhnchen Abschied nahm und ihn sogar oft selbst, bevor sie etwa auf einen Ball fuhr, zu Bett brachte, befiel sie Traurigkeit darüber, daß sie jetzt so weit von ihm entfernt sei. Wovon man auch sprechen mochte, sie blieb unzugänglich und ihre Gedanken schweiften fortwährend zu ihrem lockigen Sergey zurück. Jetzt wollte sie wenigstens sein Bildnis betrachten und von ihm reden. Unter dem ersten besten Vorwand der sich bot, erhob sie sich und ging mit ihrem elastischen energischen Gang nach dem Album. Die Treppe nach oben führte auf einen kleinen Vorsaal und ging dann als geheizte Zwischentreppe nach ihrem Zimmer.

      Gerade zur Zeit, als sie den Salon verließ, wurde im Vorzimmer die Glocke laut.

      „Wer


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