Liljecronas Heimat. Lagerlöf Selma

Liljecronas Heimat - Lagerlöf Selma


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müde, und schließlich hatte sie das Gefühl, als müsse sie einen vollbepackten Karren ziehen.

      Und von Norden her kam der Wind und brachte eine Kälte mit, als hätte er mit Leichen getanzt. Er war überaus scharf und heftig und drang durch ihre Pelzjacke und den Friesrock mit Eiseskälte in ihren Körper hinein. Daraus machte sie sich zwar nicht viel; aber sie fühlte wohl, wie ihr die Zehen in den mit Pechdraht genähten Stiefeln erstarrten, wie ihr die Finger in den wollenen Fausthandschuhen klamm wurden, und wie ihr die Ohren unter dem Kopftuch brannten; aber trotzdem ging sie weiter, bis sie den ganzen langen Hügel hinuntergekommen war. Erst als sie in der Talsenkung stand, hielt sie an und wartete auf die beiden andern.

      Und als diese endlich auftauchten, ging sie ihnen entgegen.

      »Es wäre wohl am besten, wenn wir wieder heimgingen«, sagte sie. »Denn den Nyhof können wir ja doch nicht erreichen.«

      Aber nun war Mutter böse und Bubi auch, und sie sagten sich, dieses kleine Mädchen solle sie nicht nur so regieren und sagen dürfen, wenn sie vorwärts gehen und wenn sie umdrehen sollten.

      »O nein,« sagte die Mutter, »wir drehen nicht um; nun sollst du jedenfalls zum Weihnachtsschmaus kommen, da du sosehr erpicht darauf bist.«

      »Ja, du sollst so viel Wind zu schlucken bekommen, daß du für viele Wochen genug hast«, fügte Bubi hinzu.

      Damit ging Mutter mit Bubi weiter, und die Kleine mußte ihnen folgen, so gut sie konnte.

      Als sie den Uvhof erreicht hatten, begegnete ihnen die Wanderlotte und der Betteljon. Und diese beiden, die sich Sonntags und Werktags in der Gegend herumzutreiben pflegten und an jegliches Wetter gewöhnt waren, hielten die Hände wie eine Trompete vor den Mund und riefen den drei Daherkommenden zu, sie sollten eiligst nach Hause zurückkehren, denn weiter drunten nach dem See zu sei es eisig kalt, sie würden da erfrieren.

      Trotzdem gingen Mutter und Bubi weiter. Sie waren noch immer böse auf die Kleine und wollten, sie solle so recht zu schmecken bekommen, was für ein schreckliches Wetter es war.

      Jetzt kam ihnen das Pferd von Erik auf Falla entgegen. Es zog einen leeren Schlitten hinter sich her, denn der Sturm hatte Erik auf Falla den Hut vom Kopf gerissen; und während er um die Zäune herumlief, über Hofmäuerchen kletterte und in den Gräben herumkroch, um seines Hutes wieder habhaft zu werden, war das Pferd des Stillestehens überdrüssig geworden und hatte sich auf den Heimweg gemacht.

      Aber Mutti und Bubi sahen aus, als komme ihnen das gar nicht merkwürdig vor; sie gingen einfach weiter.

      Sie hielten auch nicht an, bis sie oben auf den Brobyer Hügeln angekommen waren. Aber da gerieten sie in einen großen Haufen von Menschen, Pferden und Schlitten hinein, die hier hielten und nicht weiter konnten. Denn siehe! die große Brobyer Tanne, die so hoch gewesen war, daß man sie gerade wie den Gurlittagipfel aus weiter Ferne hatte sehen können, war vom Sturm gefällt worden und lag quer über den Weg. In der naheliegenden Brobyer Kirche aber sollten Jan von Gullåsa und Britta von Kringåsa getraut werden. Und der alte Jan Jansa von Gullåsa und die alte Mutter von Kringåsa sowie die Nachbarn und Verwandten und der Spielmann Jöns und die schöne Gunnar von Högsjö und viele andere, die mit im Hochzeitszug gehen sollten, standen nun da und konnten nicht weiter. Sie redeten eifrig durcheinander und erklärten, sie seien schon zweimal von umgewehten Bäumen aufgehalten worden; bisher hätte man sie wegschaffen können, bei dieser Tanne hier aber wüßten sie sich nicht zu helfen.

      Der alte Vater von Gullåsa ging umher und bot den Leuten Branntwein an; aber weiter konnten sie deshalb doch nicht. Die Braut war aus dem Schlitten gestiegen und weinte, weil der ganze Weg zur Kirche so voller Hindernisse war; und der Wind riß rote Tüllrosen und grünseidene Blätter aus den Borten ihres Kleides, daß die Leute, die später am Tage dieses Weges durchs Kirchspiel gezogen kamen, nichts anderes glaubten, als der Sturm habe einen wilden Rosenbusch in einem Zauberwald ausfindig gemacht, dort die Blumen und Blätter mit fortgerissen und sie über die Hecken und Raine gestreut.

      Aber Mutter und Bubi hielten nicht an, weil die Tanne quer über dem Weg lag; sie krochen unten durch und wanderten weiter, denn sie dachten, die Kleine werde noch eine ganze Weile nicht genug vom Sturm haben.

      Und sie kamen auch wirklich bis zum Kreuzweg und bis zum Brobyer Gasthaus!

      Da erblickten sie die Majorin Samzelius, die mit zwei Pferden in einem bedeckten Schlitten dahergefahren kam. Und erst als sie sahen, daß die Majorin unter Dach saß, begriffen die beiden wohl ganz, wie schrecklich das Wetter tatsächlich war; denn die Majorin gehörte sonst nicht zu denen, die sich vor etwas fürchteten. Als die Majorin aber der beiden ansichtig wurde, streckte sie die geballte Faust unter dem Schutzdach hervor, drohte ihnen und rief ihnen mit einer Stimme, die man noch durch das Brausen des Sturmes hindurch verstehen konnte, zu:

      »Mach’, daß du heimkommst, Marit von Koltorp! Bei so einem Wetter, wo ich sogar im verdeckten Schlitten fahren muß, darfst du nicht mit deinen Kindern draußen sein!«

      Aber Mutter und Bubi dachten, für die Kleine werde es ganz gut sein, wenn sie noch eine Weile mit dem Wind kämpfen müsse.

      Als sie jetzt die Brücke erreichten, die über den schmalen Sund zwischen dem oberen und dem mittleren Lövsee führte, mußten sie ganz am Brückengeländer hinkriechen. Hier brauste der Sturm schrecklicher denn je zuvor, und sie wären gewiß ins offene Wasser hineingetrieben worden, wenn sie aufrecht zu gehen versucht hätten.

      Als sie die Brücke glücklich hinter sich hatten, waren sie halbwegs nach dem Nyhof, und nun begann die Kleine zu glauben, daß sie wirklich noch zum Weihnachtsschmause recht kommen würden.

      Aber kaum hatte sie das gedacht, als sich auch schon ein neues Hindernis einstellte. Wahrscheinlich war die heftige Kälte auf der Brücke für Bubi zuviel gewesen; der arme Kerl war kalt wie ein Eiszapfen. Er warf sich platt auf den Boden und wollte keinen Schritt mehr weiter. Die Mutter hob ihn auf, schüttele ihn und lief mit ihm ins nächste beste Haus hinein.

      Die Kleine erschrak sehr und lief eiligst hinter der Mutter her. Sie wußte nicht mehr, was sie tun sollte; denn wenn Bubi jetzt erfroren war, dann war sie schuld daran. Wenn sie nicht gewesen wäre, würden Mutter und Bubi sicher umgekehrt und nach Hause zurückgegangen sein.

      Sie waren indes in ein Haus gekommen, wo unglaublich gute Leute wohnten, die sogleich sagten, ehe der Sturm sich gelegt habe, dürften die Gäste nicht vors Haus hinaus, da könne gar keine Rede davon sein. Ja, und sie sagten auch, es sei ein wahres Glück, daß sie bei ihnen eingekehrt seien; wenn sie ihren Weg noch bis zur Propstei fortgesetzt hätten, wären sie sicher alle miteinander erfroren.

      Es sah aus, als sei Mutter recht froh, daß sie nun unter Dach und Fach waren. Sie saß so befriedigt da, als wisse sie ganz und gar nichts davon, daß drunten auf dem Nyhof jetzt die Bratspieße gedreht und das Fett von den großen Fleischkesseln abgeschöpft wurde.

      Nachdem die Hausbewohner ihnen so recht nach Herzenslust gesagt hatten, wie gut es sei, daß die Wanderer bei ihnen eingekehrt waren, fiel es ihnen ein, zu fragen, warum sie sich denn eigentlich in dem Sturm hinausgewagt hätten, und ob sie vielleicht auf dem Weg zur Kirche gewesen seien.

      Da erzählte ihnen die Mutter, warum sie unterwegs waren. Sie sagte, sie hätten zu Per Jansa auf Nyhof gewollt; der sei ihr Schwager, obgleich er ebenso reich sei, wie ihr Mann arm gewesen sei. Am zweiten Weihnachtsfeiertag halte er immer einen großen Weihnachtsschmaus, und zu diesem sei sie als Schwägerin selbstverständlich eingeladen. Sie habe allerdings von Anfang an das Wetter für recht schlecht gehalten, aber es sei ja das einzige Festmahl im Jahre, bei dem sie dabeisein dürften.

      Als die guten Hausbewohner das hörten, fingen sie wieder zu jammern an und sagten, die Mutter tue ihnen schrecklich leid, weil sie nun nicht zum Festmahl bei Per Jansa kommen könnte, denn dort gehe es sicher recht hoch her; aber in diesem Sturm noch einmal einen Versuch zu machen, das sei unmöglich, sie würde geradezu ihr Leben aufs Spiel setzen.

      Die Mutter stimmte mit ihnen überein, und sie sah aus, als sei es gar keine Kunst für sie, hier bei diesen armen Leuten ganz ruhig sitzenzubleiben, während es doch soviel Gutes gab, das auf sie wartete.

      »Wenn Ihr die Kinder nicht bei Euch hättet, könntet Ihr Euch vielleicht schon bis zum Nyhof


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