Agent Null . Джек Марс
Wir reden nicht. Niemals.
Unmöglich.
Seine Finger zitterten wieder.
Es war einfach unmöglich. Dinge wie gelöschte Erinnerungen oder Implantate oder Unterdrücker waren der Inhalt von Verschwörungstheorien und Hollywoodfilmen.
Jetzt war es sowieso egal. Sie wussten bereits die ganze Zeit, wer er war – in der Bar, während der Autofahrt und den ganzen Weg nach Belgien hatte Yuri gewusst, dass Reid nicht der war, der er behauptete. Jetzt waren seine Augen verbunden und er war mit mindestens vier bewaffneten Männern hinter einer Stahltür eingeschlossen. Niemand sonst wusste, wo er war oder wer er war. Ein Knoten der Angst bildete sich tief in seiner Magengegend und ihm wurde fast schlecht davon.
„Nein“, sagte die Baritonstimme langsam. „Nein, du täuschst dich. Dummer Yuri. Das hier ist nicht der CIA Mann. Wenn es so wäre, würdest du nicht hier stehen!“
„Es sei denn, er ist hierhergekommen, um dich zu finden!“, konterte Yuri.
Ein paar Finger griffen nach der Augenbinde und rissen sie ab. Reid blinzelte in die plötzliche Helligkeit der Neonröhren an der Decke. Er blickte in das Gesicht eines Mannes Mitte Fünfzig mit graumelierten Haaren, einem kurzgeschorenen Vollbart und wachsamen, scharfsichtigen Augen. Der Mann, der vermutlich Otets zwar, trug einen anthrazitfarbenen Anzug und die obersten zwei Knöpfe seines Hemdes waren offen. Graue lockige Brusthaare zeigten sich darunter. Sie standen in einem Büro, dessen Wände dunkelrot gestrichen und mit kitschigen Malereien verziert waren.
„Sie“, sagte der Mann in gebrochenem Englisch, „wer sind Sie?“
Reid atmete tief durch und widerstand dem Drang, dem Mann einfach zu sagen, dass er es selbst nicht mehr wusste. Stattdessen sagte er mit zitternder Stimme: „Ich heiße Ben. Ich bin ein Bote. Ich arbeite mit den Iranern zusammen.“
Yuri, der hinter Otets kniete, sprang plötzlich auf die Füße. „Er lügt!“, kreischte der Serbe. „Ich weiß, dass er lügt! Er sagt, dass die Iraner ihn geschickt haben, aber die würden niemals einem Amerikaner vertrauen!“, grinste Yuri heimtückisch. Ein bisschen Blut lief aus der Ecke seines Mundes heraus, wo Otets ihn geschlagen hatte. „Aber ich weiß noch mehr. Sehen Sie, ich habe Sie nach Amad gefragt.“ Er schüttelte seinen Kopf, als er seine Zähne zeigte. „Es gibt keinen Amad unter ihnen.“
Es erschien Reid seltsam, dass diese Männer die Iraner offensichtlich kannten, aber nicht diejenigen, mit denen sie arbeiteten oder die sie schicken würden. Sie waren mit Sicherheit irgendwie verbunden, aber was diese Verbindung sein könnte, wusste er nicht.
Otets fluchte leise auf Russisch vor sich hin. Dann sagte er auf Englisch: „Sie sagten Yuri, Sie seien ein Bote. Yuri sagt mir, Sie sind der CIA Mann. Was soll ich nun glauben? Sie sehen auf jeden Fall nicht so aus, wie ich mir Null vorgestellt hätte. Aber mein dummer Botenjunge sagt eine Wahrheit: die Iraner verachten Amerikaner. Es sieht nicht gut für Sie aus. Sagen Sie mir die Wahrheit oder ich werde Ihnen in die Kniescheibe schießen.“ Er richtete seine schwere Pistole auf ihn – eine TIG Series Desert Eagle.
Reid hielt für einen Moment die Luft an. Dies war eine sehr große Waffe.
Gib nach, drängte ihn die Stimme.
Er war sich nicht sicher, wie er das tun sollte. Er war sich auch nicht sicher, was passieren würde, wenn er es tat. Das letzte Mal als seine neuen Instinkte das Ruder übernommen hatten, waren vier Männer gestorben und er hatte ganz buchstäblich ihr Blut an seinen Händen gehabt. Aber es gab hier für ihn – das heißt für Professor Reid Lawson – keinen Ausweg. Aber Kent Steele, wer auch immer das war, könnte vielleicht einen Weg finden. Vielleicht wusste er nicht genau, wer er war, aber das wäre auch nicht sehr wichtig, wenn er nicht lange genug überlebte, um es herauszufinden.
Reid schloss seine Augen. Er nickte einmal, eine stille Zustimmung, die er der Stimme in seinem Kopf gab. Seine Schultern wurden locker und seine Finger hörten auf zu zittern.
„Ich warte“, sagte Otets schlicht.
„Sie würden damit nicht auf mich schießen wollen“, sagte Reid. Er war überrascht seine eigene Stimme so ruhig und gleichförmig zu hören. „Ein direkter Schuss aus dieser Waffe würde nicht nur mein Knie verwunden. Er würde mein Bein durchtrennen und ich würde innerhalb von Sekunden auf dem Boden dieses Büros verbluten.“
Otets zuckte eine Schulter. „Was sagen die Amerikaner so gerne? Man kann kein Omelett ohne …“
„Ich habe die Informationen, die Sie brauchen“, unterbrach Reid ihn. „Den Aufenthaltsort des Scheichs. Was er mir erzählt hat. Wem ich es erzählt habe. Ich weiß alles über Ihre Verschwörung und ich bin nicht der Einzige.“
Otets Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. „Agent Null.“
„Das habe ich doch gesagt!“, sagte Yuri. „Das habe ich gut gemacht, stimmt’s?“
„Halt die Klappe“, bellte Otets. Yuri sackte wie ein geschlagener Hund in sich zusammen. „Bringt ihn nach unten und kriegt alles raus, was er weiß. Fangt damit an, die Finger abzuschneiden. Ich möchte keine Zeit verschwenden.“
An jedem gewöhnlichen Tag hätte die Drohung, dass seine Finger abgeschnitten werden könnten, einen Schock der Angst in Reid ausgelöst. Seine Muskeln spannten sich für einen Moment, die kleinen Nackenhaare stellten sich auf – aber sein neuer Instinkt kämpfte dagegen an und zwang ihn, sich zu entspannen. Warte, sagte die Stimme. Warte auf eine Gelegenheit ...
Der glatzköpfige Schlägertyp nickte kurz und griff wieder nach Reids Arm.
„Idiot!“, maulte Otets. „Fessele ihn zuerst! Yuri, geh zum Aktenschrank. Darin sollte etwas sein.“
Yuri eilte zu dem Schrank aus Eichenholz, der in der Ecke stand und wühlte darin, bis er ein aufgewickeltes Bündel Schnur daran fand. „Hier“, sagte er und warf es dem kahlköpfigen Brutalo zu.
Instinktiv blickten alle Augen zu dem Bündel Schnur, das sich in der Luft drehte – die der beiden Schläger, Yuris und Otets. Aber nicht Reids. Er hatte eine Gelegenheit und nutzte sie.
Er beugte seine linke Hand und schlug sie in einem spitzen Winkel nach oben, wobei er die Luftröhre des glatzköpfigen Mannes mit der Außenkante seiner Handfläche traf. Er fühlte die Kehle unter seiner Hand nachgeben. Nachdem der erste Schlag gelandet war, schleuderte er seinen linken Stiefelabsatz nach hinten und traf den bärtigen Schlägertypen an der Hüfte – an der gleichen Hüftseite, die der Mann auf der Fahrt nach Belgien bevorzugt hatte.
Ein nasses, gewürgtes Keuchen entwich den Lippen des kahlköpfigen Mannes, als seine Hände an seinen Hals flogen. Der bärtige Brutalo grunzte, als sich sein riesiger Körper drehte und zusammenbrach.
Runter!
Die Schnur landete auf dem Fußboden. Genau wie Reid. In einer fließenden Bewegung ging er in die Hocke und riss die Glock aus dem Knöchelholster des kahlköpfigen Mannes. Ohne aufzusehen, sprang er vorwärts und machte eine Rolle.
Sobald er aufsprang, ertönte ein unglaublich lauter donnernder Knall durch das kleine Büro. Der Schuss aus der Desert Eagle hinterließ eine beeindruckende Delle in der Stahltür des Büros.
Reids Rolle stoppte nur wenige Meter von Otets entfernt und er warf sich vorwärts auf ihn. Bevor sich Otets zum Zielen drehen konnte, griff Reid von unten nach seiner Waffe – greife niemals nach der oberen Seite, das ist der schnellste Weg einen Finger zu verlieren – und drückte sie hoch und weg. Die Waffe feuerte einen weiteren Schuss, ein durchdringender Knall, nur ein paar Zentimeter von Reids Kopf entfernt. Es pfiff in seinen Ohren, aber er ignorierte es. Er drehte die Waffe seitlich nach unten, wobei er den Lauf von sich weg schob und sie näher an seine Hüfte zog – mit Otets Hand noch immer daran. Der ältere Mann warf seinen Kopf zurück und schrie als der Finger brach, den er noch immer am Abzug hatte. Reid wurde von dem Geräusch fast schlecht, als die Desert Eagle zu Boden fiel.