Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри


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Neues?«

      »Lord Fauntleroy und seine Mutter sind in Court Lodge angelangt. Beiden ist die Reise gut bekommen und ihr Befinden ist vortrefflich.«

      »Freut mich, zu hören,« sagte der Graf mit einer etwas ungeduldigen Handbewegung. »Machen Sie sich's bequem und nehmen Sie ein Glas Wein. Was sonst?«

      »Der junge Lord bleibt heute nacht bei seiner Mutter. Morgen werde ich ihn ins Schloß bringen.«

      Der Arm des Grafen hatte auf der Stuhllehne geruht, nun hielt er sich plötzlich die Hand vor die Augen.

      »Nun so reden Sie doch weiter. Briefliche Mitteilungen hatte ich mir ja verbeten, und so weiß ich noch von gar nichts. Was für eine Sorte ist der Bursche? Von der Mutter will ich nichts hören, nur von dem Jungen.«

      Mr. Havisham kostete den alten Portwein, den er sich eingegossen hatte, und hielt das Glas in der Hand.

      »Es ist schwierig, über den Charakter eines Kindes von sieben Jahren ein Urteil abzugeben,« begann er vorsichtig.

      »Er ist also ein Schafskopf?« rief der alte Herr rasch aufblickend. »Oder ein schwerfälliger Tölpel? Das amerikanische Blut schlägt vor, hm?«

      »Ich glaube kaum, daß ihm dasselbe zum Nachteil gereichte, Mylord,« erwiderte der Advokat in seiner trockenen, kühlen Weise. »Ich verstehe mich nicht besonders auf Kinder, aber ich halte ihn für einen hübschen Jungen.«

      Vorsichtig und zurückhaltend in seinen Aeußerungen zu sein, war Havishams Art, und er kehrte sie heute mehr als je hervor, denn er wollte, daß der Graf selbst urteilen und seinen Enkel kennen lernen sollte, ohne irgendwie beeinflußt zu sein.

      »Gesund? Gut gewachsen?«

      »Offenbar ganz gesund und gut gewachsen.«

      »Gerade Glieder – menschliche Physiognomie?«

      Ein leises Lächeln flog um Mr. Havishams dünne Lippen, als er an den rosigen Blondkopf dachte, wie er ihn zuletzt auf dem Tigerfell hatte liegen sehen.

      »Ein ziemlich hübsches Kind, soweit man das von einem Jungen sagen kann, und soweit ich mich drauf verstehe. Aber Sie werden ihn einigermaßen verschieden von den englischen Kindern finden.«

      »Zweifle nicht daran,« brummte der Graf mit einem Zucken in dem kranken Beine. »Freches, vorlautes Volk, diese amerikanischen Kinder! Habe oft genug davon gehört.«

      Mr. Havisham trank seinen Portwein und eine kleine Pause folgte.

      »Ich habe einen Auftrag von Mrs. Errol zu bestellen,« bemerkte er ruhig.

      »Verschonen Sie mich damit! Je weniger ich von der Person höre, desto besser!«

      »Die Sache muß doch erörtert werden. Sie zieht es vor, die ihr von Ihnen ausgesetzte Jahresrente nicht anzunehmen.«

      »Was soll das heißen?« rief der Graf auffahrend. »Was soll das heißen?«

      Mr. Havisham wiederholte seine Mitteilung und setzte hinzu: »Sie sagt, sie bedürfe der Summe nicht, und da die Beziehungen zwischen ihr und Ihnen nicht freundlicher Art seien –«

      »Nicht freundlicher Art! Das will ich meinen! Der bloße Gedanke an sie ist mir zuwider. Eine geldgierige Amerikanerin mit schriller Stimme! Ich will sie nicht sehen!«

      »Mylord, geldgierig können Sie die Dame doch kaum nennen. Sie hat nicht nur nichts verlangt, sondern das ihr Angebotene abgelehnt.«

      »Bloßer Kunstgriff,« grollte der edle Lord. »Damit will sie mich dran kriegen, daß ich sie sehen soll und womöglich ihren Geist bewundern, wovor ich mich wohl hüten werde. Amerikanischer Trotz! Ich will nicht, daß sie als Bettlerin vor meinem Thore wohnt. Sie ist die Mutter des Jungen und hat als solche eine Stellung zu wahren und soll sie wahren. Sie wird das Geld bekommen, ob sie will oder nicht! Damit will sie nur ihrem Jungen eine schlechte Meinung von mir beibringen! Wird ihn ohnehin schon genügend gegen mich eingenommen haben.«

      »Nein,« sagte Mr. Havisham. »Ich habe Ihnen in dieser Hinsicht noch etwas von Mrs. Errol zu bestellen.«

      »Was ich nicht hören will!« stieß Seine Herrlichkeit, keuchend vor Aerger und Gichtschmerzen, hervor.

      Mr. Havisham aber fuhr ungerührt fort: »Sie läßt Sie bitten, in Lord Fauntleroys Gegenwart nichts zu äußern, was ihm klar machen könnte, daß Sie ihr nicht wohlwollen. Der Knabe hängt sehr an ihr, und sie ist überzeugt, daß ihn dies Ihnen entfremden würde. Sie hat ihm einfach gesagt, daß er noch zu jung sei, um die Gründe der Trennung von ihr zu verstehen, und zwar, weil sie wünscht, daß auch kein Hauch des Mißtrauens gegen Sie in des Knaben Herz aufkomme.«

      Der Graf war in seinen Stuhl zurückgesunken; seine tiefliegenden, feurigen Augen funkelten hinter den starken Augenbrauen.

      »Seien Sie vernünftig, Havisham,« sprach er mühsam, »Sie werden mir nicht weismachen wollen, daß die Mutter ihm nichts gesagt hat.«

      »Nicht eine Silbe, Mylord,« versetzte der Advokat ruhig. »Der Knabe sieht in Ihnen nichts als den zärtlichen Großpapa. Nichts – absolut nichts ist je geäußert worden, was ihm auch nur den leisesten Zweifel an Ihrer Vollkommenheit erwecken könnte, und da ich Ihre Befehle in Bezug auf seine etwaigen Wünsche genau ausgeführt habe, sieht er in Ihnen den Inbegriff aller Großmut und Güte.«

      »Wahrhaftig? Allen Ernstes?«

      »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß es einzig in Ihrer Hand liegt, wie Sie das Verhältnis zu Lord Fauntleroy gestalten wollen, und wenn ich mich unterfangen dürfte, Eurer Herrlichkeit einen Rat zu geben, so wäre es der, nie verletzend von seiner Mutter zu sprechen.«

      »Pah, pah! Ein Junge von sieben Jahren!«

      »Der diese sieben Jahre an der Seite einer Mutter verlebt hat, der sein ganzes Herz gehört.«

      Fünftes Kapitel.

       Im Schlosse

       Inhaltsverzeichnis

      Es war spät am Nachmittag, als der Wagen, der den kleinen Lord Fauntleroy und Mr. Havisham zum Schlosse brachte, die lange Avenue daherrollte. Der Graf hatte angeordnet, daß sein Enkel kurz vor Tische im Schlosse eintreffen und ferner, daß er, aus nur ihm bekannten Gründen, allein in das Zimmer geführt werden sollte, wo er ihn zu empfangen gedachte. Cedrik lehnte sich behaglich in die Wagenkissen zurück und beobachtete alles mit großem Interesse. Der Wagen selbst, die großen stattlichen Pferde mit ihrem blitzblanken Geschirre, der würdevolle Kutscher und der stattliche Diener in ihren eleganten Livreen, alles fesselte seine Aufmerksamkeit.

      Als der Wagen vor dem Parkthore hielt, beugte er sich aus dem Fenster, um die riesigen steinernen Löwen zu studieren, die den Eingang schmückten. Aus der hübschen epheuumrankten Portierswohnung trat eine rundliche, freundliche Frau, um das Thor zu öffnen. Zwei Kinder folgten ihr auf dem Fuße und starrten mit weit aufgerissenen, verwunderten Augen auf den kleinen Jungen im Wagen, indes die Mutter lächelnd knickste.

      »Kennt sie mich denn?« fragte Lord Fauntleroy seinen Begleiter. »Ich glaube, sie weiß, wer ich bin,« und dabei nahm er seine schwarze Samtmütze ab und grüßte freundlich.

      »Guten Tag!« sagte er mit heller Stimme. »Wie geht's Ihnen?«

      Die Frau war sichtlich erfreut, sie lachte übers ganze Gesicht, und ihre blauen Augen blickten ihn warm und herzlich an.

      »Gott segne Eure Herrlichkeit!« sagte sie. »Gott segne Ihr freundliches Gesicht! Glück und Frohsinn Euer Herrlichkeit! Willkommen in Dorincourt!«

      Lord Fauntleroy schwenkte seine Mütze und nickte ihr mehrmals zu, indes der Wagen weiter fuhr.

      »Die Frau gefällt mir,« sagte er. »Sie sieht aus, als ob sie Freude an Jungens hätte. Ich werde sie besuchen und mit den Kindern spielen – ob sie wohl so viele hat, daß man eine ordentliche Compagnie zusammenbringen könnte?«

      Mr.


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