Antonia. Уилки Коллинз
lins
Antonina oder der Untergang Rom's
Erster Band
Erstes Buch
»O Dei, vengano!«
Kapitel I
Goiswintha
Die Alpenkette, welche an die nordöstliche Grenze von Italien stößt, war im Herbste des Jahres 408 bereits vielfach von den Spuren der einfallenden Heere der gewöhnlich unter dem Namen der Gothen begriffenen nordischen Völker durchfurcht. An einigen Stellen bezeichneten zu beiden Seiten des Weges liegend, niedergestürzte Baumstämme diese Spuren, welche zuweilen, durch die Verheerungen der Stürme halb verwischt, das Aussehen von öden unregelmäßigen Morästen angenommen hatten. An andern Orten waren sie weniger erkennbar, und der nur vorübergehend gewählte Pfad verschwand gänzlich unter« den ausgetretenen Gewässern angeschwollener Bergströme, oder ließ sie undeutlich an mitunter vorkommenden weichen Stellen im Boden unterscheiden, oder mittelst, der darauf verstreuten Bruchstücke zurückgelassener Waffen, Skeletten von Menschen und Pferden und den Ueberbleibseln der rohen Brücken, die einst zum Ueberschreiten eines Flusses oder Abgrundes gedient hatten, verfolgen.
Zwischen den Felsen der höchsten Bergreihe, unmittelbar vor den Ebenen Italien’s, welche die letzte Schranke für die Anstrengungen des Reisenden oder den Marsch des Eroberers bildet, lag zu Anfang des fünften Jahrhunderts ein kleiner See. Auf drei Seiten von steilen Bergwänden umgrenzt, von schmalen, vegetationslosen, unbewohnten Ufern umgeben und mit nur selten vom belebenden Strahle der Sonne erleuchtetem, schwärzlichem, von keinem Windhauche bewegtem Wasser angefüllt, bot an dem Herbsttage, mit welchem unsere Erzählung beginnt, dieser stets düstere See einen das Auge trübenden, das Herz bedrückenden Anblick dar.
Es war fast Mittag, am Himmel aber kein Sonnenblick zu sehen. Die trüben, an Form und Farbe gleich eintönigen Wolken verhüllten alle Schönheit des Himmels und verbreiteten ein dumpfes Dunkel auf der Erde. Dichte, unbewegliche Nebeldünste hingen an den Berggipfeln; von den gesenkten Aesten der Bäume fielen dann und wann abgestorbene Blätter und Zweige auf den durchweichten Boden nieder oder wirbelten über den dunkeln Abgrund hinab und ein dünner Regen sank langsam, aber unablässig auf die Einöden rings umher nieder. Wenn man auf dem Pfade stand, welchen einst Heere betreten hatten und den andere Heere wieder zu betreten bestimmt waren, und nach dem einsamen See blickte, so hörte man Anfangs keinen Laut, als das regelmäßige Abtröpfeln des Regens von einem Felsen zum andern, sah man nichts als das unbewegliche Wasser zu seinen Füßen und die dasselbe beschattenden grauen Klippen. Wenn jedoch unter dem Eindrucke der räthselhaften Einsamkeit der Gegend das Auge durchdringender und das Ohr aufmerksamer wurde, so zeigte sich in den Felswänden um den See eine Höhle und in den Zwischenräumen, welche das Plätschern der Regentropfen ließ, vernahm man eine schwache Menschenstimme.
Die Mündung der Höhle war theilweise durch einen großen Stein versteckt, auf welchem Massen von mürbem Reißig lagen, wie um den etwaigen Bewohner derselben gegen die Kälte der äußern Luft zu schützen. An der östlichen Grenze des See’s befindlich, gewährt dieser seltsame Zufluchtsort die Aussicht nicht nur auf den unebenen Pfad unmittelbar darunter, sondern auch auf eine große ebene Stelle in geringer Entfernung nach Westen, unter welcher sich eine zweite niedrigere Felsenreihe befand. Von dieser Stelle aus konnte man an hellen Tagen tief unten die Olivenhaine, welche den Fuß des Gebirges bekleideten, und jenseits derselben weit bis zum Horizonte hin die Ebenen Italien’s erblicken, dessen Schicksal der Niederlage und Schmach jetzt seiner düstern furchtbaren Erfüllung zueilte.
Im Innern war die Höhle niedrig und von unregelmäßiger Form. Von ihren rauhen Wänden sickerte die Feuchtigkeit auf den mit vermodertem Moos bedeckten Boden herab. Eidechsen und andere widerliche Thiere hatten ungestört ihre freudlosen Tiefen bewohnt bis zu der eben beschriebenen Periode, wo ihre Rechte zum ersten Male durch menschliche Eindringlinge beeinträchtigt wurden.
Nahe am Eingange der Höhle kauerte ein Weib. Etwas tiefer im Hintergrunde auf dem trockensten Theile des Bodens lag ein schlafendes Kind. Zwischen ihnen waren abgefallene Zweige und todtes Laub wie zu einem Feuer zusammengehäuft. An einigen Stellen war dieses spärliche Aggregat von Brennmaterial etwas geschwärzt, aber da es gänzlich vom Regen durchweicht waren offenbar alle Versuche, es auf die Dauer in Brand zu bringen, fruchtlos gewesen.
Der Kopf der Frau war vorgebeugt und das in den Händen verborgene Gesicht ruhte auf ihren Knieen. Von Zeit zu Zeit murmelte sie mit heiserer, ächzender Stimme etwas vor sich hin. Sie hatte sich eines Theiles ihrer spärlichen Kleidung entäußert. um ihr Kind damit zu bedecken. Was noch ihren Körper umhüllte, bestand theilweise aus Thierfellen, theilweise aus grobem Baumwollenzeug. An vielen Stellen trug diese erbärmliche Kleidung Blutspuren und ihr langes Flachshaar zeigte in seinen verworrenen Locken dieselbe Unheilverkündende, zurückstoßende Färbung.
Das Kind schien kaum vier Jahre alt zu sein und trug auf seinem bleichen, magern Gesicht alle Eigenthümlichkeiten seiner gothischen Abkunft. Seine Züge schienen einst schön gewesen zu sein, aber eine tiefe, über seine« ganze Wange hinweg gehende Wunde hatte es jetzt für immer entstellt. Es zitterte fröstelnd im Schlafe und streckte von Zeit zu Zeit mechanisch seine kleinen Arme nach den vor ihm liegenden todten, kalten Zweigen aus. Plötzlich löste sich in einem fernen Theile der Höhle ein großer Stein vom Felsen und stürzte geräuschvoll auf den Boden nieder. Bei diesem Lärm erwachte es schreiend – erhob sich – versuchte auf das Weib zuzugehen und schwankte wieder an die Wand der Höhle zurück. Eine zweite Wunde im Beine hatte eben so seine Kraft vernichtet, wie die in der Wange seine Schönheit. Es war ein Krüppel.
Im Augenblicke seines Erwachens war die Frau aufgesprungen. Sie erhob das Kind setzt vom Boden, nahm einige Kräuter von ihrem Busen und legte dieselben auf seine verwundete Wange. Hierdurch gerieth ihr Kleid in Unordnung; es starrte oben von geronnesten, augenscheinlich aus einer Hiebwunde in ihrem Halse, geflossenem Blute. Alle ihre Versuche, das Kind zu beruhigen, waren umsonst; es stöhnte und wimmerte kläglich und murmelte von Zeit zu Zeit abgebrochene Worte des Unmuthes über die Kälte des Ortes und den Schmerz seiner frischen Wunden. Die unglückliche blickte sprach- und thränenlos wie geistesschwach auf sein Gesicht nieder. Es war nicht schwer aus jenem unverwandten, verzweifelten Blicke die Natur des Bandes, welches die Trauernde an den leidenden Knaben knüpfte, zu errathen, Der Ausdruck starrer, furchtbarer Verzweiflung, der in ihren unbeweglichen, düstern Augen brütete, die Leichenblässe ihrer zusammengereßten Lippen, die ihre kräftige, gebieterische Gestalt durchzuckenden Krämpfe, verkündeten stumm, aber mit der göttlichen Beredtsamkeit der menschlichen Gefühle, daß zwischen dem einsamen Paare dort die innigste irdische Verbindung – das Verhältnis von Mutter und Kind – bestand.
Eine Zeitlang trat keine Veränderung im Benehmen des Weibes ein. Endlich stand sie wie von einem plötzlichen Verdacht ergriffen auf, schloß das Kind in den einen Arm, schob mit dem andern das Reissig am Eingange ihrer Zufluchtsstütte bei Seite und blickte vorsichtig auf die westliche Landschaft hinaus, so weit sie der Nebel erkennen ließ. Nach kurzer Betrachtung zog sie sich, wie der ununterbrochenen Einsamkeit der Gegend versichert, zurück, wendete sich dem See zu und schaute auf das schwarze Wasser zu ihren Füßen nieder.
»Eine Nacht ist der andern gefolgt,« murmelte sie düster, »und keine hat meinem Leibe Hilfe, meinem Herzen Hoffnung gebracht. Eine Meile nach der andern habe ich durchmessen und immer noch ist die Gefahr hinter, die Einsamkeit vor mir. Der Schatten des Todes wird über dem Knaben dichter, die Last der Pein wird schwerer, als ich sie ertragen kann. Meine Freunde sind ermordet, meine Vertheidiger fern, meine Besitzungen verloren. Der Gott der Christenpriester hat uns in der Gefahr verlassen und ist im Schmerze von uns abgefallen. Es ist an mir, den Kampf für uns Beide zu beenden. Diese Stelle ist unsere letzte Zuflucht gewesen; sie soll auch unser Grab sein!«
Mit einem letzten Blicke auf den kalten, trostlosen Himmel schritt sie bis dicht an den steilen Rand des See’s. Schon war das Kind in ihren Armen erhoben und ihr Körper gebeugt, um den tödlichen Sprung mit Erfolg zu thun, als von Osten her ein schwachen ferner, flüchtiger Ton in ihr Ohr drang. Plötzlich erhellte sich ihr Auge, ihre Brust wogte, ihre Wange röthete sich. Sie bot die letzten Ueberbleibsel ihrer Kräfte auf, um einen hervorragenden Standpunkt aus einer hinter ihr befindlichen Felsplatte zu erlangen und lauschte in peinlicher Erwartung, daß sich der magische Ton wiederholen möchte.
Ueber