Emil und die detektive / Эмиль и сыщики. Книга для чтения на немецком языке. Эрих Кестнер
sagte Frau Jakob.
„So, so, nach Berlin fährst du?“, fragte Herr Grundeis.
„Jawohl, und meine Großmutter wartet am Bahnhof Friedrichstraße am Blumenkiosk“, antwortete Emil und fasste sich wieder ans Jackett. Und das Kuvert knisterte, Gott sei Dank, noch immer.
„Kennst du Berlin schon?“
„Nein.“
„Na, da wirst du aber staunen! In Berlin gibt es jetzt Häuser, die sind hundert Stockwerke hoch, und die Dächer hat man am Himmel festbinden müssen, damit sie nicht wegfliegen … Und wenn es jemand besonders eilig hat und er will in ein anderes Stadtviertel, so packt man ihn auf dem Postamt in eine Kiste und schießt sie wie einen Rohrpostbrief zu dem Postamt, das in dem Viertel liegt, wo er hin möchte… Und wenn man kein Geld hat, geht man auf die Bank und lässt sein Gehirn als Pfand dort13 und kriegt dafür tausend Mark. Der Mensch kann nämlich nur zwei Tage ohne Gehirn leben; und er kriegt es von der Bank erst wieder, wenn er zwölfhundert Mark zurückzahlt…“
„Sie haben wohl Ihr Gehirn auch gerade auf der Bank“, sagte der Mann neben der Frau Jakob zu dem Herrn im steifen Hut und fügte hinzu: „Lassen Sie doch den Unsinn!“14
Emil lachte gezwungen. Und die beiden Herren redeten eine Zeit lang recht unhöflich miteinander. Emil dachte: Was geht das mich an! und packte seine Wurstbrote aus, obwohl er eben erst Mittag gegessen hatte. Wenig später hielt der Zug auf einem großen Bahnhof. Emil sah kein Stationsschild, und er verstand auch nicht, was der vor dem Fenster rief. Fast alle Fahrgäste stiegen aus, nur der Mann im steifen Hut blieb.
„Also grüße Herrn Kurzhals schön“, sagte Frau Jakob noch. Emil nickte.
Und dann waren er und der Herr mit dem steifen Hut allein. Das gefiel Emil nicht sehr. Ein Mann, der Schokolade verteilt und verrückte Geschichten erzählt, ist nichts Genaues. Emil wollte wieder nach dem Kuvert fassen. Er wagte es aber nicht, sondern ging, als der Zug weiterfuhr, auf die Toilette, holte dort das Kuvert aus der Tasche, zählte das Geld – es stimmte immer noch – und war ratlos, was er machen sollte. Endlich kam ihm ein Gedanke. Er nahm eine Nadel, die er im Jackett fand, steckte sie erst durch die drei Scheine, dann durch das Kuvert und schließlich durch das Anzugfutter. So, dachte er, nun kann nichts passieren. Und dann ging er wieder ins Kupee.
Herr Grundeis hatte es sich in einer Ecke gemütlich gemacht und schlief. Emil war froh, dass er sich nicht zu unterhalten brauchte, und blickte durchs Fenster. Bäume, Windmühlen, Felder, Fabriken, Kühe, winkende Bauern zogen draußen vorbei. Und es war sehr hübsch anzusehen, wie sich alles vorüberdrehte, fast wie auf einer Grammofonplatte. Aber schließlich kann man nicht stundenlang durchs Fenster starren.
Herr Grundeis schlief weiter und schnarchte ein bisschen. Emil war in der anderen Ecke des Kupees und betrachtete den Schläfer. Warum der Mann nur immer den Hut aufbehielt? Und ein langes Gesicht hatte er, einen ganz dünnen schwarzen Schnurrbart und hundert Falten um den Mund, und die Ohren waren sehr dünn und standen weit ab.
Wupp! Emil erschrak. Beinahe wäre er eingeschlafen15. Das durfte er ja nicht. Wenn doch jemand zugestiegen wäre!16 Der Zug hielt ein paar Mal, aber es kam kein Mensch. Dabei war es erst vier Uhr, und Emil hatte noch über zwei Stunden zu fahren. Er kniff sich in die Beine.17 In der Schule half das immer in Herrn Bremsers Geschichtsstunden.
Eine Weile ging’s. Und Emil dachte an Pony Hütchen. Aber er konnte sich gar nicht mehr ihr Gesicht vorstellen. Er wusste nur, dass sie – als sie und die Großmutter und Tante Martha in Neustadt gewesen waren – mit ihm hatte boxen wollen. Er hatte natürlich nein gesagt, weil sie Papiergewicht war und er mindestens Halbschwergewicht. Das wäre unfair, hatte er damals gesagt. Und wenn er ihr einen Uppercut ge-ben würde, müsse man sie hinterher von der Wand abkratzen. Sie hatte aber erst Ruhe gegeben, als Tante Martha da. zwischenkam.
Schwupp! Er fiel fast von der Bank. Schon wieder eingeschlafen? Er kniff und kniff sich in die Beine. Und trotzdem wollte es nichts nützen.
Er versuchte es mit Knopfzählen. Er zählte von oben nach unten und dann noch einmal von unten nach oben.
Von oben nach unten waren es dreiundzwanzig Knöpfe. Und von unten nach oben vierundzwanzig. Emil lehnte sich zurück und überlegte, woran das wohl liegen könnte.
Und dabei schlief er ein.
1. War Emil ein höflicher Mensch? Beweisen sie das!
2. Was für Nachbarn hatte Emil bei seiner Reise?
3. Schienen die Mitreisenden ihm verdächtig?
4. Wer hat ihn mit Schokolade bewirtet?
5. Wie hat sich Emil gefühlt?
6. Hat sich Emil mit Fahrgästen bekannt gemacht?
7. Welchen Auftrag hat Frau Jakob Emil gegeben?
8. Auf welchen Gedanken ist Emil gekommen?
9. Was hat er mit dem Briefumschlag gemacht?
10. Was hat Herr Grundeis gemacht?
11. Beschreiben Sie sein Äußeres!
12. Wodurch ist Herr Grundeis Emil aufgefallen?
13. Wovon hat Emil geträumt?
Als er aufwachte, setzte sich die Bahn eben wieder in Bewegung. Er war, während er schlief, von der Bank gefallen, lag jetzt am Boden und war sehr erschrocken. Er wusste noch nicht recht, warum. Sein Herz klopfte wie ein Dampfhammer. Da saß er nun in der Eisenbahn und hatte fast verges. sen, wo er war. Dann fiel es ihm nach und nach wieder ein. Richtig, er fuhr nach Berlin. Und war eingeschlafen. Genau wie der Herr im steifen Hut…
Emil fuhr hoch und flüsterte: „Er ist ja fort!“ Die Knie zitterten ihm. Ganz langsam stand er auf und klopfte sich mechanisch den Anzug sauber. Jetzt war die nächste Frage: Ist das Geld noch da? Und vor dieser Frage hatte er eine große Angst.18
Lange Zeit wagte er nicht, sich zu rühren. Dort drüben hatte der Mann, der Grundeis hieß, gesessen und geschlafen und geschnarcht. Und nun war er fort. Natürlich konnte alles in Ordnung sein. Denn eigentlich war es dumm, gleich ans Schlimmste zu denken. Es mussten ja nun nicht gleich alle Menschen nach Berlin-Friedrichstraße fahren, nur weil er hinfuhr. Und das Geld war gewiss noch da. Erstens steckte es in der Tasche. Zweitens steckte es im Briefumschlag. Und drittens saß es mit einer Nadel am Futter fest. Also, er griff sich langsam in die rechte innere Tasche.
Die Tasche war leer! Das Geld war fort!
Emil fuhr mit der linken Hand in der Tasche herum. Er befühlte und drückte die Jacke von außen mit der Rechten. Es blieb dabei: Die Tasche war leer, und das Geld war weg.
„Au!“, Emil zog die Hand aus der Tasche. Und nicht bloß die Hand, sondern auch die Nadel. Nichts als die Nadel war übrig geblieben!19 Und sie saß im linken Zeigefinger, dass er blutete.
Er wickelte das Taschentuch um den Zeigefinger und weinte. Natürlich nicht wegen des bisschen Bluts. Er weinte wegen des Geldes. Und er weinte wegen seiner Mutter. Wer das nicht versteht, dem ist nicht zu helfen. Emil wusste, wie seine Mutter monatelang gearbeitet hatte, um die hundertvierzig Mark für die Großmutter zu sparen und um ihn nach Berlin schicken zu können. Und kaum saß der Herr Sohn im Zug, so schlief er auch schon in einer Ecke ein und ließ sich von einem gemeinen Kerl das Geld stehlen. Und da sollte er nicht weinen?20 Was sollte er nun anfangen? In Berlin aussteigen und zur Großmutter sagen: Da bin ich. Aber Geld kriegst du keins, dass du es weißt. Gib mir lieber schnell das Reisegeld, damit ich wieder nach Neustadt fahren kann. Sonst muss ich laufen?
Prachtvoll
13
man lässt… sein Gehirn als Pfand dort – оставляют в залог свои мозги
14
Lassen Sie doch den Unsinn! – Не городите чушь!
15
Beinahe wäre er eingeschlafen. – Он чуть не заснул.
16
Wenn doch jemand zugestiegen wäre! – А если бы в вагон сел еще кто-нибудь!
17
Er kniff sich in die Beine. – Он ущипнул себя за ноги.
18
Und vor dieser Frage hatte er eine große Angst. – Он очень боялся этого вопроса.
19
Nichts als die Nadel war übrig geblieben! – Не осталось ничего кроме булавки!
20
Und da sollte er nicht weinen? – Как ему после всего этого не плакать?