Science-Fiction-Romane: 33 Titel in einem Buch. Walther Kabel

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Becher gab. Ultima Thule war für die Menschen des Altertums jenes märchenhafte Reich, in dem, wie man sich heute ausdrücken würde, die Füchse sich Gute Nacht sagten und die Hunde mit dem Schwanz bellten. Südamerikas äußerste Spitze ist für uns Moderne ein ähnliches Ultima Thule. Den Magelhaens-Archipel hat noch niemand gründlich erforscht. Und in diesem Gewirr von Inseln und Inselchen, Klippen, Kanälen und Buchten ruhte Holger Jörnsens Geheimnis …

      Mancherlei geschah noch, bevor unser Kutter in dieses Labyrinth trostloser Öde hineinsteuerte, mancherlei, das zu denken gab, das nie geahnte Überraschungen brachte und das den Torstensen samt seiner kleinen Besatzung immer mehr zu einem verschwiegenen Fahrzeug der Rätsel stempelte …

      Der Alte hatte als ersten Hafen nach Panama das gottverlassene Punta Garras anlaufen wollen. Als wir jedoch auf der Höhe von Iquique waren, änderte er den Kurs, und zwei Stunden später lagen wir inmitten einer Flotte von Salpeterschiffen: mindestens achtzig Viermastschoner, Vollschiffe und amerikanische Schoner mit sogar sieben Masten! Nie hatte ich vermutet, daß der Salpeterhandel eine solche Menge von Fahrzeugen und ein solches bunt zusammengewürfeltes Gesindel von Matrosen benötigte.

      Boche Boche lachte über mein Erstaunen. Er wußte Bescheid. »Sieh’ mal, all diese Segler müssen zwecks Ersparnis um Kap Horn herum. Was das bedeutet, weißt du. Man rechnet bei den Reedereien mit einem Durchschnittsverlust von fünfundzwanzig Prozent. Deshalb findest du auch nie ein Salpeterschiff aus Eisen. Holz ist billiger, und ein eiserner Kahn entgeht den Kap Horn-Stürmen genau so wenig wie ein Holzkasten, wenn’s sein soll. Ich hatte selbst mal Heuer auf einem Fünfmastschoner genommen. Die Offiziere waren bis an die Zähne bewaffnet, und die farbige Besatzung zumeist betrunken. Nie wieder bekommt mich jemand an Bord eines dieser schwimmenden Zuchthäuser.«

      Wir hatten also mit unserer Nußschale zwischen diesen Segelriesen Anker geworfen. Es war blödsinnig heiß. Der Landwind führte aus dem Inneren Chiles wahre Höllenglut mit. Was wir hier sollten, wußten weder mein Kamerad noch ich. Wir hatten noch übergenug Proviant und Trinkwasser. Es fehlte uns an nichts. – Da rief mich, kaum daß das Hafenpolizeiboot uns wieder verlassen hatte, der Alte nach achtern.

      »Abelsen, du wirst meine Frau an Land begleiten. Sie hat verschiedenes einzukaufen.«

      Frau Helga Jörnsen hatte sich für den Besuch der Stadt auf ihre Art herausgeputzt und sich ausnahmsweise mal gewaschen. Unbegreiflich, daß Jörnsen sie sonst immer als Schmierlappen umherlaufen ließ.

      Sie glich jetzt einer Vogelscheuche, und der große braune Leberfleck, den sie links am Kinn hatte und der sich bis zur Nase hinaufzog, trat nun erst so recht deutlich hervor, ebenso die häßliche Nase mit den Pferdenüstern und die aufgeworfene Oberlippe, die die ungepflegten Zähne sehen ließ. Auch die Brille mit dem dick umwickelten Steg fehlte nicht. Frau Helga war abschreckend – auch mit dem schwarzen Strohhut mit grünen Seidenblumen und mit dem hellen Staubmantel.

      Als Boche Boche ihr ins Boot half – er sollte uns an Land rudern – konnte er sich eine spöttische Bemerkung doch nicht verkneifen. Das Weib schaute ihn nur wieder so merkwürdig an und schwieg. Ich wurde aus diesem Blick nicht recht klug, den ich nun ja schon verschiedentlich beobachtet hatte.

      Iquique hat ein paar ganz moderne Läden. Und – was kaufte die Alte nach langem Wählen und Feilschen? Sie schien mit einem Male eitel geworden zu sein: Einen weißen Damenstrohhut mit hellblauem Seidenband, eine hellblaue Seidenbluse und einen weißen Leinenrock, Unterwäsche, Schuhe, Seidenstrümpfe und einen … roten eleganten Sonnenschirm.

      Ich war nachher wie ein Packesel mit Kartons beladen, und noch mehr ärgerte ich mich darüber, daß die alte Vettel mich während der ganzen zwei Stunden auch nicht eines Wortes gewürdigt hatte.

      Wir kehrten an Bord zurück. Boche Boche grinste wie ein Satan und fragte scheinheilig: »Der feine Sonnenschirm ist wohl mein Geburtstagsgeschenk, Frau Helga … Ich danke dir schon im voraus … Den hab’ ich mir schon lange gewünscht.«

      Eine Stunde später war der Torstensen wieder auf hoher See und die Alte wieder in ihren dreckigen Hosen und der fettbesäten Jacke. Als ich Boche Boche die Neuanschaffungen aufzählte, wollte er sich vor Lachen ausschütten.

      Das war am Vormittag gewesen. Nachmittags vier Uhr begannen wir wieder wie stets mit dem Scheibenschießen, wofür Jörnsen sich lebhaft interessierte. Es schien ihm sehr angenehm zu sein, daß wir unsere Fertigkeit im Handhaben der Repetierbüchsen wesentlich gesteigert hatten.

      Boche Boche war heute in bissiger Ulkstimmung. Als er eine Stummelschwanzmöve, die über dem Kutter hinwegstrich, gefehlt hatte, rief er der im Niedergang der Kombüse stehenden Alten gereizt zu:

      »Scher’ dich hinunter, – Hexen bringen Unglück!«

      Das war seit langem mal wieder seinerseits eine Grobheit.

      Die Frau Käpten kam langsam vollends an Deck, nahm mir ohne weiteres die Büchse aus der Hand, legte auf einen ziemlich weit entfernten Albatros an und drückte ab. Der große Vogel fiel wie ein Stück Blei tot in die See.

      Boche Boche starrte die Alte verdutzt an. Und vom Steuer her schallte des Käptens vergnügtes Lachen herüber. Zum ersten Male hatte ich ihn lachen gehört. Seine Perle von Frau kletterte auf ihren ausgelatschten Leinenschuhen wortlos wieder in die Kombüse hinab. Boche Boche meinte nachher zu mir: »Du – die kann mehr wie wir!!!« – Sie war entschieden in seiner Achtung gestiegen.

      Abends nach der Mahlzeit hatte ich mich sofort niedergelegt, da ich von Mitternacht Wache hatte. Ich mochte kaum eine Stunde geschlafen haben, als mein Kamerad mich weckte. Die Karbidlampe beschien sein bleiches verzerrtes Gesicht … Und diese entstellten Züge machten mich sofort völlig munter.

      »Olaf,« flüsterte er heiser … »ich glaube, ich werde verrückt … Ich leide an Gehörtäuschungen … Oder … hörst auch du etwas Besonderes? Horche mal …«

      Ich horchte.

      Und hörte ganz leisen Gesang, dazu die weichen Klänge einer guten Gitarre als Begleitung …

      Boche Boche hatte sich keuchend auf den Bettrand gesetzt …

      »Hörst du was?«

      »Ja … Es ist das bekannte Lied aus dem Trompeter von Säckingen … und eine Gitarre.«

      Er stützte den Kopf in die Hände. Mit der Linken umspannte er die Stirn …

      »Mein Gott!!« stöhnte er …

      Ich rüttelte ihn. »Was hast du denn …?! Von Gehörtäuschungen ist doch keine Rede …! Es wird die Alte sein …«

      »Mein Gott!!« Er ließ die Hände sinken und stierte mich wild an. »Olaf … ich weiß nicht, was mir fehlt … Dies Geklimper regt mich auf … Ich fiebere …«

      Wahrhaftig – er zitterte …

      Da brachen Spiel und Gesang jäh ab …

      Boche Boche achtete nicht darauf. Er hatte meinen Arm umkrallt. »Olaf, es war soeben, als glitte in meinem Hirn blitzschnell ein Bild vorüber – irgendeine ferne Erinnerung, Olaf … Zu schnell … Ich konnte nichts erkennen. Nur der Eindruck ist geblieben, daß dieses … dieses Gitarrenspiel einst irgendwo für mich von … Bedeutung gewesen – ja, von Bedeutung, das ist das rechte Wort. Genau wie damals mit dem Hund, Olaf … Ich habe sicherlich mal einen Hund besessen, der mir lieb und wert war …«

      Er stöhnte wieder …

      »Mein Gott, was ist das doch für ein jämmerliches Dasein, – – jämmerlich! Immer wieder fühlen müssen, daß man eine Zeit durchlebt hat, in der man vielleicht glücklich und voll frohen Tatendranges war! Und diese Jahre sind tot in meinem Hirn – – tot – ausgelöscht!! Mein Gott, soll ich denn nie erfahren, wer ich … war, wer ich bin?!« – Wie ein Rasender schlug er sich mit der geballten Faust vor die Stirn … »Weg mit dem verfluchten Riegel von der Kammertür meines Einst – – weg damit! Ich will wissen, wer ich bin, ich will – ich will!«

      Er kreischte die letzten Worte heraus, daß es mich eiskalt überlief.

      Das


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