Halbtier. Böhlau Helene

Halbtier - Böhlau Helene


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hatte sie den Rücken ihrer Hausbürste benutzt, als sie aber die Nägelmale in dem polierten Holz merkwürdiger Weise wahrnahm, war sie bedächtig genug gewesen, nach etwas Anderem Umschau zu halten.

      Auf das Postamentchen wurde der Schädel gesetzt.

      Und wie er seinen Platz eingenommen hatte und mit seinen hohlen Augen geheimnisvoll grinsend über das purpurne Bett hinwegsah, geschah etwas ganz Wunderliches: des Schriftstellers Heinrich Ewald Frey’s Tochter, Isolde, im glücklichen, zu allen Überschwenglichkeiten geneigten Alter von siebzehn Jahren, fiel auf die Kniee, reckte die Hände zum Schädel auf und sagte mit heißen Thränen in den Augen: „Du Mensch aller Menschen!“

      Über ihr zartes Gesicht mit den tiefen dunkeln Augen ging etwas Verzücktes, etwas Überirdisches, etwas Bräutliches, eine wundervolle Verliebtheit, wie sie in manchen siebzehnjährigen Naturen zu Tage tritt, die nicht wissen, wo ein und aus mit der Fülle ihres Wesens.

      Und diese süße Liebeswonne schüttete sie über das braune, grinsende Knochengehäuse aus, wie eine Nonne über eine heilige Reliquie.

      Sie sah aber einen eleganten jungen Mann vor sich, mit französisch zugestutztem Spitzbart, einer schönen Stirn, in die das kurzgeschorne Haar in scharfem Winkel hineingewachsen war; einen jungen Mann, der sich im Hochsommer in weißen Flanell zu kleiden liebte.

      Ja, es war da etwas, eine Ähnlichkeit in der Kopfform, die ihr verliebter Blick vom Fenster aus entdeckt hatte.

      Wie sie das große Geheimnis bewegte!

      Und dieser Schädel war so neutral. Sie vergab sich nichts. Ihm gegenüber gingen die Dinge in einer andern Sphäre vor sich, in einer Sphäre, in der alles Eins geworden, alles zusammengeflossen ist.

      Sie empfand etwas so Beruhigendes und konnte sich gehen lassen.

*

      Die verriegelte Thür wurde kräftig zu öffnen versucht.

      „Déesse!“ rief eine heftige Stimme. „Sapperlot!“

      Wie aus tiefem Schlaf erwacht sagte sie „Papa?“

      „Seid ihr denn alle des Kuckucks! Ihr wißt doch, daß ich in einer Stunde …“

      Da war schon die Thür aufgeriegelt und ein großer blonder Mann mit rötlichem Gesicht, vollem lockigen Haar, das aber auf dem Wirbel einem Glätzchen gewichen war, trat ein.

      Eine markige Persönlichkeit.

      „Weibergegacker! – Draußen laufen sie wie die Hühner umeinand’! Und was machst du denn hier, Déesse? Mein Handkofferl sollt doch gepackt sein?

      Ich werd euch mal Beine machen! Fertig sollt’s sein und die Mutter bügelt noch an den Stärkhemden. Zum Teufel, – ich will gar keine Stärkhemden! – Touristenhemden will ich.“

      Das kam alles herausgepoltert. Das ganze Zimmer war voller Lärm und Spektakel, als wäre ein Bergstrom hereingebrochen.

      Das war Doktor Heinrich Ewald Frey, Schriftsteller und Allerweltsmann, Vereinsmann, Redner, voraussichtlicher Reichstagsabgeordneter und so weiter.

      „Na also, packen wir,“ sagte das schöne rassige Geschöpf in aller Ruhe.

      „Na also? – Großartig! Was soll denn das ‚Na also‘? Fertig hätt’s sein sollen. Thu net so großartig, Déesse!“ Dabei kniff er sie in die zarte Wange „Götterköpfchen verdammtes!“

      „Wo hast du denn dein Kofferl, Pa?“

      „Hab’s denn ich?“

      Frau Doktor Frey trat herein und trug das Kofferchen in der Hand.

      Auf ihrer Stirn glänzten feine Schweißtropfen.

      „Hättest du mir’s nur gesagt, Heinrich! Gestern abend sollte doch nichts daraus werden bei schlechtem Wetter?“

      „Schlechtem Wetter? Ist denn das schlechtes Wetter, wann das Barometer gestiegen ist wie noch nie? Schau doch erst nach, eh du denkst.

      Meine Stiefel!“

      „Na, ich meine, wenn es gießt,“ sagte Frau Doktor Frey zaghaft.

      „Ja, wenn du anfängst zu denken!“ donnerte er. „Meine Stiefel und die beiden rohseidenen Hemden.“

      „Heut machst du dich ja fein,“ sagte Isolde.

      „Paar Berliner Schriftsteller! Solchen Gockeln muß man … den Kofferschlüssel! Herr Gott noch einmal!

      Wo ist denn die Marie?“

      „Du hast ja dein’ Schlüssel an die Uhrkett’ gehängt für alle Fäll’,“ sagte Isolde.

      „Vorlauter Schnabel!“ Der Vater blinzelte ihr zu. „Wo ist Marie?“

      „Marie bügelt die Stärkwäsch,“ sagte die Mutter.

      „Wenn der Vater abreist, hat sie dabei zu sein; wär’ net übel! Wenn wir die Idee der Familie nicht aufrecht erhalten, wer soll’s denn thun? Eins da, das andre dort, der Vater reist ab – kein Hahn kräht danach – das ist ja – weiß Gott – großstädtisch!

      Meinen Rucksack! Marie!“ donnerte er abermals.

      Frau Doktor Frey war schon vordem aus dem Zimmer gegangen, um Marie zu holen.

      Jetzt traten sie miteinander ein.

      „Marie, dein Vater reist ab,“ sagte er mächtig.

      „Ja Papa. Auf wie lang denn?“

      „Drei bis acht Täg’ denk ich; wenn wir das Kaisergebirg mitnehmen, acht Täg.“

      „Du Glücklicher!“ sagte Marie aufatmend.

      „Hat sich was ‚Glücklicher‘! Wenn ich mich net zeig – Teufel auch – die tanzten mir bald auf der Nasen. —

      Was ist denn das?“ rief er ganz perplex.

      Seine Blicke hatten den Schädel gestreift.

      Frau Doktor Frey und Marie bemerkten ihn auch erst jetzt.

      „Jesses! über das Mädchen!“ rief die Mutter.

      „’nen Kapuziner, Déesse, dumme Gans, was bedeutet denn das?“

      Das Mädchen war errötet bis in die Stirnhaare.

      „Zu allererst kommt es bei dem Weib darauf an, daß die Lebensfreudigkeit gewahrt wird,“ predigte Doktor Heinrich Ewald Frey wieder mächtig. „Das ist notwendig, daß das Weib lebensfreudig bleibt.“

      Ein strafender Blick streifte Frau Doktor Frey.

      „Das Weib soll auch religiös sein. Ein Schädel hat immer etwas mit Religion zu thun. – Wenn du dir den Schädel nicht aus Verschrobenheit, aus unverstandenem Pessimismus heraufgeholt hast, mag er bleiben.“

      Marie war erblaßt.

      „Ide!“ sagte sie zu ihrer Schwester leise, „der soll doch net bleiben?“

      „Papachen,“ begann Frau Doktor Frey sanft und freundlich. „Eh’ du gehst, – Karl kann sich nicht auf der Schule halten, – ich glaub’ mal nicht. Ich war auch heut beim Direktor. Er kommt auch dies Jahr nicht fort.“

      „Es muß sich eben ein Hilfslehrer finden, um ihn wieder flott zu machen. Emil hat’s auch geleistet. Verpimple ihn nur recht! – Was nutzt es denn, wenn du bis in die Nacht hinein mit ihm über seinen Arbeiten hockst? Dazu gehört ’was mehr als so ein Hennenhirn.“

      In das verarbeitete Gesicht mit den schönen Formen stieg eine flüchtige Röte auf.

      „Darum eben müssen wir sorgen, daß sich jemand findet.“

      „Ich werde am Kegelabend mal mit dem Direktor reden. – Weiber sollen die Hände aus dem Spiel lassen! Möcht’ wissen, ob hinter mir immer ein Unterrock gestanden hat. Du mit deinen paar lateinischen Brocken – daß i net lach! Laß den Jungen in Ruh!“

      „Hättest du mich gewähren lassen,“ sagte die Frau klagend, „wär Isolde jetzt wenigstens eine Person, die etwas leisten könnte. Sie würde sich ihr Brot bald selbst verdienen,“ –


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