Der Aufstand Der Drachen . Морган Райс
KAPITEL ZEHN
“Der Mensch ist manchmal seines Schicksals Meister:
Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus,
Durch eigne Schuld nur sind wir Schwächlinge.”
--William Shakespeare
Julius Caesar
KAPITEL EINS
Es schneite. Kyra stand auf einem Grashügel, den hart gefrorenen Boden unter ihren Stiefeln, während sie versuchte, die beißende Kälte zu ignorieren, als sie ihren Bogen hob und sich auf ihr Ziel konzentrierte. Sie kniff die Augen zusammen, und sperrte den Rest der Welt aus – eine Windbö, das Krächzen einer Krähe in der Ferne – und zwang sich, nur die dünne Birke zu sehen, weit entfernt, schneeweiß und auffällig in einer Landschaft voller purpurner Kiefern. Sie stand 40 Metern Entfernung, nur ein wenig weiter, als ihre Brüder oder selbst die Männer ihres Vaters treffen konnten – was sie noch entschlossener werden ließ da sie die jüngste von allen und noch dazu das einzige Mädchen war.
Kyra hatte sich nie eingefügt. Ein Teil von ihr wollte natürlich tun, was von ihr erwartet wurde und Zeit mit den anderen Mädchen verbringen, und sich – so wie es sich für ein Mädchen gehörte – den häuslichen Dingen widmen; doch es entsprach einfach nicht ihrer Persönlichkeit. Sie war die Tochter ihres Vaters, hatte den Geist eines Kriegers wie er, und man konnte sie nicht in den steinernen Mauern der Festung einsperren; sie würde sich nicht ein Leben an Heim und Herd ergeben. Sie war ein besserer Schütze als all diese Männer – sie war tatsächlich schon besser als die besten Schützen ihres Vaters – und sie würde tun, was immer sie auch tun musste, um es allen zu beweisen – am meisten von allem ihrem Vater – dass man sie ernstnehmen musste. Sie wusste, dass ihr Vater sie liebte, doch er weigerte sich zu sehen, was wirklich in ihr steckte.
Kyra trainierte meistens außerhalb der Festung, allein hier draußen in der Ebene von Volis. Es störte sie nicht, denn als einziges Mädchen in einer Festung voller Krieger, hatte sie sich daran gewöhnt, allein zu sein. Hierhin, an ihren Lieblingsort, zog sie sich jeden Tag zurück; hier, hoch oben auf dem Plateau, von wo aus man die weitläufigen Steinmauern der Festung überblicken konnte, fand sie die besten Bäume – dünne Bäume, die schwer zu treffen waren. Das Zischen ihrer Pfeile war ein wohlbekanntes Geräusch geworden, das über das Dorf hallte. Nicht einem Baum hier oben waren ihre Pfeile erspart geblieben. Die Rinde ihrer Stämme war vernarbt, und einige neigten sich schon deutlich.
Kyra wusste, dass die meisten der Bogenschützen ihres Vaters auf die Mäuse in der Ebene schossen; als sie angefangen hatte, hatte sie es selbst auch versucht, und festgestellt, dass sie sie recht leicht töten konnte. Doch es hatte ihr Übelkeit bereitet. Sie war furchtlos, doch sie war auch sensibel, und ein Lebewesen vollkommen sinnlos zu töten gefiel ihr nicht. Sie hatte geschworen, nie wieder auf ein Lebewesen zu schießen, es sei denn es war gefährlich und griff sie an – so wie die Wolfsfledermäuse, die in der Nacht aus ihren Verstecken hervorkamen und zu dicht an das Fort ihres Vaters heranflogen. Sie hatte keine Skrupel, sie abzuschießen, besonders nachdem ihr jüngerer Bruder, Aidan, von einer gebissen worden und einen halben Mond lang krank gewesen war. Davon abgesehen waren sie die schnellsten Kreaturen hier, und sie wusste, wenn sie eine davon treffen konnte, besonders bei Nacht, dann konnte sie alles treffen. Sie hatte einmal eine ganze Vollmondnacht damit verbracht, vom Turm ihres Vaters aus zu schießen und war bei Sonnenaufgang erwartungsvoll hinausgerannt, begeistert, die zahllosen Wolfsfledermäuse am Boden zu sehen, in denen immer noch ihre Pfeile steckten. Die Dorfbewohner hatten sich staunend um sie herum versammelt.
Kyra zwang sich dazu, sich zu konzentrieren. Sie spielte den Schuss vor ihrem geistigen Auge durch, sah, wie sie den Bogen hob, die Sehne schnell an ihr Kinn zog und sie ohne Zögern losließ. Sie wusste, dass die eigentliche Arbeit vor dem Schuss geschah. Sie hatte gesehen, dass zu viele Bogenschützen ihres Alters – sie war vierzehn – die Sehne zogen und zögerten, und wusste, dass damit ihre Schüsse verloren waren.
Sie atmete tief durch, hob den Bogen, spannte und schoss. Sie musste nicht einmal nachsehen, um zu wissen, dass sie den Baum getroffen hatte.
Einen Augenblick später hörte sie den Einschlag – doch sie hatte sich schon abgewandt und suchte nach einem neuen Ziel, das weiter entfernt war.
Kyra hörte ein Winseln zu ihren Füssen, und sie senkte den Blick zu Leo, ihrem Wolf, der wie immer neben ihr ging und sich an ihrem Bein rieb. Leo, ein ausgewachsener Wolf, der ihr fast bis zur Taille reichte, beschützte Kyra genauso wie sie ihn, und die beiden waren ein untrennbares Paar im Fort ihres Vaters.
Kyra konnte nirgendwo hingehen, ohne dass Leo ihr folgte. Und immer war er dicht an ihrer Seite – es sei denn ein Eichhörnchen oder Kaninchen kreuzte ihren Weg; dann verschwand er für mehrere Stunden.
„Ich hab dich nicht vergessen, mein Junge“, sagte Kyra, griff in ihre Tasche und reichte Leo einen Knochen, der vom heutigen Festmahl übriggeblieben war. Leo nahm ihn ihr dankbar ab und trottete weiter neben ihr her.
Im Gehen hängte Kyra den Bogen über ihre Schulter und blies sich dampfend in die kalten Hände. Sie ging über das weite, flache Plateau und sah sich um. Von diesem Aussichtspunkt konnte sie über das ganze Land sehen. Die sanften Hügel von Volis, sonst von sattem Grün, waren schneebedeckt. Volis war die Provinz in der die Festung ihres Vaters lag, im nordöstlichen Winkel des Königreichs Escalon gelegen. Von hier oben sah sie die Ereignisse im Fort ihres Vaters aus der Vogelperspektive, das Kommen und Gehen der Dorfbewohner und Krieger – ein weiterer Grund, warum sie so gerne hier oben war. Sie studierte gerne die alten steinernen Umrisse der Festung ihres Vaters, die Formen ihrer Zinnen und Türme, die sich eindrucksvoll