Edgar Wallace-Krimis: 78 Titel in einem Band. Edgar Wallace
warst du also am Sonntag abend in seiner Wohnung?« fragte er. »Ich habe dich nämlich hineingehen sehen, und ich beobachtete auch, wie du sein Haus wieder verließest. Du wolltest diese Wechsel von ihm haben, und er hat dir die falschen gegeben. Du hast die Wechsel also gestohlen, aber der Alte hat dich angeführt! Natürlich hat er dich hereingelegt! Was gedenkst du nun in dieser Angelegenheit zu tun?«
Sie antwortete nicht.
»Ich werde dir die einzige Lösung sagen, die dir übrigbleibt. Du wirst vernünftig sein und mich heiraten. Dieser verdammte Detektiv kann dir doch nichts bedeuten. Er ist doch nur ein besserer Polizist. Du mußt etwas auf dich halten! Es ist unter deiner Würde, mit einem solchen Menschen zu verkehren. Ich werde dir die beiden Wechsel als Hochzeitsgeschenk überreichen. Solltest du dich aber weigern, wird es böse werden. Dem Gesetz nach sind die Wechsel in meinen Besitz übergegangen. Ich bin der Erbe meines Onkels, auch alle seine Forderungen gehen auf mich über. Ich werde Mr. Nelson dahin bringen, wohin er gehört. Ich habe ihn jetzt ganz in meiner Gewalt! Sieh hier – mein Onkel hat auf dieses Papier geschrieben: ›Diese beiden Wechsel sind Fälschungen.‹ Dieses Zeugnis genügt, Stella!«
Er ging um den Tisch herum und streckte ihr die Hände entgegen, aber sie hatte sich erhoben und drehte ihm den Rücken zu.
»Nun gut, beschlafe die Sache erst noch einmal und überlege dir alles, ich werde morgen wiederkommen. Du kannst Macleod nichts von dieser Geschichte erzählen, ohne ihm zu gestehen, daß dein Vater ein Betrüger ist, und das würde doch etwas zuviel für ihn sein. Er hat sein Bestes getan, dich vor Unannehmlichkeiten zu bewahren, aber nun wäre es seine Pflicht, gegen deinen Vater vorzugehen. Also sei vernünftig, Stella!«
Er stand an der Tür und schaute noch einmal zurück. Als er sie schloß, lächelte er, und lächelnd öffnete er die Gartenpforte. Aber in diesem Augenblick legte sich plötzlich eine große Hand auf seinen Mund, und er wurde heftig zurückgerissen. Bevor er noch wußte, was geschehen war, hatte ihn jemand mit der einen Hand an der Kehle gepackt und mit der anderen seine Taschen durchsucht. Er schaute in das wütende Gesicht eines Mannes, der eine Brille trug.
»Sie wagen es, ihr zu drohen, und sitzen selbst in der Patsche? Erzählen Sie es doch Macleod! Er wird Ihre Wohnung noch heute abend durchsuchen lassen! Wo haben Sie denn diese Wechsel her?«
»Geben Sie mir die – Papiere zurück«, sagte Wilmot mit zitternder Stimme. ›Vieraugen-Scottie‹ grinste unangenehm.
»Gehen Sie doch hin und melden Sie die Sache der Polizei. Vielleicht kann die Ihnen die Papiere wieder beschaffen!«
Artur Wilmot schlich nach Hause, er war wirklich keine Kämpfernatur.
16
»Eine gute Tat«, sagte Scottie, »trägt ihre Belohnung in sich selbst. Und ich fühle, daß ich ganz so handle, wie es in diesen schönen Geschichten steht, die von gebesserten Sträflingen handeln. Als ich zum letztenmal im Gefängnis war, habe ich dort eine ganze Bibliothek von Büchern über die guten Taten ehemaliger Sträflinge gefunden. Oft wurden sie durch das Lächeln eines Kindes von weiterer Schande gerettet. Manchmal war es die Tochter des Gefängnisdirektors, manchmal die Schwester des Geistlichen. Ihr Alter schwankte zwischen neun und neunzehn Jahren. Und die Erinnerung an ihre blauen Augen bewog jeden, seine Verbrecherlaufbahn aufzugeben. Das war das Ende!«
»Sie reden nur soviel, damit ich nicht weinen muß«, sagte Stella leise.
Im Kamin rauchte wieder ein Haufen verbrannter Papiere.
»Die Stecknadel hätten Sie nicht verbrennen sollen,« Scottie hob sie sorgfältig auf, so heiß sie auch war, und steckte sie unter seinen Rockaufschlag. »Verbranntes Papier ist verbranntes Papier, aber nehmen Sie einmal an, Artur Wilmot rennt wirklich zur Polizei und erzählt die Geschichte von den beiden Wechseln, die mit einer Stecknadel zusammengeheftet waren, und man findet dann die Asche der Papiere und eine angebrannte Stecknadel? Das würde doch seine Aussagen bestätigen, und das wäre mir sehr peinlich.«
»Sie haben alles gehört?« fragte sie und trocknete ihre Augen.
»Das meiste«, gestand Scottie. »Ich stand gerade im Garten, als er mit Ihnen an der Haustür sprach. Die Tür blieb offen, und ich konnte fast alles hören. Der Mann ist noch lange kein richtiger Erpresser. Der müßte erst noch fünf Jahre in die Lehre gehen, bis er so etwas ordentlich anfängt. Er ist zu nervös, außerdem schwatzt er zuviel. Aber diese Eigenheit besitzen alle Bewohner von Beverley Green. Sie sehen mich so zweifelnd an, Miss Nelson – vielleicht denken Sie, daß ich auch zuviel rede? Das stimmt, aber was ich sage, hat Hand und Fuß. Ich weiß Bescheid. Wenn man, wie ich, die ganze Welt gesehen hat, durch Kanada, die Vereinigten Staaten, Australien, Südafrika und diese Inseln gekommen ist, erweitert man seine Kenntnisse. Und ein gelegentlicher Aufenthalt im Gefängnis vertieft das Wissen.«
»Ich gehe jetzt in mein Zimmer, Mr. – Scottie. Ich kann Ihnen nicht genug danken. Ich werde es Mr. Macleod sagen.«
Scottie schüttelte heftig den Kopf.
»Das dürfen Sie unter keinen Umständen tun, das bringt ihn nur in große Verlegenheit. Meine lange Erfahrung mit Polizeibeamten hat mich zwei Dinge gelehrt – ich weiß, was sie wissen wollen und was sie nicht wissen wollen. Und es ist ein Fehler, wenn man ihnen etwas erzählt, das sie nicht wissen wollen.«
Sicher hatte er recht. Sie war auch nicht in der Verfassung, mit ihm darüber zu streiten. Diese letzte Aufregung hatte sie vollständig die Nerven gekostet, und sie mußte jetzt allein sein, um sich zu beruhigen. An Artur Wilmot dachte sie gar nicht mehr. Er bedeutete für sie nicht mehr als die Asche, die dort im Kamin lag.
»Gute Nacht – und noch vielen herzlichen Dank.«
»Träumen Sie etwas Schönes«, sagte Scottie und schaute nicht eher von seinem Buch auf, als bis sie gegangen war.
Dann nahm er sorgfältig die ganze Asche aus dem Kamin, trug sie in die Küche und vermischte sie dort in einem Glas mit Wasser. Dieses goß er aus, wusch das Glas wieder ab und trocknete es.
*
Am nächsten Morgen kam ein klug aussehender Journalist mittleren Alters nach Beverley Green. Er war bei keiner bestimmten Zeitung angestellt, aber alle Blätter nahmen seine Artikel gerne, denn er war einer der tüchtigsten Reporter. Er war sehr gewissenhaft. Für ihn hatte sich alles der Wahrheit unterzuordnen. Wer auch immer beleidigt oder verletzt sein mochte und wessen Interessen gefährdet wurden, war ihm gleichgültig. Seine Methoden waren unnachsichtig und erbarmungslos. Er scheute vor nichts zurück, um die volle Wahrheit herauszubringen. Er brach jedes Versprechen mit derselben Leichtigkeit, mit der er sich ein Frühstück bestellte. Feierliche Gelöbnisse, die Quelle nicht zu verraten oder über gewisse Dinge nicht zu sprechen, gehörten bei ihm zum Handwerk. Die Mehrzahl seiner Kollegen, die in diesen Dingen ehrenhafter waren, verachteten ihn, und sie machten auch kein Geheimnis daraus. Aber sie mußten zugeben, daß er immer großen Erfolg hatte, und sie wünschten manchmal insgeheim, daß sie ebenso gewissenlos handeln könnten wie er.
Er war ein untersetzter Mann mit etwas derben Gesichtszügen, trug eine große Brille und rauchte von morgens bis abends Zigarren. Gewöhnlich sah er etwas verdrießlich und unzufrieden aus. Aber er konnte von bezaubernder Liebenswürdigkeit sein, wenn er jemanden aushorchen wollte. Darin lag seine Macht und für sein Opfer die große Gefahr.
Es ist eine Tatsache, daß er mit dem Bischof von Grinstead drei Stunden lang, ohne einen Fehler zu machen, über theologische Spitzfindigkeiten sprach, bis ihm der Bischof, um eine seiner Ansichten zu belegen, die bis dahin streng geheimgehaltene Geschichte des Geistlichen Stoner Jelph erzählte, der sich das Leben genommen hatte. Natürlich hatte der Bischof keinen Namen erwähnt, er nannte den Mann nur Mr. X. Aber Downer – so hieß nämlich dieser Journalist – hatte die Geschichte herausbekommen und veröffentlicht. Er nannte in seinem Bericht auch keinen Namen, aber jeder wußte, um wen es sich handelte.