Три товарища / Drei Kameraden. Эрих Мария Ремарк
h sah nach der Uhr. Es war Viertel vor acht. Ich schloß das Tor auf und machte die Benzinpumpe fertig. Um diese Zeit kamen immer schon ein paar Wagen vorbei, die tanken wollten. Plötzlich hörte ich hinter mir ein heiseres Krächzen. Ich blieb stehen und hörte. Dann ging ich über den Hof zurück zur Werkstatt und machte vorsichtig die Tür auf. Es war die Scheuerfrau Mathilde Stoß. Sie trug ein schmutziges weißes Kopftuch, eine blaue Schürze, dicke Pantoffeln. Sie wog neunzig Kilo. Sie hatte die Grazie eines Nilpferdes, dabei sang sie ein Lied.
Auf dem Tisch am Fenster standen zwei Kognakflaschen. Eine davon war fast leer. Am Abend vorher war sie voll gewesen. Ich hatte vergessen, sie einzuschließen.
»Aber Frau Stoß«, sagte ich.
Der Besen fiel zu Boden.
»Jesus Christus«, sagte Mathilde und starrte mich aus roten Augen an. »Ihnen hab‘ ich noch nich erwartet…«
»Kann ich verstehen. Hat‘s geschmeckt?«
»Das ja – aber‘s is mir peinlich.«
Ihr Schnurrbart zuckte, und ihre Augenlider klapperten wie bei einem alten Uhu. Aber allmählich gelang es ihr, klarer zu werden. Entschlossen trat sie einen Schritt vor.
»Herr Lohkamp, Mensch ist nur Mensch, erst habeich einen Schluck genommen und dann…«
Es war nicht das erstemal, daß ich sie so traf. Sie kam jeden Morgen zwei Stunden zum Aufräumen in die Werkstatt, und man konnte ruhig so viel Geld liegen lassen, wie man wollte, sie nimmt es nicht – aber hinter Schnaps war sie wie die Ratte hinterm Speck[1]. Ich nahm die Flasche hoch.
»Natürlich, den Kognak für die Kunden haben Sie nicht angerührt – aber den guten von Herrn Köster haben Sie weggeputzt.«
»Aber werden Sie mir verraten, Herr Lohkamp? Eine schutzlose Witwe?« Ich schüttelte den Kopf. »Heute nicht.«
»Trinken Sie das Glas mal aus!«
»Ich? Herr Lohkamp, das ist zuviel! Sie sind ein Heiliger, sind Sie! Man muß das Gute nehmen, wie es kommt. Auch wenn man‘s nicht versteht. Zum Wohle! Haben Sie vielleicht Geburtstag?«
»Ja, Mathilde.«
»Was?« Sie nahm meine Hand und schüttelte sie. »Herzlichsten Glückwunsch! Herr Lohkamp« – sie wischte sich den Mund –, »Ich habe Sie gern wie einen Sohn.«
»Schön.« Sie trank noch ein Glas verließ die Werkstatt.
Ich packte die Flasche weg und setzte mich an den Tisch. Die Sonne fiel durch das Fenster auf meine Hände. Merkwürdiges Gefühl, so ein Geburtstag, auch wenn man sich nichts draus machte. Dreißig Jahre – es hatte eine Zeit gegeben, da glaubte ich, nie zwanzig werden zu können, so weit weg erschien mir das. Und dann… Ich zog einen Brief und fing an zu rechnen. Die Kinderzeit, die Schule – das war irgendwo, schon nicht mehr wahr. Das richtige Leben begann erst 1916. Da war ich gerade Rekrut geworden, dünn, achtzehn Jahre alt, und übte nach dem Kommando eines Unteroffiziers Hinlegen und Aufstehen. An einem der ersten Abende kam meine Mutter in die Kaserne, um mich zu besuchen; aber sie mußte über eine Stunde auf mich warten. Ich hatte meinen Ranzen nicht richtig gepackt gehabt und mußte zur Strafe die Toilette putzen. Sie wollte mir helfen, aber das durfte sie nicht. Sie weinte, und ich war so müde, daß ich einschlief, als sie noch bei mir saß.
1917. Flandern. Middendorf und ich hatten in der Kantine eine Flasche Rotwein gekauft. Damit wollten wir feiern. Aber wir kamen nicht dazu. Morgens fing das schwere Feuer der Engländer an. Köster wurde mittags verwundet. Meyer und Deters fielen nachmittags. Und abends kam Gas. Wir hatten die Masken auf, aber die von Middendorf war kaputt. Als er es merkte, war es zu spät. Er starb am nächsten Morgen, grün und schwarz im Gesicht.
1918. Das war im Lazarett. Ein paar Tage vorher war ein neuer Transport angekommen. Schwere Verletzungen. Den ganzen Tag fuhren die Operationswagen herein und hinaus. Manchmal kamen sie leer wieder. Neben mir lag Josef Stoll. Er hatte keine Beine mehr, aber er wußte es noch nicht. Nachts starben zwei Leute bei uns im Zimmer. 1919. Wieder zu Hause. Revolution. Hunger. 1920. Putsch. Karl Bröger erschossen. Meine Mutter im Krankenhaus. Krebs im letzten Stadium. 1921 –Ich wußte es nicht mehr. Das Jahr fehlte einfach. 1922 war ich Bahnarbeiter in Thüringen gewesen, 1923 Reklamechef einer Gummifabrik. Das war in der Inflation.
Und dann? Die Jahre darauf? Ich wußte es auch nicht mehr so genau. War zu sehr durcheinandergegangen. Meinen letzten Geburtstag hatte ich im Café International gefeiert. Da war ich ein Jahr lang Stimmungspianist gewesen. Dann hatte ich Köster und Lenz wiedergetroffen. Und jetzt saß ich hier in der Auto-Reparatur-Werkstatt Köster und Co. Der Co. waren Lenz und ich, aber die Werkstatt gehörte eigentlich Köster allein. Er war früher unser Schulkamerad und unser Kompanieführer gewesen; dann Flugzeugführer, später eine Zeitlang Student, dann Rennfahrer – und schließlich hatte er die Bude hier gekauft. Erst war Lenz dazugekommen , dann ich.
Ich nahm eine Zigarette aus der Tasche. Eigentlich konnte ich ganz zufrieden sein. Es ging mir nicht schlecht, ich hatte Arbeit, ich war kräftig, – aber es war doch besser, nicht allzuviel darüber nachzudenken. Besonders nicht, wenn man allein war. Und abends auch nicht. Aber dafür hatte man den Schnaps.
Die Tür öffnete sich auf. Gottfried Lenz stand im Rahmen, lang, mager.
»Robby«, brüllte er, »Deine Chefs wollen mit dir reden!«
»Herrgott!« Ich stand auf. »Ich habe gehofft, ihr hättet nicht dran gedacht!«
Gottfried legte ein Paket auf den Tisch.
Da Otto und ich Vater- und Mutter für dich sind, schenke ich dir deshalb etwas zum Schutz. Nimm dieses Amulett! Es wird dich behüten.« Er hängte mir eine kleine schwarze Figur an einer dünnen Kette um den Hals.
»So! Das sind hier sechs Flaschen Rum von Otto! Doppelt so alt wie du!«
Er öffnete das Paket und stellte die Flaschen in die Morgensonne.
»Sieht wunderbar aus«, sagte ich. »Wo hast du die bloß her, Otto?«
Köster lachte. »Zu lang zum Erzählen. Aber sag mal, wie fühlst du dich denn? Wie dreißig?«
»Wie sechzehn und fünfzig gleichzeitig. Nicht besonders.
»Das nennst du nicht besonders?« erwiderte Lenz. »Das ist doch das höchste, was es gibt. Du hast die Zeit besiegt und lebst doppelt.« Köster sah mich an.
»Laß ihn, Gottfried«, sagte er dann. »Jetzt können wir arbeiten gehen«
Wir arbeiteten, bis es dämmerig wurde. Dann wuschen wir uns und zogen uns um. Lenz sah zu der Flaschenreihe hinüber.
»Wollen wir einer den Hals brechen?«
»Das muß Robby entscheiden«, sagte Köster. Lenz machte eine Flasche auf. Der Geruch verbreitete sich sofort durch die ganze Werkstatt.
»Wißt ihr was? Wir fahren‚ raus, essen irgendwo zu Abend und nehmen die Flasche mit. In Gottes freier Natur wollen wir sie aussaufen!«
»Glänzend.« Wir schoben den Cadillac beiseite, an dem wir nachmittags gearbeitet hatten. Hinter ihm stand ein sonderbares Ding auf Rädern. Es war der Rennwagen Otto Kösters, der Stolz der Werkstatt. Köster hatte den Wagen seinerzeit auf einer Auktion für ein Butterbrot gekauft. Fachleute, die ihn damals sahen, bezeichneten ihn ohne Zögern als interessantes Stück für ein Verkehrsmuseum. Aber Köster kümmerte sich nicht darum. Er zerlegte den Wagen wie eine Taschenuhr und arbeitete Monate hindurch bis in die Nächte daran herum. Eines Abends erschien er dann mit ihm vor der Bar, in der wir gewöhnlich saßen. Bollwies fiel vor Lachen fast um, als er ihn wieder erblickte, so komisch sah er immer noch aus. Um einen Witz zu machen, bot er Otto eine Wette an. Er wollte zweihundert Mark gegen zwanzig setzen, wenn Köster ein Rennen gegen seinen neuen Sportwagen annähme – Strecke zehn Kilometer, ein Kilometer Vorgabe für Ottos Wagen. Köster nahm die Wette an. Alles lachte und versprach sich einen Riesenspaß. Aber Otto tat noch mehr; er erhöhte die Wette auf tausend Mark gegen tausend Mark. Bollwies kam nach einer halben Stunde zurück. Schweigend schrieb er den Scheck aus und einen zweiten dazu. Er wollte die Maschine jetzt auf der Stelle kaufen. Aber Köster lachte ihn aus. Er hätte sie für kein Geld der Erde verkaufen. Doch so tadellos der Wagen innen war – von außen sah er immer noch schlecht aus. Wir könnten alles besser machen – aber wir hatten einen Grund, es nicht zu tun.
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Но водка была для нее, что сало для крысы.