Utopia. Thomas Morus

Utopia - Thomas  Morus


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die Sträflinge –, Waffen anzurühren. Jede Landschaft macht ihre Sklaven durch ein eigenes, unterscheidendes Zeichen kenntlich, das abzulegen bei Todesstrafe verboten ist. Dieselbe Strafe trifft auch den, der sich außerhalb seines Bezirks sehen läßt oder mit einem Sklaven eines anderen Bezirks ein Wort spricht. Die Planung einer Flucht ist ebenso gefährlich wie ihre Ausführung; schon von einem solchen Plane gewußt zu haben, bedeutet für den Sklaven den Tod und für den Freien Knechtschaft. Dagegen sind auf Anzeigen Preise ausgesetzt, und zwar erhält ein Freier Geld, ein Sklave dagegen die Freiheit; beiden aber gewährt man Verzeihung und Straflosigkeit, auch wenn sie von der Sache gewußt haben. Dadurch will man verhüten, daß es mehr Sicherheit bietet, auf einem schlimmen Plane zu beharren als ihn zu bereuen.

      So also ist diese Angelegenheit gesetzlich geregelt, wie ich es beschrieben habe. Wie menschlich und zweckmäßig dieses Verfahren ist, kann man leicht einsehen. Übt es doch nur insoweit Strenge aus, als die Verbrechen beseitigt werden; dabei kostet es kein Menschenleben, und die Übeltäter werden so behandelt, daß sie gar nicht anders können, als gut zu sein und den Schaden, den sie vorher angerichtet haben, durch ihr weiteres Leben wieder gutzumachen.

      Daß ferner Sträflinge in ihre alte Lebensweise verfallen könnten, ist durchaus nicht zu befürchten. Infolgedessen halten sich auch Fremde, die irgendwohin reisen müssen, unter keiner anderen Führung für sicherer als unter der jener Sklaven, die dann von einer Gegend zur anderen unmittelbar wechseln. Denn sie besitzen nichts, was sie zu einem Raubüberfall reizen könnte: in der Hand haben sie keine Waffe, Geld würde ihre verbrecherische Tat nur verraten, und der Ertappte müßte mit Bestrafung und völliger Aussichtslosigkeit, irgendwohin fliehen zu können, rechnen. Wie sollte es nämlich jemand auch fertig bringen, völlig unbemerkt zu fliehen, wenn sich seine Kleidung in jedem Stück von der seiner Landsleute unterscheidet? Er müßte sich denn gerade nackend entfernen. Ja, auch in dem Falle würde den Ausreißer das Ohr verraten. Aber könnten die Sträflinge nicht vielleicht an eine Verschwörung gegen den Staat denken? Wäre das nicht doch eine Gefahr? Als ob irgendeine Gruppe solch eine Hoffnung hegen dürfte, ehe nicht die Sklaven zahlreicher Landschaften unruhig geworden und aufgewiegelt sind, denen es nicht einmal erlaubt ist zusammenzukommen, miteinander zu sprechen oder sich gegenseitig zu grüßen, die also noch viel weniger eine Verschwörung anzetteln könnten! Sollte man ferner annehmen dürfen, sie würden diesen Plan inzwischen unbesorgt ihren Anhängern anvertrauen, während sie doch wissen, daß Verschweigen gefährlich, Verrat aber höchst vorteilhaft ist? Und dabei hat niemand so gänzlich die Hoffnung aufgegeben, doch irgendwann einmal die Freiheit wieder zu erlangen, wenn er sich gehorsam zeigt und eine Besserung in der Zukunft zuversichtlich erwarten läßt. Wird doch in jedem Jahre ein paar Sklaven zum Lohn für geduldiges Ausharren die Freiheit wieder geschenkt.«

      So sprach ich. Als ich dann noch hinzufügte, es liege meiner Meinung nach gar kein Grund vor, dieses Verfahren nicht auch in England anzuwenden, und zwar mit viel größerem Erfolg als jenen Rechtsbrauch, den der Jurist so sehr gelobt hatte, da erwiderte mir dieser sofort: »Niemals ließe sich dieser Brauch in England einführen, ohne daß der Staat dadurch in die größte Gefahr geriete!« Und bei diesen Worten schüttelte er den Kopf, verzog den Mund und schwieg dann, und alle Anwesenden stimmten ihm zu. Da meinte der Kardinal: »Man kann nicht so leicht voraussagen, ob die Sache günstig oder ungünstig ausgeht, solange man sie überhaupt noch nicht erprobt hat. Aber nach Verkündigung eines Todesurteils könnte ja der Landesherr einen Aufschub der Vollstreckung anordnen und unter Einschränkung der Privilegien der Asylstätten dieses neue Verfahren erproben. Sollte es sich durch den Erfolg als zweckmäßig bewähren, so wäre es wohl richtig, es zur dauernden Einrichtung zu machen. Andernfalls könnte man ja die vorher Verurteilten auch dann noch hinrichten, und das wäre von nicht geringem Vorteil für den Staat und nicht ungerechter, als wenn es gleich geschähe, und auch in der Zeit des Aufschubs könnte keine Gefahr daraus erwachsen. Ja, wie mir sicher scheint, würde dieselbe Behandlung auch den Landstreichern gegenüber sehr angebracht sein; denn gegen sie haben wir zwar bis jetzt eine Menge Gesetze erlassen, aber trotzdem noch nichts erreicht.«

      Sobald der Kardinal das gesagt hatte – dasselbe, worüber sich alle verächtlich geäußert hatten, als sie es von mir hörten –, wetteiferte jeder, ihm das höchste Lob zu spenden, besonders jedoch seinem Vorschlag in betreff der Landstreicher, weil er den von sich aus hinzugefügt hatte.

      Vielleicht wäre es besser, das, was jetzt folgte, gar nicht zu erwähnen – es war nämlich lächerlich –, aber ich will es doch erzählen; denn es war nicht übel und gehörte in gewissem Sinne zu unserer Sache. Es stand zufällig ein Schmarotzer dabei, der offenbar den Narren spielen wollte, sich aber so schlecht verstellte, daß er mehr einem wirklichen Narren glich, indem er mit so faden Äußerungen nach Gelächter haschte, daß man häufiger über seine Person als über seine Worte lachte. Zuweilen jedoch äußerte der Mensch auch etwas, was nicht ganz so albern war, so daß er das Sprichwort bestätigte: »Wer viel würfelt, hat auch einmal Glück.« Da meinte einer von den Tischgenossen, ich hätte mit meiner Rede gut für die Diebe gesorgt und der Kardinal auch noch für die Landstreicher; nun bleibe nur noch übrig, von Staats wegen auch noch die zu versorgen, die durch Krankheit oder Alter in Not geraten und arbeitsunfähig geworden seien. »Laß mich das machen!« rief da der Spaßvogel. »Ich will auch das in Ordnung bringen! Denn es ist mein sehnlicher Wunsch, mich vom Anblick dieser Sorte Menschen irgendwie zu befreien. Mehr als einmal sind sie mir schwer zur Last gefallen, wenn sie mich mit ihrem Klagegeheul um Geld anbettelten. Niemals jedoch konnten sie das schön genug anstimmen, um auch nur einen Pfennig von mir zu erpressen. Es ist bei mir nämlich immer das eine von beiden der Fall: entweder habe ich keine Lust, etwas zu geben, oder ich habe nicht die Möglichkeit dazu, weil ich nichts zu geben habe. Infolgedessen werden die Bettler jetzt allmählich vernünftig. Um sich nämlich nicht unnötig anzustrengen, reden sie mich gar nicht mehr an, wenn sie mich vorübergehen sehen. So wenig erhoffen sie von mir noch etwas, in der Tat nicht mehr, als wenn ich ein Priester wäre. Aber jetzt befehle ich, ein Gesetz zu erlassen, dem zufolge alle jene Bettler ohne Ausnahme auf die Benediktinerklöster verteilt und zu sogenannten Laienbrüdern gemacht werden; die Weiber aber, ordne ich an, sollen Nonnen werden.«

      Da lächelte der Kardinal und stimmte im Scherz zu, die anderen dann auch im Ernst. Indessen heiterte dieser Witz über die Priester und Mönche einen Theologen, einen Klosterbruder, so auf, daß er, sonst ein ernster, ja beinahe finsterer Mann, jetzt gleichfalls anfing, Spaß zu machen. »Aber auch so«, rief er, »wirst du die Bettler nicht loswerden, wenn du nicht auch für uns Klosterbrüder sorgst!«

      »Aber das ist doch schon geschehen«, erwiderte der Parasit. »Der Kardinal hat ja vortrefflich für euch gesorgt, indem er für die Tagediebe Zwangsarbeit festsetzte; denn ihr seid doch die größten Tagediebe.«

      Da blickten alle auf den Kardinal. Als sie aber sahen, daß er auch diese Bemerkung nicht zurückwies, fingen sie alle an, sie mit großem Vergnügen aufzunehmen; nur der Klosterbruder machte eine Ausnahme. Der nämlich, mit solchem Essig übergossen, geriet dermaßen in Zorn und Hitze – worüber ich mich auch gar nicht wundere –, daß er sich nicht mehr beherrschen konnte und zu schimpfen anfing. Er nannte den Menschen einen Taugenichts, einen Verleumder, einen Ohrenbläser und ein Kind der Verdammnis und führte zwischendurch schreckliche Drohungen aus der Heiligen Schrift an. Jetzt aber begann der Witzbold ernsthaft zu spaßen, und da war er ganz in seinem Element. »Zürne nicht, lieber Bruder!« sagte er. »Es steht geschrieben: ›Durch standhaftes Ausharren sollt ihr euch das Leben gewinnen.‹« Darauf erwiderte der Klosterbruder – ich will nämlich seine eigenen Worte wiedergeben –: »Ich zürne nicht, du Galgenstrick, oder ich sündige wenigstens nicht damit. Denn der Psalmist sagt: ›Zürnt und sündigt nicht!‹« Darauf ermahnte der Kardinal den Klosterbruder in sanftem Tone, sich zu mäßigen. Doch der antwortete: »Herr, ich spreche nur in redlichem Eifer, wie ich es tun muß. Denn auch heilige Männer haben einen redlichen Eifer bewiesen, weswegen es heißt: ›Der Eifer um dein Haus hat mich verzehrt‹. Und in den Kirchen singt man:

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