PANDORA (Shadow Warriors). Stephen England

PANDORA (Shadow Warriors) - Stephen England


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Moment lang blieb Thomas vor dem Fenster stehen und starrte stirnrunzelnd in die Wüste hinaus. Aserbaidschan. Ein Fehlschlag. Er hasste es, an ihr Versagen erinnert zu werden. An die Männer, die sie zurücklassen mussten. Die Männer, die er im Stich ließ. So etwas durfte er nie wieder zulassen.

      Er kehrte zu seiner Koje zurück, nahm das Scharfschützengewehr auf und wiegte es in seinen Armen. Es war eine sehr persönliche Art, auf diese Weise jemanden umzubringen. Wenn man durch das Zielfernrohr spähte, sah man in die Augen des Mannes, dessen Leben man auslöschen würde. War er der Erste, den es in einem bestimmten Gebiet traf, sah man ihn so, wie er eigentlich war – fröhlich, entschlossen, sein Tagwerk verrichtend.

      Traf es vor ihm jedoch bereits andere, konnte man die blanke, nackte Angst in seinen Augen sehen und sein aschfahles Gesicht, wenn er den Schuss des Gewehrs aus der Ferne hörte, der auf ihn zuraste.

      Als Todesbote.

      

       Flughafen Q-West, Nord-Irak, 23:57 Uhr Ortszeit

      »Erbitte Starterlaubnis. Flug Nummer Zwei-Sieben-Eins-Lima.«

      »Verstanden, Zwei-Sieben-Eins-Lima. Startfreigabe erteilt.« Nach einer kurzen Pause fügte der Tower noch hinzu: »Wir lassen das Licht für euch an.«

      »Danke, Motel Six«, bestätigte Tancretti sarkastisch und machte sich wieder an seine Arbeit. Immerhin hatte er einen Chopper zu fliegen.

      Das Einsatzteam saß hinter ihm, in der Reihenfolge, wie sie den Hubschrauber wieder verlassen würden. Text saß der Tür am nächsten und würde am Boden die Führung übernehmen. Rechts von ihm saß Hamid. Harry saß den beiden gegenüber, neben Davood. Ganz am Ende befand sich Thomas, der das Scharfschützengewehr über seiner Schulter trug. Er würde für die Rückendeckung zuständig sein. Jeder von ihnen trug Wüstentarnkleidung, ihre Gesichter waren sandig-braun bemalt.

      Nichts an ihrer Kleidung und ihren Waffen identifizierte sie als Amerikaner. Sie waren sauber, jegliche Verbindung zu ihnen konnte abgestritten werden.

      Harry spähte in die Dunkelheit hinaus, als der Chopper langsam vom Flughafen Q-West abhob, und spürte, wie Adrenalin seinen Körper flutete. Sie waren gestartet. Es ging los. Der Einsatz hatte begonnen, der Moment der Wahrheit, wie es ein Schriftsteller vielleicht ausgedrückt hätte.

      Er musterte seine Teammitglieder. Ihren Gesichtern ließ sich in der Dunkelheit nichts ablesen und die Tarnfarbe überdeckte selbst die Augen. Neben ihm rutschte Davood auf seinem Sitz herum.

      Seinem Dossier zufolge war er noch nie aktiv im Einsatz gewesen. Vielleicht erklärte das seine Nervosität.

      Vielleicht aber auch nicht.

      Was davon entsprach der Wahrheit? Ein anderer Autor hatte einmal den Satz geprägt, dass die Wahrheit stets das erste Opfer eines Krieges war. Und Harry tendierte zu der zweiten Möglichkeit. Aber es gab kein Zurück mehr. Sie waren bereits auf dem Weg …

      Fünfzehn Minuten später stieg eine C-130-Hercules-Transportmaschine über einem kleinen Militärflugplatz nördlich von Tel Aviv auf und steuerte gen Osten durch syrischen Luftraum und über den Norden des Irak hinweg, dabei jedoch tief genug, um den amerikanischen Radars zu entgehen. Ihr Ziel: der Iran.

      Kapitel 4

       24. September, das Basislager, Iran, 01:32 Uhr Ortszeit

      Major Farshid Hossein sah auf seine Uhr und schirmte das leuchtende Ziffernblatt mit seiner Hand ab. Es war soweit. Sie waren auf dem Weg zu ihnen – jetzt, zu einer Zeit, da der menschliche Körper an seinem müden Punkt war. Es würden Krieger der Nacht sein, die Elite-Kämpfer ihrer Nation, hoch qualifiziert und motiviert.

      Doch ihr Training würde ihnen nichts nützen. Sie würden tot sein, noch bevor sie den Boden berührten. Und sollte doch jemand von ihnen überleben, würden sich seine Männer um sie kümmern.

      Die kalte Nachtluft ließ ihn frösteln und er zog seine Uniformjacke fester um seinen Körper zusammen. Ringsum ragten die Berge bis ins Paradies hinauf auf. Einige der Wipfel waren bereits schneebedeckt. Und dahinter, im Nordosten, begannen die Ufer des Kaspischen Meeres.

      Die Schachtel Marlboros steckte sicher verstaut in seiner Hemdtasche. Zu gern hätte er sich eine davon angesteckt, wagte es jedoch nicht. Er wusste aus Erfahrung, wie weit man das Glimmen einer Zigarette sehen konnte und wie sehr es die Nachtsicht des Rauchers beeinträchtigen konnte. In den nächsten Stunden würde er all seine Fähigkeiten benötigen. Er kehrte zu der TOR-M1 zurück. Seine Kameraden zeichneten sich im fahlen Mondlicht der Septembernacht nur als Schemen ab.

      »Irgendetwas Neues?«, fragte er.

      »Nichts.« Der Techniker schüttelte den Kopf.

      Hossein klopfte dem Mann im Vorbeigehen auf die Schulter. »Halten Sie weiter Ausschau.«

      

       An Bord des Huey, Iran, 01:37 Uhr

      »Der Vogel gehört Ihnen, Jeff.«

      »Verstanden, Colonel. Ich übernehme.« Der Co-Pilot lächelte und übernahm das Steuerruder.

      Tancretti setzte das Nachtsichtgerät ab und rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. Wann immer er dieses benutzte, hatte er das Gefühl, durch zwei mit grüner Folie beklebte Klopapierrollen zu schauen. Die Tiefenwahrnehmung ging dabei vollständig verloren, was man bei der geringen Flughöhe des Huey nicht unterschätzen durfte. Ein falscher Ruck an den Kontrollen und sie könnten am Boden zerschellen. Und ja, er hatte sich für diesen Einsatz freiwillig gemeldet.

      »Wie weit noch bis zur Landezone?«, wollte eine Stimme hinter ihm wissen. Tancretti blickte auf. Der Anführer der CIA-Truppe – Henderson, Nichols, oder wie auch immer er heißen mochte, sah ihnen über die Schultern.

      »Vierzig Klicks«, antwortete Luke knapp. »Ihr Ziel liegt acht Klicks dahinter.«

      Der CIA-Mann nickte leicht. »Danke.«

      

       23. September, CIA-Hauptquartier, Langley, Virginia, 16:43 Uhr Ortszeit

      Bernard Kranemeyer sah gerade auf die Uhr, als ihn das schrille Surren des Telefons in seiner Hemdtasche aus seinen Gedanken riss. Das Einsatzteam sollte mittlerweile auf dem Weg sein. Die Mission hatte begonnen.

      »Kranemeyer hier.«

      »Direktor, hier spricht Daniel Lasker.« Der achtundzwanzigjährige Lasker war Leiter der taktischen Kommunikation bei der ClandOps. »Sir, wir bekommen hier unten in der Einsatzzentrale die ersten Echtzeit-Bilder der NRO rein.«

      Seine Angewohnheit, Kranemeyer unentwegt mit »Sir« anzureden, brachte diesen immer wieder auf die Palme. Der DCS, der stolz auf seine fünfjährige Karriere als Sergeant Major der Delta Force war, assoziierte die Anrede »Sir« immer mit der Offiziersklasse. Er hingegen musste für seinen Lebensunterhalt wirklich arbeiten, vielen Dank auch.

      »Wurde auch Zeit, dass Sorensen das hinbekam«, schnaubte er verächtlich. »Was ist zu sehen?«

      »Deswegen rufe ich Sie an, Sir. Wir haben ein Problem.«

      »Wieso?«, wollte Kranemeyer verwirrt wissen. »Was ist los?«

      »Die Iraner haben eine SA-15-Gauntlet im Lager aufgestellt«, antwortete Lasker. »Unser Team fliegt geradewegs in eine Falle. Ich brauche Ihre Erlaubnis, das Funkverbot zu brechen.«

      »Tun Sie das, ASAP«, lautete Kranemeyers knapper Befehl. »Ich komme runter.«

      »Verstanden, Sir.«

      

       24. September, an Bord des Huey, 01:45 Uhr Ortszeit

      »Dreißig Klicks«, meldete


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