Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри


Скачать книгу
wieder eine kalte, finstere Einsamkeit werden, in die wir jetzt kommen.«

      »Oh, was soll ich tun, Rose, wie soll ich...«

      »Beugen sollst du dich, Harro, du mußt. Ich wollte ja noch weiter mit dir davon rasen, aber der Tyrann tut es nicht mehr. Und er hat ja die Macht, die hat er auch von Gott. Und dann mußt du dich doch beugen. Das Rad geht über dich hinweg. Das hält deine wilde Kraft nicht auf, dein Jammer und deine Leidenschaft nicht. Und wenn du doch mußt – sie haben dich doch nicht belogen, die Herren, ich habe es ihnen verboten, dich zu belügen – Wenn du dich beugen mußt, warum nicht jetzt, nicht gleich: ›Dein Wille geschehe!‹ – Jetzt bin ich noch bei dir, helfe dir, neige mich mit dir. Aber ich kann dir keine wilden Wege mehr versprechen. Damit ist es am Ende. Du mußt dich in Gottes Hände ausliefern.«

      Seine gefalteten Hände verkrampften sich, er legte seinen Kopf auf ihre Bettkante... »Ich kann nicht, kann nicht, das ist über meine Kraft,« stöhnte er. »Das kann kein Mensch und kein Gott von mir verlangen. Ich werde es tragen, ich quäle dich nicht wieder, ich werde geduldig sein, ich verspreche es dir – ganz sanft und geduldig.«

      »Als ob du es könntest, Harro, aus eigener Kraft, sanft und geduldig sein. Das hast du doch bisher auch versucht, du mein alter liebster Harro, du hast mich doch nicht peinigen wollen. Du hast es aber doch getan und weißt, daß du es getan hast, und wirst es wieder tun. Und so werde ich eben weiter gerissen mit dir. Jetzt wehre ich mich noch, jammere, flehe, dann werde ich verstummen. Und es müßte nicht so sein. Ein solches Gebet, wie käme es unerhört zurück! So hat Jesus gebetet in Gethsemane. Was ist dein Leiden gegen seines! Du öffnest den Himmel, Harro, daß die goldenen Ströme herabrauschen können auf dein armes Herz, ach, wie selig werde ich sein! Wie werde ich sanft ruhen in deinem lieben Arm. Wie wirst du mich trösten, wenn doch vielleicht die große Angst über mich kommt.

      Jetzt kann ich dir noch von meiner Kraft geben, Harro, aber dann bist du ja so viel mehr als ich, wie deine Flamme größer ist als mein Licht. Harro, die Stunde kommt vielleicht nicht so wieder. – Sieh dort den Bergfried mit seinem Knauf oben. Er hebt sich schon vom Himmel ab. Wann ihn die Sonne trifft und er golden wird, so ist die Stunde vorüber. Bis dahin hast du Zeit, nicht länger. Willst du bei mir bleiben oder willst du hinübergehen... Sieh dir die Wahl an, die du hast. Die Wahl und du hast sie doch nicht...«

      »Laß mich bei dir bleiben.«

      Er drückte sein Gesicht in seine Hände und lag da auf ihrer Bettkante, wie hingeschmettert, und zuweilen flog ein Schauer über seinen Körper, daß das Bett erzitterte. Sie hatte ihre Augen geschlossen und ihr Antlitz wurde unter seinem blauen Sternenkranze blasser und blasser.

      Immer deutlicher hob sich die Gestalt des Bergfrieds von dem graudunkeln Himmel ab, die zwei Sterne daneben verblichen, das kühle, scharfe Wehen des Morgens hauchte herein, sie faßte ihren goldenen Königsmantel auf der Brust zusammen.

      Da erhob er sich. Sie sprachen kein Wort, nur ihre Augen suchten sich. Da stieß sie einen tiefen Seufzer aus, und ihre Glieder lösten sich. Sie neigte ihren Kopf auf die Seite und schien einzuschlafen. Harro klopfte an die Türe. Die alte Dame kam sofort heraus, als habe sie die ganze Zeit dahinter gestanden. Als sie an das Bett herantrat, stockte ihr Fuß.

      Die fremdartige Schönheit dieses Anblicks, die sanft hingestreckte Gestalt mit dem Königsmantel um die Schultern, dem Sternenkranz in der Beleuchtung aus Licht und grauem Morgenschein gemischt, dies wie aus zartestem Marmor oder Wachs gebildete Antlitz mit den halb geschlossenen Augen, unter denen noch ein wenig die Pupille hervorsah – sie erschrak. –

      Sie wandte sich zu ihm, stockend, atemlos: »Harro!«

      »Nein, sie schläft. Bleibe bei ihr.«

      Er ging hinaus. Als er über den Hof schritt, erglänzte der Bergfried im Morgengold. Die weißen Taubenschwärme umkreisten ihn. Er beugte sich über den Brunnen und ließ den Strahl über seine Hände fallen und badete sein Gesicht in der kühlen Flut.

      Dann ging er in seine Zelle und legte sich zu Bett. Kühl und morgenfrisch war's, und keine Schatten geisteten mehr an den Wänden. Er verschränkte seine Arme in dem weißen Nachtkleide unter dem Kopfe und starrte nach der Decke. Dort schwebte langsam mit schwerem Flug ein Nachtfalter und suchte ein Versteck vor dem kommenden Tage.

      Nun war es geschehen, er hatte seinen Willen hingegeben an einen andern. Er hatte das ungeheure Opfer gebracht. Ihm war's, als habe er selbst seine weiße Rose von seinem Herzen genommen und sie hingetragen vor die Tore der seligen Gärten.

      Und sie hatte ihm goldene Ströme von oben dafür versprochen. Wo waren die? Vielleicht waren seine Augen so wenig für sie eingerichtet, wie die des Nachtfalters an der Decke, der sich auch bergen muß vor dem goldenen Licht.

      Immer langsamer kreiste das Flügelpaar an der Decke. Immer schwerer und schwerer senkte sich eine sanfte Mattigkeit auf ihn und er ruhte gut. So sanft, so unsäglich sanft. Und das ferne Rauschen und Brausen... War das nicht Musik? Mußte er sie nicht kennen... Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen... Sehet, wen? ... den Bräutigam... Tiefer und tiefer sank der Schleier. Er schlief den tiefsten Schlaf seines Lebens, denn er erwachte erst, als die Abendsonne den Turmknauf vergoldete.

      Achtundvierzigstes Kapitel.

       Nach Brauneck

       Inhaltsverzeichnis

      Als er sich langsam erhob und der gestrige Tag vor seiner Seele vorüberzog, da hätte er hinter sich greifen mögen. Ob nicht noch ein Zipfel des heiligen Schleiers hängen geblieben sei, daß er sich wieder darunter verbergen könnte. Er saß noch da, als seine Tante mit einem kleinen Tablett in der Hand hereinkam und es neben ihn hinstellte.

      »Aber Tante Ulrike!« Er errötete fast. Er war so wenig Pflege gewöhnt, hatte sie ja auch nie nötig gehabt. »Du bemühst dich.«

      »Da trink,« befahl die Gräfin, und nun klopfte es artig an der Türe.

      Der kleine Heinz war draußen, und das war sein neuestes Kunststück. Es wurde zwar noch mit der ganzen Faust ausgeführt, aber war doch sonst recht manierlich.

      »Darf er herein, Harro?«

      »O bitte, laß ihn.«

      Heinz marschierte herein mit seinem kurzen, schon stark mitgenommenen grauleinenen Röckchen, den kurzen Strümpfen an seinen strammen sonnenbraunen Beinchen, mit Sandalen von Herrn Wurmhaber an den Füßen: eine winzige Auflage Harros. Seine blauen Augen, er hatte die blauesten der Familie, öffneten sich weit über dem merkwürdigen, unerhörten Anblick, seinen Alo im Bett und von der Tante gefüttert zu finden. Das macht man bei Mama so, aber doch nicht bei Alo.

      »Alo, arme Alo ...« fragt er zärtlich, mitleidig, »hat weh! Arme Alo...«

      In Harros Hand klirrte die Tasse. Die alte Dame mußte sie ihm abnehmen, und nun sah Heinz etwas weiteres Unfaßliches, Schreckliches, Herzbedrängendes: sein Alo weinte... große Tränen liefen über sein geliebtes Gesicht, und nun schluchzte und weinte er und warf sich in die Kissen. Heinz kroch auf das Bett, es war nicht hoch, und er brachte sich mit großer Schnelligkeit bäuchlings hinauf und umarmte seinen Vater und rief kläglich:

      »Arme Alo, tut Alo weh, tut Alo weh.«

      Die alte Dame setzte sich auf das harte Lager neben die beiden und sagte:

      »So, Heinz, tröste den Vater...«

      »Arme Alo. Du Igel holen...« er nannte sich selbst »Du« und hatte nach dem allerwirksamsten Trost gesucht. Und Alo hob wirklich den Kopf und sagte, während ihm die Tränen immer noch in den Bart rollten: »Bleib bei mir, Heinz. Nein, ich brauch den Igel nicht, ich will den Heinz, den lieben Heinz. Komm, tröste mich.«

      Und Heinz trocknete ihm mit seinem tagemüden Leinenröckchen, auf dem allerhand Spuren seiner heutigen Abenteuer waren, die Wangen und streichelte ihn zärtlich und rief ihm von Zeit zu Zeit das Kose- und Trostwort »Igel« zu und entdeckte dann etwas noch viel Besseres. Ein Stück Zucker auf dem Tablett, das


Скачать книгу