Das Vermachtnis des Inka. Karl May

Das Vermachtnis des Inka - Karl May


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Tier kaute allerdings an dem Lasso, was aber von den Cirkusbediensteten gar nicht beachtet wurde. Sie brannten, im sichern Hinterhalte sich befindend, Schwärmer an und warfen dieselben nach dem Jaguar.

      Dieser wurde getroffen, sprang auf und ließ den Lasso aus dem Maule fallen; der Riemen war fast ganz zerbissen. Da erreichten die Zündfunken den Pulversatz, und das Feuer begann zu sprühen. Der Jaguar brüllte vor Schreck und that einen weiten Sprung; der Lasso wurde angespannt und zerriß an der zerbissenen Stelle; das Raubtier war frei.

      Das Publikum begrüßte dieses unerwartete Ereignis mit jauchzendem Beifalle, denn man war überzeugt, daß der Jaguar seine Freiheit nun sofort zu einem Angriffe auf den Bison benutzen werde. Er rannte allerdings auf diesen zu, wendete sich aber, als der Büffel ihm die Hörner zeigte und sich gar anschickte, auf ihn loszugehen, zur Seite, jagte in wenigen Sätzen in der Arena hin und her und duckte sich dann nieder, die rollenden Augen empor nach den ihm gegenüberliegenden Sitzplätzen richtend.

      »Estad atento – aufgepaßt!« rief der Weißbärtige. »Jetzt kommt es so, wie ich vermutet habe. Das Tier wird über die Schutzwand gehen.«

      »Por amor de Dios – um Gottes willen, das wird er doch nicht!« schrie der Privatgelehrte, als er diese Worte hörte. »Die Bestie schaut gerade direkt zu mir herauf, als ob sie mich verschlingen wolle.«

      Er fuhr von seinem Sitze empor und machte eine Bewegung, als ob er fliehen wolle, was aber bei der Enge der Plätze ganz unmöglich war. Diese hastige Bewegung des kleinen, noch dazu rot gekleideten Männchens zog die Aufmerksamkeit des Jaguars erst recht auf sich. Das Tier hob den Hinterkörper halb empor, stieß ein kurzes, heiseres Brüllen aus und flog dann in einem weiten Satze gegen die hölzerne Scheidewand. Es gelang ihm, den obern Rand derselben mit den Vordertatzen zu erreichen und den Körper nachzuziehen.

      In diesem Augenblicke verstummte alles Geschrei; es trat eine so tiefe Stille ein, daß man das Kratzen der Klauen des Raubtieres an den Balken deutlich hörte. Jedermann sah, daß der Jaguar es auf das rote Männchen abgesehen habe. Alle, die in der Nähe desselben saßen, waren hoch gefährdet. Welche Verwüstung mußten die Pranken und Zähne des wilden, vor Hunger knirschenden Tieres unter diesen so dicht sitzenden Personen anrichten! Man war überzeugt, daß der Jaguar sofort den zweiten Sprung thun werde; er that ihn nicht; er blieb noch auf der Scheidewand hängen, denn sein Auge wurde durch einen andern Gegenstand angezogen, und dieser Gegenstand war der graubärtige Señor, welcher sich gestern Hammer genannt hatte.

      Dieser war nämlich, als das Tier zum Sprunge angesetzt hatte, von seinem Sitze aufgefahren und hatte dem Gelehrten den Poncho von den Schultern und das Messer aus dem Gürtel gerissen. Das letztere in der rechten Hand haltend, wickelte er sich den ersteren um den linken Arm und sprang auf die Vorderlehne seines Sitzes. Das war so blitzschnell geschehen, daß er diesen Fußhalt in demselben Augenblick erreichte, in welchem der Jaguar auf die Bretterwand gelangte.

      »Punto en boca,« gebot er mit seiner kräftigen, weithin schallenden Stimme; »ninguno menease – still, niemand bewege sich!«

      Dann sprang er auf die Scheidewand des nächsten und zweitnächsten Vordersitzes, welche leer zu sein schienen, aber es nicht waren; die Inhaber derselben waren vor Entsetzen unter dieselben gekrochen. Noch ein Schritt, und Hammer stand auf dem vordersten Sitze, dem Jaguar so nahe gegenüber, daß er ihn mit der Hand erlangen konnte. Das Tier hatte die Bewegungen des riesenhaften Deutschen mit glühenden Augen verfolgt, ohne dieselben durch den erwarteten zweiten Sprung zu verhindern; es sah sich angegriffen, ohne aber den Gegenangriff zu wagen; es hielt sich mit drei Tatzen fest, riß den Rachen auf und hob die eine Vorderpranke zum abwehrenden Schlage empor. So hielten Mensch und Tier, die Augen ineinander gebohrt, einige Sekunden einander gegenüber. Da nahm Hammer, um die rechte Hand frei zu bekommen, das Messer zwischen die Zähne und stieß dem Jaguar die Faust mit solcher Kraft gegen den Hinterkörper, daß dieser den Halt verlor; seine hinteren Pranken glitten von der Bretterwand; er suchte sich mit den vordern festzuhalten und fauchte den Feind wütend an, erhielt aber von diesem einen solchen Hieb auf die Nase, daß er auch vorn abglitt und in die Arena zurückstürzte. Diejenigen, welche sich in Gefahr befunden hatten, waren gerettet.

      Aber damit begnügte sich der Deutsche nicht. Er sprang auf die Wand und, zum Schreck aller Zuschauer, in die Arena hinab. Ein vielstimmiger Schrei erscholl rundum, denn der kühne Mann kam gerade vor den Jaguar zu stehen, welcher sich laut brüllend zum Sprunge niederduckte.

      Nun geschah etwas, was niemand für möglich gehalten hätte. Hammer nahm das Messer aus dem Mund, setzte den linken Fuß vor und hielt dem Tiere den linken, durch den Poncho geschützten Arm entgegen. War es diese sichere Haltung, oder war es die Macht des weit geöffneten grauen Auges, dessen nicht zuckenden Blick der Jaguar auf sich gerichtet sah – – er unterließ nicht nur den Sprung, sondern setzte die Pranken langsam hinter sich, um sich in schleichender Haltung zurückzuziehen. So allmählich, wie er wich, folgte ihm der Deutsche Schritt um Schritt, ohne ihn auch nur für einen Moment aus dem Auge zu lassen. Das Raubtier nahm wie ein geprügelter Hund den Schwanz zwischen die Beine und retirierte immer schneller, in die Flucht getrieben durch die Macht eines furchtlosen Menschenauges, welcher es nicht zu widerstehen vermochte. Da ertönte von einem der entferntesten Plätze herab der Ruf:

      »Que maravilla! Este caballero es el padre Jaguar – welch ein Wunder! Dieser Herr ist der Vater Jaguar!«

      »Ist das wahr?« fragte eine andre laute Stimme.

      »Es ist wahr. Ich kenne ihn sehr genau. Er ist es.«

      Hatte man bis jetzt vor banger Erwartung kaum zu atmen gewagt, so fühlte man sich beim Klange dieses berühmten Namens von aller Sorge befreit. Man hatte ja so oft gehört, daß es nur des Auges dieses Mannes bedürfe, um einen Jaguar in die Flucht zu treiben. Es erhob sich ein Beifallssturm, wie er selbst hier wohl nur selten gehört worden war.

      »El padre Jaguar, el padre Jaguar!« so riefen alle Lippen.

      Es war ein wahres Brausen von Stimmen in allen möglichen Tonlagen. Dieser unbeschreibliche Lärm schüchterte das Raubtier noch mehr ein. War es bisher nur rückwärts geschritten, so wendete es sich jetzt um und rannte davon, der Thür entgegen, aus welcher es vorhin gekommen war. Sie war verschlossen worden. Der Deutsche folgte mit schnellen Schritten und gebot mit selbst in diesem Lärm noch hörbarer Stimme:

      »Abrid la puerta, presto, presto – öffnet die Thür, schnell, schnell!«

      Der mit diesem Dienste betraute Peon zog von seinem sichern Standorte aus die Fallthür empor und ließ sie, als der Jaguar in den nun offenen Käfig sprang, wieder nieder. Das Raubtier war unschädlich gemacht.

      jetzt brach ein Applaus los, welcher gar kein Ende nehmen wollte. Der Vater Jaguar schritt nach der Mitte der Arena, verbeugte sich rundum und ging dann nach der Schutzwand, von welcher er vorhin den Jaguar getrieben hatte, schwang sich hinauf und stieg dann von Lehne zu Lehne, bis er seinen Sitz erreichte. Dort gab er dem Privatgelehrten den Poncho und das Messer zurück und sagte:

      »Dank, Señor! Und Verzeihung, daß ich nicht Zeit hatte, Sie erst um Erlaubnis zu bitten!«

      »Hat nichts zu sagen, obgleich Sie mir mit dem Poncho auch den Hut und das Kopftuch herabgerissen haben,« antwortete der Kleine. »Wozu Sie das Messer brauchten, kann ich begreifen; aber bitte, mir zu sagen, warum Sie die Decke mitnahmen?«

      »Um meinen Arm, den ich als Schild benutzen wollte, vor den Zähnen und Krallen des Jaguars zu schützen.«

      »Señor, Sie sind ein Held, lateinisch, doch in griechischer Abstammung, Heros genannt. Ihre Tapferkeit, die, ohne aus dem Griechischen zu stammen, lateinisch Fortitudo, Virtus bellica und auch Strenuitas heißt, bewundere ich aus vollem Herzen. Sie haben das Untier wie eine Hauskatze vor sich hergetrieben. Was wird aber nun mit dem Büffel, Bison americanus, werden?«

      »Das können Sie sofort sehen, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit nach der Arena richten wollen.«

      Der Bison hatte sich in den Sand gestreckt und war da auch vorhin ruhig liegen geblieben, als der Vater Jaguar den Kampfplatz betreten hatte. An einen Kampf zwischen ihm und dem »Tiger«, wie der Gaucho den Jaguar nennt, war nun nicht mehr zu denken. Darum verlangte das Publikum


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