Die Kapuzinergruft. Joseph Roth

Die Kapuzinergruft - Joseph  Roth


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Dienstleistung, die Sie mir erwiesen haben, erlaube ich mir ergebenst, Ihnen mitzuteilen, daß ich Ihnen sehr, sehr dankbar bin. Mein Sohn schreibt mir, daß er Fortschritte im Konservatorium macht, und sein ganzes Genie habe ich Ihnen zu verdanken. Ich danke Ihnen auch von Herzen. Gleichzeitig erlaube ich mir ergebenst, Sie zu bitten, ob Sie nicht die große Güte hätten, hierher, zu uns, zu kommen. Ihr Cousin, der Maronibrater Trotta, wohnt immer, das heißt: seit zehn Jahren, bei mir, jeden Herbst. Ich habe mir vorgestellt, daß es auch Ihnen angenehm wäre, bei mir zu wohnen. Mein Häuschen ist arm, aber geräumig.

      Sehr verehrter Herr! Nehmen Sie mir gefälligst diese Einladung nicht übel. Ich bin so klein, und Sie sind so groß! Verehrter Herr! Ich bitte auch um Entschuldigung, daß ich diesen Brief schreiben lasse. Ich kann nämlich selbst nicht schreiben, außer meinen Namen. Diesen Brief schreibt, auf meinen Willen, der öffentlich konzessionierte Schreiber unseres Ortes, Hirsch Kiniower, also ein zuverlässiger, ordentlicher und amtlicher Mensch. Des sehr verehrten Herrn ergebener:

      Manes Reisiger, Fiaker in Zlotogrod.«

      Der ganze Brief war in sorgfältiger, kalligraphischer Schrift geschrieben: »wie gedruckt« sagte man damals von dieser Art Schrift. Nur die Unterschrift, der Name eben, verriet die rührende Ungelenkigkeit der Fiakerhand. Dieser Anblick der Unterschrift allein hätte mir genügt, meinen Entschluß zu fassen und meine Reise nach Zlotogrod für den nächsten Frühherbst festzusetzen. Sorglos waren wir damals alle, und ich war sorglos wie alle die anderen. Unser Leben war vor dem großen Krieg idyllisch, und schon eine Reise nach dem fernen Zlotogrod schien uns allen ein Abenteuer. Und daß ich der Held dieses Abenteuers sein sollte, war mir selbst eine großartige Gelegenheit, großartig vor meinen Freunden dazustehen. Und obwohl diese abenteuerliche Reise noch so weit vor uns lag und obwohl ich allein sie zu machen hatte, sprachen wir doch jeden Abend von ihr, als trennte mich lediglich eine Woche von Zlotogrod und als hätte ich sie nicht allein, sondern wir alle gemeinsam zu unternehmen. Allmählich wurde diese Reise für uns alle eine Leidenschaft, sogar eine Besessenheit. Und wir begannen, uns das ferne kleine Zlotogrod sehr willkürlich auszumalen, dermaßen, daß wir selbst schon, während wir noch Zlotogrod schilderten, überzeugt waren, wir entwürfen davon ein ganz falsches Bild; und daß wir dennoch nicht aufhören konnten, diesen Ort, den keiner von uns kannte, zu entstellen. Das heißt: mit allerhand Eigenschaften auszustatten, von denen wir von vornherein wußten, sie seien die willkürlichen Ergebnisse unserer Phantasie und keineswegs die realen Qualitäten dieses Städtchens.

      So heiter war damals die Zeit! Der Tod kreuzte schon seine knochigen Hände über den Kelchen, aus denen wir tranken. Wir sahen ihn nicht, wir sahen nicht seine Hände. Wir sprachen von Zlotogrod dringlich so lange und so intensiv, daß ich von der Furcht erfaßt wurde, es könnte eines Tages plötzlich verschwinden oder meine Freunde könnten zu glauben anfangen, jenes Zlotogrod sei unwirklich geworden und es existierte gar nicht und ich hätte ihnen nur davon erzählt. Plötzlich erfaßten mich die Ungeduld und sogar die Sehnsucht nach diesem Zlotogrod und nach dem Fiaker namens Reisiger.

      Mitten im Sommer des Jahres 1914 fuhr ich hin, nachdem ich Vetter Trotta nach Sipolje geschrieben hatte, daß ich ihn dort erwarte.

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