Die Mühle zu Husterloh. Adam Karrillon

Die Mühle zu Husterloh - Adam Karrillon


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Köpfe in die Höhe, zum Zeichen, dass sie geneigt seien, sich in eine Unterhaltung einzulassen.

      »Woher zu dieser Stunde, Vater Höhrle?« rief eine Stimme aus dem Hintergrund. »Habt Ihr Euch beim Kartenspiel verspätet?«

      »Das nicht, ich war im unteren Tale.«

      »Und habt die Mühle von Groß und Moos angesehen? Ich denke, Ihr besinnt Euch und verkauft beizeiten Eure Spreusäcke, Vater Höhrle, denn in ein paar Jahren liegt Euch hier kein Bauer mehr herum!«

      »Und versäumt seine Zeit,« rief eine boshafte Stimme. »Wer drunten Korn ablädt, braucht nur den Wagen zu wenden, und er kann mit seinem Mehle wieder von dannen fahren.«

      »Nehmt Euch in acht, Müller,« sagte ein anderer beißend, »als der Dampf sich vor die Wagen spannte, wurden die Fuhrleute gerädert, wenn er die Steine dreht, so zerquetscht er die Müller.«

      »Man schneidet keinem die Haare, der nicht still hält,« sagte Höhrle und suchte einen zuversichtlichen Ton in seine Worte zu legen, aber es gelang ihm nicht, zumal da es ihm den Eindruck machte, als ob er zur Stunde schon einige Spreusäcke entbehrlich hätte. Er ging in seine Kammer; aber der Gott des Schlafes kam jetzt erst recht nicht, obwohl nickende Mohnköpfe, zu Bündeln geknüpft, vom Durchzug des Zimmers herniederhingen.

      3. Kapitel

      Früh am nächsten Morgen erhob sich Vater Höhrle. Wer mochte auch auf einem Lager bleiben, auf dem die Sorge das Leintuch in tausend scharfe Fältchen zerknüllt hatte? Es war ein Sonntag, und der Kuhbub hatte heute seinen Kirchgang. So ging denn der Hausherr hinter den Rindern her, die in gemächlichem Wiegen das Dorf durchschritten, zuweilen auch ein wenig stehen blieben und die Häuser betrachteten, die sie wohl alle kannten, die aber heute in ihrer sonntäglichen Sauberkeit einen kuriosen Eindruck machten. Sie kamen an einen steilen Pfad, der die Berglehne hinaufführte, und bogen in diesen ein, ohne dass ihnen irgendjemand einen Wink gegeben hätte. Sie kannten sich aus in der Gemarkung, und Vater Höhrle konnte unbesorgt hinterhergehend seinen Gedanken nachhängen. Als sie an einen geschorenen, aber wieder frisch treibenden Kleeacker kamen, fingen sie an zu fressen, und ihr Hüter konnte sich die Sache noch bequemer machen. Er setzte sich auf eine kleine Böschung, die das Feld vom Walde schied, und hatte hinter sich die schwarzgrünen Nadeln eines Tannenwaldes und vor sich das hellgrüne Wiesental mit seinen zerstreuten Bauernhöfen, seinem strudelnden Bache, seinem weißglänzenden schäumenden Wehr und über dem ganzen mildstrahlend die Morgensonne des Frühherbstes. Gewiss dies alles waren dem Vater Höhrle bekannte Dinge, und doch betrachtete er alle wieder mit stillem Wohlgefallen. Nur nach einer Seite hin konnte er nicht blicken, das Tal abwärts, dorthin wo gestern das schmutzige, schwarzgraue Ungetüm in den Lüften hing, wo die Dampfmühle stand, der er so sehr misstraute. Und doch war kein Gedanke daran, dass er von dem Punkte aus, wo er sich befand, den Backsteinkoloss hätte sehen können; das Tal war viel zu gewunden. Aber einerlei, er mochte nicht einmal nach der Himmelsrichtung schauen. Er ahnte, von dort heraus, von dem Schienenstrang der Eisenbahn aus, der sich durchs Neckartal wie eine falsche Schlange wand, kam die neue Zeit mit ihren Tücken und ihrer Grausamkeit, ihrer Großmannssucht, ihrem Geldhunger, deren Opfer er werden sollte.

      Das Tal herunter wälzte sich jetzt in getragenen Wellen der Klang der Kirchenglocken. Vater Höhrle war ein frommer Mann und ging gern zur Kirche, aber heute war doch der Kühbub an der Reihe, also musste der Bauer seinen Gottesdienst im Freien halten. So faltete er die Hände über seinem Stocke und betete ein Gebet, das er selber verfasst hatte und das also lautete:

      »Lieber Gott erhalte, was du mir gegeben hast. Lass mich deine Scholle bebauen, so lange ich lebe, und lass sie mein Bett werden, wenn ich gestorben bin. So viel erflehe ich für mich und mehr auch nicht für meine Kinder. Meinem Weibe aber gib einen friedfertigen demütigen Sinn, damit sie nicht nach Dingen strebe, die dem Bauer nicht erreichbar sind.«

      Es war nicht viel, was der Landmann da erbat, und wenn der Himmel nicht geizig war, konnte er’s gewähren. Aber er tat’s nicht.

      Eben war Vater Höhrle fertig mit seiner Andacht und setzte sein Stulpkäppchen wieder auf, als der Viertakt eines Zweigespannes auf der Straße unter ihm erklang. Höhrle schaute hinunter. Was war das? Auf dem Rücken zweier mutwilliger Goldfüchse spiegelte sich die Morgensonne und dahinterher rollten fast lautlos die schwellenden Lederpolster eines Wagens, für einen König, der zur Krönung fährt, eben gut genug, und doch saßen nur zwei Bürgerfrauen darin. Der Bauer brauchte einige Augenblicke, um die Erscheinung zu deuten. Da schneidet ihm wie ein Peitschenhieb ein widerwärtiger Gedanke durch das Gehirn: Das ist die Firma Groß und Moos, das sind die Damen mit der beschränkten Haftpflicht. – Jetzt war’s vorbei mit dem Sonntagsgottesfrieden, vorbei mit seiner Ruhe und seiner Andacht. Er verließ das freie Feld und vergrub seine Aufregung und seine Angst im Waldesdunkel. Nur zuweilen schielte er wie ein verscheuchter Räuber unter den Tannenzweigen hervor, und als er nach Stunden der Zurückgezogenheit sah, dass seine Rinder die Nasen häufig in die Luft streckten und nur lässig fraßen, trieb er sie auf einsamen Pfaden ins Dorf den Ställen zu.

      Als Vater Höhrle gegen Mittag sich seiner Mühle näherte, gewahrte er, wie ein Bündel Unterröcke voller Grazie um die Hausecke flog. Obwohl er nicht sehen konnte, wer in den Röcken steckte, so wusste er doch, dass dies der Kometschweif von Röse Ricke sei und dass der dazugehörige Stern sich nun die Treppe zum zweiten Stock hinaufschob, um oben irgendein Unheil zu verkünden. Er hatte keine Eile zu erfahren, was vorging. Er begab sich in den Stall und legte gemächlich eine Kuh nach der andern an die Kette.

      »Vater Höhrle, Vater Höhrle, hört Ihr denn nicht, Vater Höhrle?« so rief mit einem Male Röse Ricke die Treppe herunter, »die Hausherrin wünscht, dass Ihr zur Stelle sein sollt, und ich denke Ihr werdet erscheinen!«

      »Gewiss werde ich das,« gab der Müller zur Antwort und beeilte sich, die ausgetretenen Stufen zu ersteigen. Vor der Stubentür ordnete er erst in etwas seine Kleider und trat in demütiger Haltung ins Zimmer. Als er in das Antlitz seiner Frau sah, fuhr er ängstlich zusammen, denn obgleich der Kopf nicht die Hörner von Michelangelos Moses trug, lag doch die ganze eiserne Härte eines unerbittlichen Gesetzgebers in seinem Ausdruck.

      »Hab ich dir’s nicht immer gesagt,« polterte die Müllerin los, »so kann’s nicht weiter gehen. Hast du dich je bemüht, deine Familie auf das Niveau hinaufzuheben, wohin sie gehört? Wer spielt nun im Tale die erste Geige? Groß und Moos. Wer fährt auf Gummirädern und hat seidene Schleier vorm Gesicht? Die Damen Groß und Moos. Wer hat in der Kirche einen eigenen Stuhl und lässt niemand anders mehr hinein? Groß und Moos. Und wer muss sich die Beine in den Leib stehen, solange die Predigt währt und die Messe? Die Kinder des Hauses Höhrle. Wer kommt daher wie eine Kuhmagd, hat nichts aufzusetzen und nichts anzuziehen? Die Frau vom Hause Höhrle.«

      In dem Augenblick, wo sie sich so ganz erbärmlich nackt und bloß der Welt zeigen musste, übermannte sie das Mitleid mit sich selber. Sie fing heftig zu weinen an und hob die Schürze nach den Augen, woraus der Leser sehen mag, dass sie allzu dick auftrug, und dass sie immerhin noch etwas mehr am Leibe hatte, als unsere ehrsame Stamm-Mutter Eva nach dem Sündenfall.

      Zunächst hörte man freilich nichts weiter als ein ausdrucksvoll vorgetragenes Schluchzen, das nicht einmal Röse Ricke sonderlich zu rühren schien, denn sie lief mit erheucheltem Seufzen nach der Küche, holte eine blecherne Waschschüssel und stellte sie der Mutter Höhrle auf den Schoß. »So,« sagte sie, »nun lasst die Tränen fließen. Das Wasser, was einer weint, das braucht er nicht zu schwitzen. So hat der liebe Gott prinzipiell die Wasserfrage entschieden, und wenn der eine Topf voll ist, so hol’ ich einen andern.«

      Nun konnte eigentlich alle Welt erwarten, dass man es tropfen höre, allein es geschah ganz etwas anderes. Höhrle junior stürzte aus einer Seitenkammer und benutzte die Pause des Schweigens, um sich seinem Vater in einem neuen eleganten Anzuge vorzustellen. Wenn ich von einem neuen Anzug rede, so ist das eigentlich etwas zu viel gesagt, denn der Stoff zum mindesten war nicht neu. Er hatte vordem schon durch manches Jahr Vater Höhrles Beine geziert, und wenn ich sage, elegant, so ist auch dies ein Euphemismus, denn da der Meister Eisengarn die Metamorphose mehr mit der Schere als mit der Nadel bewerkstelligt hatte, so waren die Hosen


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