Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland. Lagerlöf Selma

Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland - Lagerlöf Selma


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während Gösta Berling sie mit Schnee rieb und abwechselnd weinte und sie küßte. Sie empfand ein unsagbares Verlangen, nur eine Hand so weit erheben zu können, um seine Liebkosung zu erwidern.

      Sie erinnerte sich alles dessen, was geschehen war, lag starr und unbeweglich da und dachte so klar wie nie zuvor. Liebte sie Gösta Berling? Ja, das tat sie. War es nur eine Laune, die mit dem heutigen Abend gekommen war und ebenso schnell wieder schwinden würde? Nein, sie hatte ihn schon lange geliebt – seit vielen Jahren.

      Sie verglich sich selber mit ihm und mit den andern Menschen in Wermland. Sie waren alle unmittelbar wie die Kinder. Jedem Gelüst, das sie ankam, gaben sie nach. Sie lebten nur ein äußerliches Leben, hatten nie die Tiefen ihrer Seele erforscht. Sie aber war so geworden, wie man zu werden pflegt, wenn man sich in der Fremde unter Menschen bewegt; sie konnte sich nie ganz hingeben. Wenn sie liebte – ja, sie mochte sich noch so sehr bemühen –, so stand die eine Hälfte ihres Ich gleichsam da und schaute mit einem kalten, höhnischen Lächeln zu. Sie hatte sich nach einer Leidenschaft gesehnt, die kommen und sie in wilder Besinnungslosigkeit mit fortreißen würde. Und nun war er, der Gewaltige, gekommen. Als sie Gösta Berling auf dem Balkon küßte, da hatte sie sich selbst zum erstenmal vergessen.

      Und jetzt überkam sie die Leidenschaft von neuem, ihr Herz arbeitete, so daß sie sein Pochen hören konnte. Erhielt sie denn noch immer nicht die Herrschaft über ihre Glieder zurück? Sie empfand eine wilde Freude bei dem Gedanken, aus ihrem Heim verstoßen zu sein. Jetzt wollte sie ohne Bedenken Göstas Gattin werden. Wie dumm war sie doch gewesen, wie viele Jahre hatte sie nicht ihre Liebe bekämpft. Ach, herrlich, herrlich ist es, der Liebe nachzugeben, das Brausen des Blutes zu fühlen! Würde sie denn aber nimmer, nimmer die Eisfesseln abschütteln! Bisher war sie im Innern Eis gewesen, und Feuer nach außen hin, jetzt war das Gegenteil eingetreten – in einem Eiskörper brannte eine Feuerseele.

      Da fühlte Gösta, wie sich zwei Arme um seinen Hals legten, er empfand einen schwachen, kraftlosen Druck.

      Er konnte ihn nur eben empfinden, Marianne aber glaubte, daß sie der in ihrem Innern eingeengten Leidenschaft in einer heftigen Umarmung Luft gemacht habe.

      Als aber Beerencreutz dies sah, ließ er das Pferd auf dem wohlbekannten Wege laufen, wie es wollte. Er erhob den Blick und starrte hartnäckig und unverwandt zu dem Siebengestirn empor.

      Die alten Gefährte

      Freunde, Menschenkinder! Sollte der Zufall es so fügen, daß ihr dieses in später Nacht leset, so wie ich es jetzt in den stillen Nachtstunden niederschreibe, da sollt ihr nicht erleichtert aufseufzen und denken, daß die guten Herren Kavaliere sich eines ungestörten Schlafes erfreuen durften, nachdem sie mit Mariannen nach Hause gekommen und sie in ein gutes Bett in dem besten Fremdenzimmer neben dem großen Saal zur Ruhe hatten bringen lassen.

      Zu Bett gingen sie freilich und in Schlaf fielen sie auch, aber es sollte ihnen nicht vergönnt sein, bis zum Mittag ruhig zu schlafen.

      Denn man darf nicht vergessen, daß die alte Majorin inzwischen mit dem Bettelsack und Stab das Land durchschweifte und daß es nie ihre Art gewesen war, Rücksicht auf die Bequemlichkeit müder Sünder zu nehmen. Jetzt konnte sie das um so weniger tun, als sie beschlossen hatte, in dieser Nacht die Kavaliere aus Ekeby zu vertreiben.

      Die Zeit, wo sie in Glanz und Herrlichkeit auf Ekeby gesessen und Freude über die Welt ausgestreut hatte, wie Gott Sterne über den Himmel ausstreut, die war dahin. Und während sie heimatlos im Lande umherzog, waren die Macht und die Ehre der großen Besitztümer den Händen der Kavaliere überlassen, um von ihnen gehütet zu werden, wie der Wind die Asche hütet, wie die Lenzsonne den Schnee hütet.

      Zuweilen geschah es, daß die Kavaliere in einem langen Schlitten mit fröhlichem Schellengeläute ausfuhren. Begegnete ihnen dann die Majorin, die gleich einer Bettlerin auf der Landstraße einherwankte, so schlugen sie die Augen nicht nieder. Die lärmende Schar streckte ihr die geballten Fäuste entgegen. Durch eine schnelle Wendung des Schlittens zwangen sie sie in die hohen Schneeschanzen hinein, und Major Fuchs, der Bärenjäger, versäumte es niemals, dreimal auszuspucken, damit eine solche Begegnung keine böse Folgen habe.

      Sie hatten kein Mitleid mit ihr, sie betrachteten sie wie eine böse Hexe. Wäre ihr ein Unglück zugestoßen, sie würden sich deswegen nicht mehr gegrämt haben wie jemand, der in der Walpurgisnacht eine mit Messingknöpfen geladene Büchse abfeuert, sich darüber grämt, wenn er zufällig eine vorbeifliegende alte Hexe trifft. Es war für die armen Kavaliere, als hinge ihrer Seelen Seligkeit davon ab, daß sie die Majorin verfolgten. Die Menschen haben einander oft auf das grausamste gepeinigt, wo es sich um ihrer Seelen Seligkeit handelte.

      Wenn die Kavaliere spät in der Nacht vom Trinktische nach dem Fenster schwankten, um zu sehen, ob die Nacht ruhig und sternenklar war, sahen sie oft einen dunklen Schatten über den Hofplatz gleiten, dann wußten sie, daß die Majorin gekommen war, um sich nach ihrem geliebten Heim umzusehen. In solchen Augenblicken hallte der Kavalierflügel wider von dem Hohngelächter der alten Sünder, und spöttische Bemerkungen flogen durch die geöffneten Fenster bis zu ihr hinab.

      Wahrlich – Herzlosigkeit und Hochmut hatten angefangen, ihren Einzug bei den armen Abenteurern zu halten. Sintram hatte Haß in ihre Herzen gesät. Wenn die Majorin ruhig in Ekeby geblieben wäre, hätten ihre Seelen nicht in größere Gefahr geraten können. Es fallen mehr Krieger auf der Flucht als in der Schlacht.

      Die Majorin hegte keinen weiteren Zorn gegen die Kavaliere. Hätte sie ihre alte Macht noch gehabt, so würde sie ihnen die Rute gegeben haben wie ungezogenen Knaben, um ihnen dann hinterher wieder gut zu sein. Jetzt aber war sie in Sorge um ihr geliebtes Besitztum, das den Kavalieren preisgegeben war, um von ihnen gehütet zu werden, wie der Wolf die Schafe hütet.

      Gar mancher hat denselben Kummer durchmachen müssen. Sie ist nicht die einzige, die es mit angesehen hat, wie sich der Verfall über ein geliebtes Heim ausbreitet, die fühlt, was es heißt, wenn uns das Heim unserer Kindheit anschaut wie ein verwundetes Wild. Manch einer fühlt sich wie ein Verbrecher, wenn er sieht, wie die Bäume von Flechten überwuchert, wie die Kiesgänge mit Gras bewachsen sind. Er möchte sich auf die Knie werfen auf diesen Feldern, die einstmals im reichen Saatenschmucke prangten, und sie bitten, ihm die Schmach nicht anzurechnen, die man ihnen angetan hat. Er wendet sich ab von den armen Pferden, es fehlt ihm an Mut, ihrem Blick zu begegnen. Er wagt es nicht, am Zauntor zu stehen, wenn die Herde von der Weide heimkehrt. Kein Fleck auf der Welt erweckt so viel bittere Regungen wie ein verfallendes Heim.

      Ach, ich bitte euch alle, die ihr Felder und Wiesen und freudespendende Blumengärten habt, Sorge dafür zu tragen, sie wohl zu pflegen. Pflegt sie mit Liebe, mit Arbeit! Es ist nicht gut, wenn die Natur über die Menschen trauern muß.

      Wenn ich daran denke, was das stolze Ekeby unter dem Regiment der Kavaliere leiden mußte, da wünsche ich, daß die Majorin ihr Ziel erreicht hätte, daß Ekeby den Kavalieren entrissen wäre.

      Es war nicht ihre Absicht, selber wieder zur Macht zu gelangen. Sie hatte nur ein Ziel, ihr Heim von diesen Tollen zu befreien, von diesen Heuschrecken, diesen Räubern, unter deren Schritten kein Gras wächst.

      Während sie bettelnd das Land durchstreifte und von Almosen lebte, mußte sie unausgesetzt an ihre Mutter denken, und in ihrem Herzen faßte der Gedanke Wurzel, daß niemals bessere Zeiten für sie kommen würden, ehe nicht ihre Mutter das Joch des Fluches von ihren Schultern genommen hatte. Niemand hatte ihr bisher den Tod der Alten vermeldet, folglich mußte sie noch da oben in den Wäldern leben. Trotz ihrer neunzig Jahre lebte sie noch in unablässiger Arbeit, sorgte im Winter für ihre Milchschüsseln und im Sommer für ihre Kohlenmeiler, bis zur Ermüdung arbeitend, sehnsuchtsvoll den Tag erwartend, an dem ihr Lebensberuf erfüllt sein würde.

      Und die Majorin dachte, wenn die Alte so lange lebe, so habe das sicher den Zweck, daß sie den Fluch wieder von ihr nehmen solle. Die Mutter, die ein solches Elend über ihr Kind gebracht hatte, konnte unmöglich sterben.

      So beschloß denn die Majorin, zu der Alten zu gehen, damit sie beide Ruhe finden könnten. Sie wollte durch die finsteren Wälder wandern, an dem langen Fluß entlang, bis sie das Heim ihrer Kindheit erreicht hatte. Eher konnte sie keine Ruhe finden. Gar viele boten ihr in diesen Tagen ein trautes Obdach und die Gaben einer treuen Freundschaft an,


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