Die Religionsstifter. Walter Vogel

Die Religionsstifter - Walter  Vogel


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von Moses Gesicht, sodass sich nicht nur das Volk, sondern auch seine engsten Vertrauten vor ihm fürchteten:

      Während Mose vom Berg herunterstieg, wusste er nicht, dass die Haut seines Gesichtes Licht ausstrahlte, weil er mit dem Herrn geredet hatte. Als Aaron und alle Israeliten Mose sahen, strahlte die Haut seines Gesichtes Licht aus, und sie fürchteten sich, in seine Nähe zu kommen. Erst als Mose sie rief, kamen Aaron und alle Sippenhäupter der Gemeinde zu ihm zurück und Mose redete mit ihnen.

      Ex 34,29–31

      Eine vermutliche Fehlübersetzung dieser Bibelstelle führte zu der bekanntesten Darstellung des Mose, nämlich zu der in der römischen Basilika San Pietro in Vincoli zu bewundernden Skulptur des gehörnten Mose von Michelangelo. Laut biblischem Bericht hatte Mose aber keine Hörner (hebr. „qaeraen“), sondern es war seine Haut, die leuchtend erstrahlte (hebr. „qāran“), als er vom Berg herunterkam. Es gibt allerdings auch Forscher, die diese Stelle für keine Fehlübersetzung halten: Ihrer Meinung nach verweist sie auf sehr alte Einflüsse kanaanäischer Gottheitsvorstellungen (gehörnte Gottheiten), die hier in einer sehr frühen Zeit auf Mose übertragen wurden, so dass dieser als gehörnter Heilsbringer vom Berg heruntersteigt.

      Insgesamt dauerte der Aufenthalt von Mose und den Israeliten am Gottesberg rund ein Jahr. Warum die Bibel hier so genaue Angaben macht, ist unklar:

      Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägypten – am heutigen Tag – kamen sie in der Wüste Sinai an.

      Ex 19,1

       Am zwanzigsten Tag des zweiten Monats im zweiten Jahr erhob sich die Wolke über der Wohnstätte der Bundesurkunde. Da brachen die Israeliten von der Wüste Sinai auf …

      Num 10,11 f.

      Nach dieser langen Unterbrechung führte Mose das Volk viele Jahre von Ort zu Ort. Eine lange Liste der Lagerstationen findet man in Num 33.

       Der Tod des Mose

      Laut biblischem Bericht starb Mose im Alter von 120 Jahren kurz vor dem Einzug in das verheißene Land. Geht man davon aus, dass die Landnahme für Mose wirklich ein erstrebenswertes Ziel war, stellt sich die Frage, warum Mose das Erreichen des Zieles nicht mehr erleben durfte. Im Buch Numeri wird eine Verfehlung angedeutet, die Mose zusammen mit seinem Bruder Aaron gegen Gott beging. Worin diese Verfehlung genau lag, bleibt unerwähnt.

      Steig auf das Abarimgebirge dort und sieh dir das Land an, das ich den Israeliten gegeben habe. Wenn du es gesehen hast, wirst du mit deinen Vorfahren vereint werden wie dein Bruder Aaron; denn ihr habt euch in der Wüste Zin meinem Befehl widersetzt, als die Gemeinde aufbegehrte und ihr vor ihren Augen hättet bezeugen sollen, dass ich der Heilige bin.

      Num 27,12–14

      Mehr ist über den Grund des Dahinscheidens Mose aus der Bibel nicht zu erfahren. Aber nicht nur Mose und Aaron durften das gelobte Land nicht betreten. Etwas später im selben Buch wird wiederholt vom Zorn Gottes gegen das Volk der Israeliten berichtet:

      Auf keinen Fall werden die, die aus Ägypten heraufgekommen sind, die Männer von zwanzig Jahren und darüber, das Land zu sehen bekommen, das ich Abraham, Isaak und Jakob mit einem Eid zugesichert habe; denn sie haben nicht treu zu mir gehalten. Nur der Kenasiter Kaleb, der Sohn Jefunnes, und Josua, der Sohn Nuns, waren ausgenommen, denn sie hielten treu zum Herrn.

      Num 32,11 f.

      Einzig Josua und Kaleb konnten das gelobte Land betreten. Mose wird in dieser Passage jedoch nicht erwähnt.

      Im Gegensatz zu vielen biblischen und außerbiblischen Gestalten sind von Mose keine letzten Worte überliefert. Im Buch Deuteronomium findet man einen langen und hymnischen Segen des Mose, der Bericht von seinem Tod ist aber eher schlicht:

      Mose stieg aus den Steppen von Moab hinauf auf den Nebo, den Gipfel des Pisga gegenüber Jericho, und der Herr zeigte ihm das ganze Land. Er zeigte ihm Gilead bis nach Dan hin, ganz Naftali, das Gebiet von Efraim und Manasse, ganz Juda bis zum Mittelmeer, den Negeb und die Jordangegend, den Talgraben von Jericho, der Palmenstadt, bis Zoar. Der Herr sagte zu ihm: Das ist das Land, das ich Abraham, Isaak und Jakob versprochen habe mit dem Schwur: Deinen Nachkommen werde ich es geben. Ich habe es dich mit deinen Augen schauen lassen. Hinüberziehen wirst du nicht. Danach starb Mose, der Knecht des Herrn, dort in Moab, wie es der Herr bestimmt hatte. Man begrub ihn im Tal, in Moab, gegenüber Bet-Pegor. Bis heute kennt niemand sein Grab. Mose war hundertzwanzig Jahre alt, als er starb. Sein Auge war noch nicht getrübt, seine Frische war noch nicht geschwunden. Die Israeliten beweinten Mose dreißig Tage lang in den Steppen von Moab. Danach war die Zeit des Weinens und der Klage um Mose beendet. Josua, der Sohn Nuns, war vom Geist der Weisheit erfüllt, denn Mose hatte ihm die Hände aufgelegt. Die Israeliten hörten auf ihn und taten, was der Herr dem Mose aufgetragen hatte.

      Dtn 34,1–9

      Auf dem Berg Nebo, der im heutigen Jordanien liegt, wird der Sterbeort Moses verehrt. Die Tatsache, dass es ungewiss ist, wo er begraben wurde, spricht für die These, Mose sei wirklich „unterwegs“ gestorben und die Landnahme wäre nicht sein Ziel gewesen. Wäre das Volk schon sesshaft gewesen, hätte man ihm sicher ein Grab errichtet, welches zur Pilgerstätte für die nachfolgenden Generationen geworden wäre. So begrub man ihn aber vermutlich außerhalb des gelobten Landes und den nachfolgenden Generationen war dadurch der Ort seiner Beisetzung nicht mehr bekannt.

      Josua wurde Moses Nachfolger und ihm war es laut biblischem Befund vergönnt, das Volk nach Kanaan zu führen. Josua, der in der Bibel erstmals im Buch Exodus (17,9) erwähnt wird, spielt im Pentateuch nur eine untergeordnete Rolle. Er war laut den Berichten ein treuer Wegbegleiter von Mose und wurde von ihm selbst als der neue Führer des Volkes eingesetzt:

      Mose rief Josua herbei und sagte vor den Augen ganz Israels zu ihm: Empfange Macht und Stärke: Du sollst mit diesem Volk in das Land hineinziehen, von dem du weißt: Der Herr hat ihren Vätern geschworen, es ihnen zu geben. Du sollst es an sie als Erbbesitz verteilen.

      Dtn 31,7

      Damit gehört Mose zu den wenigen Religionsstiftern, die einen Nachfolger für die Zeit nach ihrem Tod bestimmt haben. Der Bericht des Pentateuchs endet mit einer Laudatio auf Mose, auf sein Leben und auf sein besonderes Wirken. Nur selten findet man in der Bibel ähnliche lobende Worte über einen Menschen. Der hohe Stellenwert, der Mose heute von den Juden wie auch von den Christen und Muslimen entgegengebracht wird, lässt sich nicht zuletzt aus diesen Worten erahnen:

      Niemals wieder ist in Israel ein Prophet wie Mose aufgetreten. Ihn hat der Herr Auge in Auge berufen. Keiner ist ihm vergleichbar, wegen all der Zeichen und Wunder, die er in Ägypten im Auftrag des Herrn am Pharao, an seinem ganzen Hof und an seinem ganzen Land getan hat, wegen all der Beweise seiner starken Hand und wegen all der Furcht erregenden und großen Taten, die Mose vor den Augen von ganz Israel vollbracht hat.

      Dtn 34,10–12

       Die Lehre des Mose

      Im Pentateuch sind nach jüdischer Zählung 613 Ge- und Verbote aufgelistet, die auf Mose zurückgehen sollen bzw. die Mose laut Überlieferung von Gott empfangen und den Israeliten verkündet haben soll. Die bekannteste Gebotsliste sind die sowohl im Buch Exodus (Kapitel 20) als auch im Buch Deuteronomium (Kapitel 5) überlieferten sogenannten zehn Worte, die auch Dekalog bzw. umgangssprachlich zehn Gebote genannt werden. Diese zehn Worte haben eine Doppelbedeutung: Sie bezeichnen sowohl Vorschriften als auch mögliche Zukunftsaussichten, denn im „du sollst“ bzw. im „du sollst nicht“ ist in der hebräischen Sprache immer auch die Perspektive des „du wirst“ bzw. des „du wirst nicht“ enthalten. Die von JHWH gegebenen und von Mose dem Volk verkündeten Gebote stellen also keinen reinen Imperativkatalog dar. Vielmehr beginnt die Aufzählung mit der Erinnerung an die Heilstat Gottes, der das Volk aus der Sklaverei führte. Wer an diesen Gott glaubt, wird nicht töten, braucht, weil es eine gerechte


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