Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor Storm

Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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und die wackere Frau Bürgermeisterin lehnte sich vor Behagen lächelnd weit zurück in ihrem Sofa, wo sie seit Beginn des Unterrichts als aufmerksame Zuschauerin Platz genommen hatte.

      Fräulein Charlotte war meinem Freunde Fritz als Partnerin zugefallen, und ihr lebhaftes Wesen schien, wie ich gern bemerkte, ihn bald seine anfängliche Begeisterung für die Schneidertochter vergessen zu machen. Da ich die letztere aber jetzt gewissermaßen als mein Eigentum betrachtete, so war ich eifersüchtig auf die Schönheit und Eleganz meiner Dame; und ein verweilender Blick ihrer tadellos gekleideten Nebenbuhlerin, dem meine Augen gefolgt waren, hatte mich belehrt, daß die Beschützerin des schönen Mädchens dennoch eines nicht genügend bedacht hatte. Die Handschuhe waren zu groß für diese schmalen Hände; sie waren offenbar auch schon gewaschen.

      Am andern Morgen, sobald ich aus der Klasse kam, ließ es mir keine Ruhe mehr. Ich machte mich über den Schrank, worin meine blecherne Sparbüchse aufbewahrt wurde, und grub und schüttelte so lange, bis ich aus dem Spalt einen harten Taler neben der roten Tuchzunge hervorgearbeitet hatte. Dann rannte ich in einen Kaufladen. – »Ich wollte kleine weiße Handschuhe!« sagte ich nicht ohne Beklommenheit.

      Der Ladendiener warf einen sachverständigen Blick auf meine Hand. »Nummer sechs!« meinte er, während er die Handschuhschachetl auf den Tisch stellte. »Geben Sie mir Nummer fünf!« bemerkte ich kleinlaut.

      »Nummer fünf? – Wird wohl nicht passen!« und er machte Anstalt die Handschuhe über meine Hand zu spannen.

      Es stieg mir siedend heiß ins Gesicht. »Sie sollen nicht für mich!« sagte ich, und bedauerte mehr als jemals den Mangel einer Schwester, auf die ich den Handel hätte bringen können. Aber ich war entzückt von den kleinen Handschuhen mit den weißen seidenen Bändchen, die nun vor mir ausgebreitet lagen. Ich kaufte zwei Paar, und bald nachdem ich den Laden verlassen; hatte ich einen Jungen von der Straße aufgefischt. »Bring das an die Lore Beauregard«, sagte ich, »einen Gruß von der Frau Bürgermeisterin, hier wären die Handschuhe für die Tanzstunde! Und dann bring mir Bescheid; ich warte hier an der Ecke auf dich.«

      Nach zehn Minuten war der Junge wieder da.

      »Nun?«

      »Ich hab sie der Alten gegeben.«

      »Was sagte die Alte?«

      »Es wäre zu viel; die Frau Bürgermeisterin hätte diesen Morgen ja schon ein Paar geschickt.«

      »Gut!« dachte ich; »so merkt sie nichts.«

      In der nächsten Tanzstunde trug Lore die neuen Handschuhe ; ich weiß nicht, ob die meinen oder die von der Bürgermeisterin; aber sie lagen wie angegossen um das schlanke Handgelenk; und nun sah keine vornehmer aus als Lore in ihrem dunkeln Kleide.

      Die Lehrstunden gingen nun ihren ebenen Lauf. Nachdem die Mazurka eingeübt war, kam ein Contretanz an die Reihe, in welchem Fritz und Lore zusammen tanzten. – Ein Verhältnis dieser zu den andern Mädchen wollte sich indessen nicht herausstellen; nur mit der langen Jenni, welche die älteste und, wie ich glaube, die klügste von ihnen war, sah ich sie ein paarmal im Gespräch zusammensitzen; auch auf dem Heimwege, der beiden bis auf eine kleine Strecke gemeinschaftlich war, legte Jenni wohl einmal ihren Arm auf den der Schneidertochter. Sonst stand diese zwischen dem Tanzen meist allein, wenn nicht der alte Lehrer mit seiner Geige einmal zu ihr trat, und ihr einen oder andern Balletsprung aus den Zeiten seiner Jugend vormachte, um seinen Liebling in die äußersten Feinheiten der Kunst einzuweihen. Oft habe ich verstohlen zu ihr hinübergeblickt, wie sie scheinbar teilnahmlos dem alten Manne zuhörte, nur mitunter die schwarzen Augen zu ihm aufschlagend oder still und wie nur andeutungsweise eine seiner künstlichen Figuren nachmachend. Aber wenn wir angetreten waren und der Maestro seine Geige zu streichen begann, wurde es anders. Zwar schien sie an nichts weniger zu denken, als an die Tritte und Wendungen des Tanzes, es war fast, als blickten ihre Augen in entlegene Fernen; aber, während ihre Gedanken weit entrückt schienen, lächelte ihr Mund, und ihre kleinen Füße streiften lautlos und spielend über den Boden. – »Lenore, wo bist du?« fragte ich dann wohl, während ich ihr in der Tour die Hand reichte. – »Ich?« rief sie und strich wie aus Träumen auffahrend ihr schwarzes Haar zurück, während die Wendung des Tanzes sie mir schon wieder entführt hatte. – Noch jetzt, wenn ich die spanische Tanzweise in Suchers ausländischen Volksmelodien höre, kann ich immer nur an sie denken.

      Einigermaßen hinderlich – ich will es nicht leugnen – war es mir, daß seit den Tanzstunden der französische Schneider mich mit einer auffälligen Gunst beehrte. Wo er mir nur begegnete, auf Straßen oder Spazierwegen, suchte er mich zu stellen und ein möglichst lautes und langes Gespräch mit mir anzuknüpfen. Schon das erste Mal erzählte er mir, daß sein Großvater unter Louis seize Ofenheizer in den Tuilerien gewesen war.

      »Ja, Monsieur Philipp«, sagte er mit einem Seufzer und präsentierte mir seine porzellanene Schnupftabaksdose, »so kann eine Familie herunterkommen! – Aber meine Lore – Sie verstehen mich, Monsieur Philipp!« – Er zog ein bunt gewürfeltes Schnupftuch aus der Tasche und trocknete sich die kleinen schwarzen Augen. »Was wollen Sie! Ich bin ein armer Kerl, aber das Kind – – sie ist mein Bijou, der Abgott meines Herzens!« Und dabei blinzelte er und warf mir einen so väterlichen Blick zu, als gedenke er auch mich in die heruntergekommene Familie aufzunehmen.

      Mittlerweile kam die letzte Tanzstunde heran, die zu einem kleinen Ball erweitert werden sollte. Die Eltern waren eingeladen, um uns tanzen zu sehen; von den meinigen hatte indessen nur meine Mutter zugesagt, mein Vater wurde durch seinen Beruf als Arzt und Bezirksphysikus von jeder Geselligkeit ferngehalten. Da meine Ungeduld, sobald der Abend anbrach, mir keine Ruhe ließ, so trat ich schon vor der angesetzten Stunde in den Saal, in welchem heute auf den Wandleuchtern und in den Glaskronen alle Kerzen brannten. Als ich mich umblickte, bemerkte ich Lore ganz allein mit dem Rücken gegen mich an einem Fenster stehend. Bei dem Geräusch der zufallenden Tür schrak sie sichtlich zusammen, während sie mit Hast bemüht schien, einen goldenen Schmuck von ihrer Hand zu streifen. Als ich zu ihr getreten, sah ich, daß es ein Armband war, dessen Schloß sie vergeblich zu öffnen sich bemühte.

      »So laß doch sitzen, Lore!« sagte ich.

      »Es gehört nicht mein!« antwortete sie verlegen, »Jenni hat es hier vergessen.«

      Die feine Blumenrosette von mattem venizianischem Golde lag so schimmernd auf dem braunen schlanken Handgelenk.

      »Es sollte bleiben, wo es ist«, sagte ich leise.

      Lore schüttelte traurig den Kopf; und ihre Finger begannen aufs neue, an dem Schloß zu nesteln.

      »Komm«, sagte ich, »es geht ja nicht; ich will dir helfen!« – Ich fühlte die leichte Last ihrer schmalen Hand in der meinen; ich zögerte, meine Augen waren wie verzaubert.

      »O, bitte, geschwind!« bat sie. Mit niedergeschlagenen Augen, wie mit Blut übergossen stand das Mädchen vor mir.

      Endlich sprang das Schloß auf, und Lore legte den goldenen Schmuck schweigend zwischen die Blumentöpfe auf die Fensterbank.

      Gleich darauf füllte sich der Saal. Auch Frau Beauregard hatte es sich nicht nehmen lassen, wenigstens als Aufwärterin an dem Ehrenfeste ihres Kindes teilzunehmen. In einer frischgestärkten Haube, bald mit Kuchenkörben, bald mit einem großen Präsentierteller beladen, ging sie zwischen den Gästen ab und zu. – Endlich begannen die Musikanten aufzustreichen, deren heute vier an einem Tische saßen. Der alte Tanzmeister klopfte auf den Geigendeckel, und Lore reichte mir die Hand zur Mazurka. – Und, o, wie tanzten wir! Wie sicher lag sie in meinem Arm, mit welcher Verachtung stampften die kleinen Füße den Boden! Auch mich riß es hin, als wenn ich von den Rhythmen der Musik getragen würde. Es war wie eine schmerzliche Leidenschaft; denn wir tanzten heute, vielleicht auf immer zum letztenmal zusammen.

      Erst jetzt hatte ich bemerkt, daß Lore ein Kleid von leichtem hellgeblümten Wollenstoff trug. Es war wie das vorige augenscheinlich aus der Garderobe ihrer Gönnerin hervorgegangen; denn auf der breiten Brust und bei den etwas kupferigen Wangen der Frau Bürgermeisterin hatten diese farbigen Rosenbuketts im letzten Winter eine Art von komischer Berühmtheit erlangt; nun aber kam das zarte


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