Die Kreuzzüge. Martin Kaufhold
lagen etwa 50 Jahre zurück und hatten sich etwa in der Zeit bemerkbar gemacht, in der auch der wirtschaftliche Aufbruch erkennbar wurde.
Im Jahr 1046 war König Heinrich III. nach Rom gezogen, um sich zum Kaiser krönen zu lassen. Dies war der traditionelle Weg und er begründete einen gewissen Zusammenhang zwischen Rom und den Königen des Reichs nördlich der Alpen. Der König reiste nicht allein. In seinem Gefolge befanden sich bei einer solchen Gelegenheit bedeutende Reichsfürsten. Die vornehmsten unter ihnen waren die Bischöfe des Reiches, die bei solchen Gelegenheiten nach Rom kamen. Ansonsten war ihre Bindung an den Bischof von Rom eher locker. Der Bischof von Rom hatte ein ehrenvolles Amt, weil sein Inhaber der Nachfolger des Apostels Petrus war. Aber dies war ein eher abstrakter Vorsprung, der durch die eigentümliche Amtsführung, mit der viele diese Nachfolger aus dem Adel des römischen Umlands ihre Aufgabe versahen, nicht sehr gestützt wurde.
Das Amt des Bischofs von Rom hatte bis in die Mitte des elften Jahrhunderts vor allem eine lokale oder regionale Bedeutung. Das änderte sich nach 1046 zunehmend. Denn Heinrich III. traf in Rom auf eine unklare Situation. Zwei konkurrierende Päpste beanspruchten den apostolischen Stuhl, und der Status eines dritten vormaligen Papstes, der sein Amt niedergelegt hatte, war nicht ganz klar. Für seine Kaiserkrönung wünschte Heinrich indes klare Verhältnisse. Dazu kam, dass er ein Mann von strenger persönlicher Frömmigkeit war, dem die Klärung dieses Konflikts ein tatsächliches Anliegen war. Heinrich III. setzte alle drei römischen Päpste ab, und er berief einen eigenen Kandidaten aus Deutschland, den Bischof von Bamberg, zum neuen Papst. Als Clemens II. krönte er Heinrich zum Kaiser. Auf Clemens folgten weitere deutsche Päpste, und sie kamen nicht allein nach Rom. Sie lebten nicht lange – Rom war damals kein einfaches Umfeld für einen deutschen Bischof –, aber in diesen Jahren kamen jene Männer an die Kurie, die mit ihrem Reformwillen die Kirche veränderten. Der Auftritt des Papsttums änderte sich schon bald. Könige und Klerus bekamen den neuen Geist energisch zu spüren.
Weil wir – angestachelt durch apostolische Autorität und die wahrhaften Sätze der heiligen Väter – wegen der Verpflichtung unseres Amtes fest entschlossen sind, die simonistische Häresie zu beseitigen und die Keuschheit der Kleriker vorzuschreiben, haben wir beschlossen, Dir, dem in einem weiten Gebiet Klerus und Volk anvertraut sind, folgende Gehorsamspflicht aufzuerlegen …Dies war der Auftakt eines Schreibens von Papst Gregor VII. an den Erzbischof von Mainz im März 1074 (Briefe Gregors VII. Nr. 123). Dies waren neue Töne. Der Erzbischof von Mainz war der vornehmste Prälat des Reiches. Aufgrund seiner langen Tradition hatte sein Erzbistum eine enorme Erstreckung. Ein solcher Mann war es nicht gewöhnt, Befehle aus Rom zu empfangen. Es war durchaus bezeichnend, dass Heinrich III. 1046 und in den folgenden Jahren deutsche Bischöfe zu Päpsten ernannte. Für einen Erzbischof wäre das Amt nicht attraktiv genug gewesen. Der Erzbischof von Hamburg-Bremen, dem der Apostolische Stuhl angetragen worden war, soll ihn abgelehnt haben. Adalbert von Hamburg-Bremen war ein hoher Adliger, der einen aufwendigen Hof unterhielt. Solche Männer nahmen keine Weisungen entgegen. Bislang hatten sie das auch nicht tun müssen, aber mit der Reform änderte sich das Verhältnis. Es ist nicht verwunderlich, dass die deutschen Bischöfe sich diesem Anspruch widersetzten und sich 1076 einer Initiative ihres Königs Heinrichs IV. anschlossen, der aus Verärgerung über den Papst dessen Legitimation grundsätzlich infrage stellte. Dieser Konflikt ist als Investiturstreit in die Geschichte eingegangen. Er ist im Zusammenhang mit den Kreuzzügen in mehrfacher Hinsicht relevant. Denn er führte dazu, dass Papst und Kaiser sich wiederholt gegenseitig ihr Amt streitig machten, was wiederum dazu führte, dass Urban II., als er in Clermont zum Kreuzzug aufrief, in Rom einen Gegenpapst hatte.
Das Zerwürfnis mit dem König und späteren Kaiser Heinrich IV. hatte zudem zur Folge, dass Heinrich nicht als Führer des Kreuzzugs infrage kam, obwohl der Schutz der Christenheit die ureigenste Aufgabe des Kaisers war (es gab noch weitere Gründe). Weiterhin lässt die Auseinandersetzung die Vehemenz der Reformer erkennen. Es war dieser Anspruch, den göttlichen Willen auszuführen, der in dem zitierten Brief des Papstes bereits erkennbar war, der der Reform einen solchen Nachdruck verlieh. Diese unbedingte Überzeugung, das richtige zu tun, verlieh der Reform nicht nur ihre Durchschlagskraft, es verlieh ihr auch einen aggressiven Zug im Umgang mit den Gegnern. Es war ein aggressiver Zug, der nicht nur die Prälaten unter den Reformern erfasste, sondern der von vielen glaubenden Zeitgenossen geteilt wurde. Auch daraus speiste sich der Enthusiasmus, der den ersten Kreuzzug trug. Es war ein Enthusiasmus des Kampfes und er hatte eine Vorgeschichte in den Konflikten der Reform. Worum ging es?
In den Worten der Zeitgenossen ging es um die Freiheit der Kirche. Eine Freiheit von allen Verstrickungen des weltlichen Lebens mit seinen vielen Kompromissen. Die Freiheit der Kirche sollte dem Geist Gottes jenen Raum geben, den er für sein Wirken benötigte. Und die Reformer verstanden sich als seine Vorkämpfer. Sie fühlten sich der weltlichen Machtsphäre überlegen. Das Selbstverständnis der kirchlichen Reformer trennte sie in deutlichem Maße von den Laien, die sie mitunter energisch unterstützten. In den Augen der Reformer besaß die geistliche Lebensweise eine höhere Würde. Geistliche besudelten ihre Hände nicht mit dem Blut, das an den Schwertern der adligen Krieger klebte, und sie waren frei von den Verstrickungen der Sexualität, die die Männer des Laienstandes fesselten. Hier nahmen zwei wichtige Bewegungen ihren Ausgangspunkt, eine innerkirchliche und eine, die das Verhältnis der Kirche zu den Vertretern der weltlichen Macht betraf.
Die innerkirchliche Bewegung, die nun mit rücksichtsloser Entschiedenheit auf zahlreichen Reformsynoden in Europa vorangetrieben wurde, zielte auf die Abschaffung der Priesterehe.
Der Zölibat, um den es ging, war durchaus ein geistliches Leitbild, aber in den Reihen des normalen Klerus interpretierte man diese Vorschriften nicht allzu eng. Zudem gab es sehr ernsthafte Verteidiger der Priesterehe mit gewichtigen Argumenten. Nun aber sahen sich die verheirateten oder zumindest in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Priester zunehmend öffentlich angeprangert. Das Leitbild des zölibatären Klerus wurde zu einer zentralen Forderung der Kirchenreform. Es war ein Leitbild, das nicht allzu komplex und einfach zu vermitteln war. Es richtete sich indes gegen eine Lebensweise, von der sich die Betroffenen keineswegs so einfach trennen mochten. Darüber kam es zu heftigen Konflikten, und es waren die Instrumente dieses Kampfes, die überhaupt den Rahmen des Aufrufes zum ersten Kreuzzug schufen.
Die zeitgenössischen Quellen lassen erkennen, dass um die Anliegen der Reform auf vielen Ebenen erbittert gerungen wurde. Dazu mussten die Reformer in die Offensive, denn sie wollten die bestehenden Verhältnisse verändern, und die Beharrungskräfte waren enorm. Der klassische Weg war die Verbreitung der päpstlichen Anliegen durch Briefe an die einzelnen Bischöfe, die diese Schreiben dann ihren Priestern bekannt machten. Wenn allerdings die Bischöfe selber den päpstlichen Führungsanspruch in der vorgetragenen Form nicht akzeptierten, dann war diese Kommunikationsstruktur nicht arbeitsfähig. Eine Abhilfe schufen Synoden der Erzbistümer oder Bistümer, auf denen ein Legat des Papstes den Vorsitz führte. Dieses Instrument erlaubte es der Kurie, ihre Anliegen mit entsprechendem Nachdruck vorzutragen und vor Ort die anwesenden Kleriker auf eine Einhaltung der Vorschriften zu verpflichten. Angesichts der einfachen Kommunikationsstrukturen war das Mittelalter eine Zeit, in der Herrschaft persönlich ausgeübt werden musste, wenn sie effektiv sein sollte.
Die widerstrebenden Geistlichen mussten persönlich auf die Einhaltung des Zölibats verpflichtet werden. So schrieb Papst Gregor VII. am 29. März 1075 an den Erzbischof von Köln: Um aber das, was wir Deiner Liebe auferlegen, umfassender und wirksamer zu verfolgen, raten wir Dir, mit Deinen bischöflichen Mitbrüdern ein Konzil herbeizuführen. Auf diesem solltest Du einen möglichst großen Kreis von Klerikern versammeln und ihm die kanonischen Gesetze und die Autorität des päpstlichen Stuhles sowohl wie Deine und die aller deiner Mitbrüder offen verkünden und ausführlich darlegen, wie groß die Tugend der Keuschheit, wie sehr sie für alle geistlichen Grade notwendig …ist; danach solltest Du ihnen unumstößlich kundtun, dass ihnen fürderhin nicht erlaubt ist, was sie zu ihrem eigenen Verderben bisher in Anspruch nahmen … (Brief Gregors VII. Nr. 51).
Nicht immer konnte der Papst selber einem Konzil oder einer Synode vorsitzen (die mittelalterlichen Quellen unterscheiden diese Begriffe nicht), und nicht immer konnte er einen Legaten entsenden. Die Entfernungen waren gewaltig und die Zahl der Aktiven begrenzt. Die Reise von Rom nach Köln dauerte mehrere Wochen. Diese Bedingungen zu kennen,