Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
Herr Stiftsprediger lächelte. »Sie erwarten nicht sehr viel von mir, Herr Graf, und ich weiß auch, daß ich etwas sehr Schwieriges zu entscheiden habe. Ich meine, Herr Graf, einen Versuch sollte man machen. Die Frau Gräfin will etwas so unsäglich Schönes, so großartig Gütiges tun, und sie wird es so einfach tun, als wäre gar nichts dabei... ich meine, warum sollte man es nicht wagen!«
»Nun, Herr Stiftsprediger, Sie gebrauchen sehr große Worte. Ich kann es gar nicht so außerordentlich finden, wenn meine Frau eine kleine Spanne Zeit opfert und schlechte Laune über sich ergehen läßt.«
»Sehr schlechte Laune, Herr Graf.«
»Gewiß, ja, Liebenswürdigkeit in diesem Fall ist zu viel verlangt, wir wären es auch nicht.«
Der Herr Stiftsprediger verneigte sich mit ruhiger Würde und ging, ohne ein Wort zu sagen, hinaus. Harro sah ihm ärgerlich nach... und brummte: »Ich weiß selbst, wie schön sie ist und brauche es mir nicht kirchlich approbieren zu lassen,« und ging mit langen Schritten.
»Nun, Rose, wieder einmal gesiegt!« –
Sie streckte ihm die Arme entgegen, sie drückte seine Hand an ihre Brust: »Fühl, wie es ruhig geworden ist.«
Er sah in ihre Augen und seine Stirne wurde kraus. »Was hast du geredet, warum kann der fremde Mann dich trösten und ich kann es nicht? Was hast du gesprochen?«
»Ich sprach von Mama, er gab mir die allerbesten Ratschläge, wie ich es machen sollte.« Sie wiederholte ihm jedes Wort.
»Das ist vernünftig,« mußte er zugeben. Dann bekannte er: »Ich habe mich übrigens rüpelhaft gegen deinen Heiligen benommen, es drückt mich doch. Aber es reizt mich jeder, der etwas von dir weiß oder zu wissen vorgibt, wobei ich mich vor der Tür befinde. Rose, ist es schön von dir, daß du deinen Mann antichambrieren läßt, wenn du geistlich behandelt wirst?«
»Lieber Harro, hast du wirklich Grund, daß du eifersüchtig bist? Gebe ich dir zu wenig? Lasse ich dich vor Türen stehen, wann es um meine und nicht um anderer Menschen Sachen geht?«
»Rose, du hast mich diesmal besiegt. Aber siehst du, fürs Antichambrieren bin ich nicht geboren und lerne es nie. Ich tue es stets nur als gereizter Tiger. Willst du dich wieder mit Stiftspredigern einschließen?«
»Nein, Harro, nie wieder.«
Am Nachmittag, nachdem ihr Besuch zuvor angemeldet war, trug Harro seine Rose auf der neuen schönen Tragbahre hinauf. Nur mit Märt. »Ein Lakai kommt nicht an dich, Rose,« versicherte er. Die kurze Strecke von der Treppe bis zu dem bequemen Stuhl, der für sie in der Fürstin Zimmer gerichtet war, konnte sie ja gut gehen.
So betraten die beiden hohen Gestalten miteinander das Zimmer. Harro ging wie immer hinter ihr, und sie stützt ihren Arm auf den seinigen wie auf eine Sessellehne. Es sah sehr liebevoll und fast zärtlich aus, obgleich ihre Haltung ganz korrekt war. Die Fürstin erhob sich nicht von ihrem Stuhl. Sie deutete nur auf den Sessel. Rose zuckte bei ihrem Anblick zusammen, auch Harro war so ergriffen, daß er sich über ihre abgezehrte Hand beugte und sie küßte. Dann versorgte er seine Frau in dem Stuhl und stellte sich dahinter auf. Seine Augen blieben immer wieder an der Fürstin haften, dem schmal und scharf, aber nicht unschöner gewordenen Gesicht, den großen brennenden braunen Augen. Sie sah viel vornehmer als früher aus in ihrem einfachen schwarzseidenen Kleide, das immer noch einiges Raffinement verriet.
Rosmaries Blick hatte sie vermieden. Nun sahen sich die Frauen einen Augenblick an, und wieder hatte Harro das Gefühl von einem heimlichen Duell. Nur daß diesmal die Waffen ungleich schienen. Rosmarie senkte ihr schönes Haupt und der Fürstin Augen flackerten über sie hinweg. Die Rose ist irgendwie im Nachteil, denkt er.
Ihre Unterhaltung bewegte sich ganz in konventionellen Bahnen, die Fürstin erzählte von ihren Nerven und den erfolglosen Kuren, die sie schon durchgemacht hatte. Rosmaries Krankheit erwähnte sie nicht. Dann berührte er Rosmaries Schulter, und sie sagte: »Mama, wenn du erlaubst, komme ich morgen wieder.«
»Sehr gütig von dir, Rosmarie; wenn ich dich nicht brauchen kann, werde ich mir eben erlauben, dich nicht zu empfangen.«
»Vielleicht findet sich doch eine Zeit, wo es dir paßt, Mama.«
Harro will etwas sagen, verschluckt es aber gerade noch. Rosmarie erhebt sich mit seiner Hilfe und streckt eine sehr weiße bebende Hand nach ihrer Mutter aus, aber die nimmt sie nicht und sagt mit eisiger Schärfe: »Für Heuchelei ist es zu spät am Tage, Rosmarie!«
Harro fühlt, wie Rosmarie zusammenzuckt, als ob sie die Peitsche bekommen hätte, und er führt sie schnell hinaus. Er bringt sie in den Ehrensaal und legt sie dort sanft nieder. »Nun, Rose, wie ist die Christenpflicht bekommen?«
»Schlecht, lieber Harro,« sagt sie aufrichtig. »Ich muß mich ein wenig erholen.«
»Und mein Lohn? Ich sollte doch belohnt werden für das Danebenstehen, wenn nach meiner Frau gezischt und gestochen wird, gerade da hinein, wo ihr Herz am weichsten und am leichtesten zu verwunden ist. Die Sache entbehrt überdies nicht eines gewissen grausigen Humors. Die Rose als Sünderin und Frau Mama als verfolgter Unschuldsengel. Und die Rose fällt mit einer solchen unfehlbaren Sicherheit darauf herein.«
»Lieber Harro, du bekommst deinen Lohn, wenn ich mich ein ganz klein wenig erholt habe.«
Aber seinen Lohn bekommt der Thorsteiner an diesem Tage nicht. Doch am nächsten, wo die Rose sehr geheimnisvoll ist. Nun liegt sie im Saal in einem weißen weiten Morgenrock und sagt: »Harro, ich wollte dir dienen, aber Lieber, ich weiß wirklich nicht, ob du mich noch brauchen kannst!«
Er schlägt den Morgenrock auseinander, sie trägt ein grünes, halb durchsichtiges Gewand mit schmalen Goldborten am Halse und den weiten, losen, hängenden Ärmeln. Der Stoff ist so weich wie eine Wolke und hängt um ihre schwanke zarte Gestalt in ganz einfachen Linien. Ihre rührenden leuchtend weißen Arme, die ihre runde Fülle verloren haben und nur noch die schönen Linien zeigen, hängen herunter, und jede Ader zeichnet sich auf ihnen in bläulichem Tone ab... Der Saal ist geheizt, obgleich es draußen nicht kalt ist.
Sie sieht ihn ängstlich an. Sie hätte ihm so gerne noch eine Liebe getan, und nun betrübt sie ihn vielleicht nur. Er sagt: »Ich kann es nur annehmen, wenn ich ganz sicher weiß, daß du nur so daliegst, wie es dir am allerbequemsten ist. Aber ich fürchte, wir werden es mit Kissen nicht gut genug machen können. Sie geben immer wieder nach. Ich will Ulrike rufen. Sie kann hinter dir ein Stühlchen bekommen, und sie hält dich.«
»Halt, Harro,« rief sie, »ich bitte dich! Sie wird sagen, es sei heidnisch... sie kann es nicht leiden...«
»Wo fängt das Heidentum bei dir an, Rose? Geht's von deinen feinen, zarten Knien aus? Deine Schultern würdest du sehr weit hinunter bei jedem Hofball zeigen, sie sind ja übrigens bedeckt. Oder find's die allerschönsten nackten Füße, die so unglaublich beseelt aussehen, gerade so wie du sie hängen läßt? Wie deine Hände sind sie! Man sieht ihnen schon an, daß sie eigentlich nur noch auf weißen Rosenblättern über grünem, weichem Moospolster gehen können. Ulrike sieht dich jeden Tag in deinem Bad. Was für einen Spruch spricht sie da über dich, wenn sie das Wasser über die Brust gehen läßt, die das bittere Leidenszeichen trägt, und über den Leib, der mein Kind getragen hat? Um das Heidentum auszutreiben, meine ich.«
»Harro, du bist wunderlich, du deklamierst ja.«
»Tue ich das? Ich bin auch in meinen tiefsten Gefühlen gekränkt. Heidnisch, soll das schamlos heißen?«
»Du bist mein alter Feuerbrand; ich fürchte, es wird sie verletzen, daß du dabei bist, Harro. Wenn sie allein mit mir ist, findet sie auch nichts Heidnisches an mir.«
»Ich habe ein Recht an dich,« und er stürmte hinaus.
Die Rose sah ihm bedenklich nach, rührte sich aber nicht. Die alte Dame kam hinter ihrem Neffen geschritten, offenbar ganz ahnungslos, denn als sie die Rose erblickte, blieb sie wie versteinert stehen.
»Was soll das heißen, Harro! Das Kind! Wie es daliegt!«
»Sehr