Edgar Wallace-Krimis: 78 Titel in einem Band. Edgar Wallace

Edgar Wallace-Krimis: 78 Titel in einem Band - Edgar  Wallace


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Akt, als wenn Männer sich den Bart abnehmen. Es liegt so etwas Unwiderrufliches, so etwas von Selbstaufopferung darin, daß man sich wundern muß, warum so wenige große Dichter dieses Thema behandelt haben.

      Er biß die Zähne zusammen und ging mit fester Hand zum Angriff über. Die breite Klinge blitzte im Sonnenlicht … es war geschehen.

      Er reinigte sein Gesicht vom Seifenschaum und betrachtete dann das Resultat im Spiegel. Sein Aussehen hatte sich tatsächlich vollkommen verändert. Er betrachtete sich erstaunt – er sah zehn Jahre jünger aus.

      »Wie ein Junge!« rief Gordon aus. Seine Gefühle hielten zwischen Freude und Verzweiflung die Mitte.

      Bis jetzt hatte er sich seinen Anzug noch nicht besehen. Er hatte beinahe schon wieder vergessen, wie dieses moderne graue Karo mit den roten Tupfen aussah …

      »Mein Gott!« sagte er plötzlich.

      Er war kein Stutzer. Einmal hatte ihm Diana einen solchen Ausruf entlockt. Aber Dianas modernstes Kleid war zahm im Vergleich zu diesem Kunstwerk des Schneiders, das auf dem Bett lag.

      Das konnte er doch unmöglich anziehen! Aber der schwarze Cut, den er jetzt trug, und der glänzende Zylinder waren für eine kurze Seereise ebenfalls unmöglich.

      Die Zeit verging im Fluge, er mußte sich entschließen. Also zog er zunächst einmal die Beinkleider an. Er betrachtete sich im Spiegel, sie sahen eigentlich gar nicht so schlecht aus … er machte sich fertig.

      Nun stand er in seiner vollen Größe vor dem Spiegel, staunte und bewunderte sich. Eins war sicher: Auch sein bester Freund hätte ihn so nicht wiedererkannt. Außerdem konnte er ja seinen Mantel anziehen, der verdeckte fast alles. Dieser neue Gordon Selsbury faszinierte ihn geradezu.

      »Wie geht es Ihnen?« fragte er sein Spiegelbild freundlich. Die Gestalt in dem Spiegel machte eine höfliche Verbeugung.

      Plötzlich erschrak Gordon – er hatte zuviel Zeit mit dem Umziehen versäumt. Er packte schnell und klingelte dann dreimal nach dem Hausdiener. Das Zimmermädchen erschien. Glücklicherweise war es ein Durchgangshotel, Gäste kamen über Nacht und verließen das Haus am Morgen wieder. Niemand erkannte jemand, es sei denn, daß Rechtsanwälte durch ihre Leute schnelle und dringende Nachfragen stellen oder das Gästebuch einsehen ließen.

      Zehn Prozent der Hotelangestellten waren dauernd als Zeugen vor Gericht beschäftigt.

      »Rufen Sie mir den Hausdiener!« sagte Gordon. Als dieser erschien, gab er ihm Instruktionen wegen des Handkoffers, in den er seinen Anzug verpackt hatte, und wegen der Hutschachtel. Erst jetzt fiel es ihm ein, daß man nicht im Zylinder nach Schottland reist, und er war sehr froh, daß Diana ihn nicht gesehen hatte, als er sein Haus verließ.

      Der Würfel war nun gefallen. Er nahm den anderen Koffer, zahlte seine Hotelrechnung und trat auf die Straße. Die Uhren schlugen gerade Viertel vor elf, als er auf den Victoria-Bahnhof kam. Der Zug fuhr um elf. Er brauchte sich nicht um Plätze zu bemühen, er hatte die Platzkarten in der Tasche. Glücklicherweise war das Wetter ziemlich schlecht – Sonnenschein und Regen wechselten miteinander ab, und es wehte ein ziemlich heftiger Wind. Er konnte also getrost den Kragen seines Mantels hochschlagen. Auf dem Anschlagbrett las er: Wind Nordnordwest, See mäßig bewegt bis stürmisch, Sicht gut.

      Er war auf jeden Fall froh, daß die Sicht gut war.

      Dann schaute er sich nach Heloise um. Sie wollten sich erst kurz vor Abgang des Zuges treffen.

      Zehn Minuten vor elf wurde er unruhig. Aber plötzlich sah er sie auf sich zueilen. Sie drehte sich ein paarmal ängstlich um, und es lag ein Ausdruck in ihrem Gesicht, vor dem er erschrak.

      »Folgen Sie mir in den Wartesaal!« Sie war an ihm vorbeigehuscht und hatte ihm nur diese Worte zugeflüstert. Wie im Traum nahm Gordon seinen Koffer auf und ging ihr nach. Der große Raum war fast leer.

      »Gordon, es ist etwas Schreckliches passiert!« Ihre Aufregung und Unruhe übertrugen sich auf ihn. »Mein Mann ist unerwartet vom Kongo zurückgekehrt. Er verfolgt mich … er ist rasend, er ist wild! Ach, Gordon, was habe ich getan!«

      Er wurde nicht ohnmächtig, er ertrug diese Situation, ohne das Bewußtsein zu verlieren.

      »Er sagt, ich hätte meine Neigung und Liebe einem anderen geschenkt, und er würde nicht eher ruhen, bis er diesen anderen tot zu meinen Füßen niedergestreckt hätte. Er hat gedroht, furchtbare Dinge zu tun – er ist ein Bewunderer Peters des Großen.«

      »So, ist er das?« Gordons Frage war kaum am Platz, aber es fiel ihm im Augenblick nichts Besseres ein. Auch war er kein bißchen an Mr. van Oynnes historischen Neigungen interessiert.

      »Gordon, Sie müssen nach Ostende fahren und dort auf mich warten«, sagte sie schnell. »Ich komme so bald wie möglich nach … o mein Lieber, Sie wissen nicht, wie ich leide!«

      Gordon war so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß es ihm gleichgültig war, was andere Menschen fühlten.

      »Haben Sie ihm denn nicht erzählt, daß unsere … unsere Freundschaft nur … geistiger Art ist?«

      Sie lächelte schwach und traurig.

      »Mein lieber Gordon … wer würde denn das glauben? Aber beeilen Sie sich jetzt – ich muß gehen.«

      Ihre Hand lag einen kurzen Augenblick lang zitternd auf seinem Arm, dann war sie verschwunden.

      Er nahm seinen Koffer, der ihm merkwürdig schwer vorkam, und folgte ihr in den Bahnhof. Aber sie war nirgends mehr zu sehen.

      Ein Gepäckträger bot ihm seine Dienste an.

      »Zug nach dem Festland, Sir? Haben Sie einen reservierten Platz?«

      Gordon schaute auf die Uhr. Es war fünf Minuten vor elf.

      »Der Zug nach Ostende geht um elf Uhr fünf, mein Herr.«

      »Ich dachte um elf«, sagte Gordon verwirrt.

      »Sie haben noch sehr viel Zeit, Sir.«

      Gordon stand wie erstarrt da. Seine Gedanken arbeiteten plötzlich nicht mehr. Er war im Augenblick unfähig, sich zu einem Entschluß aufzuraffen oder sich zu rühren.

      »Besorgen Sie mir ein Auto.«

      »Jawohl, mein Herr.«

      Der Gepäckträger nahm ihm den Koffer aus der Hand, Gordon leistete keinen Widerstand. Er folgte dem Mann ins Freie, absolut hilflos.

      »Wohin wünschen Sie zu fahren?«

      Der Träger stand da, hatte den Wagenschlag in der Hand und lächelte freundlich. Er hatte nämlich noch nicht sein Geld bekommen.

      »Nach Schottland«, sagte Gordon heiser.

      »Schottland – Sie meinen wohl Scotland Yard?«

      Plötzlich arbeiteten die Räder in Mr. Selsburys Gehirn wieder.

      »Nein, nicht doch, ich will ins Grovely-Hotel.« Das Trinkgeld, das er dem Träger in die ausgestreckte Hand drückte, war sehr hoch.

      Der Wagen setzte sich in Bewegung, und der Bahnhof war bald außer Sicht.

      Zur selben Zeit suchte Bobby Selsbury fieberhaft den ganzen Zug ab und eilte von Abteil zu Abteil, um seinen Bruder zu finden.

      Gordon war nun ruhiger geworden, obwohl er noch keineswegs aus der Gefahrenzone war. Er überlegte. Einen eifersüchtigen, rachegierigen Ehemann, der Waffen trug und wahrscheinlich Mordabsichten hatte, konnte er nicht ganz aus seinen Gedanken verdrängen. Gordon war neugierig, ob er in seiner Bibliothek eine ungekürzte Ausgabe der Geschichte Peters des Großen finden werde.

      Der Hotelportier war geschäftsmäßig erfreut, als er wieder zurückkehrte.

      »Lassen Sie den Wagen warten«, sagte Gordon. Er war nicht ganz sicher, ob er ohne fremde Hilfe fähig war, sich ein anderes Auto zu besorgen.

      Er erhielt


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