Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри


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einer von uns beiden antworten konnte, stand Frau Wagner von ihrem Stuhle auf und sagte, indem sie sich mit der Hand über das schmerzlich verzogene Gesicht strich:

      »Auch ich habe gehört, was für eine brave Frau Sie haben und es thut mir leid, daß Sie sich meinetwegen beinahe mit ihr überworfen hätten. Müßte ich nicht Rücksicht auf meinen armen Vater nehmen, so würde ich noch diese Nacht, gleich jetzt, Ihr Haus verlassen; aber er muß und muß heut schlafen, wenn er morgen nicht im Schnee liegenbleiben und erfrieren soll. Dann werden wir Sie keinen Augenblick länger belästigen. Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank, und leben Sie wohl, meine Herren!«

      »Aber, was fällt Ihnen ein?« versuchte Franzl, sie zu halten. »Sie haben ja gehört, daß meine Frau gar nichts dagegen hat, daß Sie hier bei uns bleiben. Sie dürfen sich den Kuchen und die Wurst nicht so zu Herzen nehmen; das hat sie nicht so schlimm gemeint, wie Sie es nehmen, und – – Da ist sie fort, hinaus mit ihrem Knaben! Klang das, was sie sagte, nicht etwas stolzer, als so ein nicht bezahlender Gast eigentlich sein darf, meine Herren?«

      »Sie thut mir leid, außerordentlich leid« antwortete ich.

      »Ich wollte, ich wäre reich, wenigstens wohlhabend genug, ihr helfen zu können. Sie wird früh, wenn wir aufstehen, mit ihrem Vater und mit ihrem Kinde verschwunden sein.«

      »Verschwunden? Fällt ihr nicht ein!«

      »O doch!«

      »Nein. Sie wird ausschlafen und dann Kaffee trinken; hernach werden wir sehen, ob der Alte fortkann oder nicht.«

      »Haben Sie nicht gehört, daß sie Lebewohl und nicht Gutenacht gesagt hat?«

      »Das ist nicht so wörtlich zu nehmen, wie Sie denken.

      Aber, Herr Capp – Carp – Carpio, was ist denn mit Ihnen? Was machen Sie für ein Gesicht?«

      Mein Busenfreund hatte die Ellbogen auf den Tisch gestemmt und das Gesicht in die Hände vergraben. Als er auf die Frage des Wirtes die Hände entfernte, sahen wir, daß seine Wangen bleifarben und seine Augen matt geworden waren. Die Unterlippe hing ihm weit herab.

      »Ihre – – Ihre – – Frau – – Frau!« seufzte er.

      »Was ist mit meiner Frau?«

      »Die ist schuld!«

      »Woran?«

      »Mir ist, als – – als – – als ob ich – – sterben müßte!«

      »Unsinn! Da ist die Cigarre schuld; die Virginias sind für Sie zu schwer gewesen.«

      »Nein – nein – – nein! Über Ihre Frau bin ich – – – so sehr erschrocken – – – aber nicht über die Virginias.«

      »Erschrocken? Warum denn eigentlich?«

      »Sie kam – – herein wie eine – – eine Furie!«

      »Ach was Furie! Meine Frau ist eine Seele von einer Frau und keine Furie. Da, nehmen Sie ein volles Glas, und trinken Sie es aus! Das ist das beste Mittel, wenn einen der Cigarrenteufel in den Magen beißt.«

      »Nein, nicht beißt, sondern hebt – hebt – – hebt und sogar um – – um – – umwenden will!«

      »Trinken Sie nur! Es hilft; ich weiß es genau.«

      Ich wußte nicht, ob das empfohlene Mittel wirklich anzuraten sei, denn meine Bekanntschaft mit dem Weine und seinen Wirkungen war damals genau so tief und umfassend, wie die Kenntnisse eines Eskimo über Datteln und Bananen; aber weil Franzl mit solcher Überzeugung zuredete, unterstützte ich seinen Rat, worauf mein Busenfreund das Glas leerte und dann wie ein Seekranker nach dem Kanapee wankte, um sich auf demselben auszustrecken. Ich bat den Wirt, uns schlafen gehen zu lassen; er aber erklärte lachend:

      »Fällt mir gar nicht ein! Wir bleiben noch recht hübsch beisammen. Ich muß die Gelegenheit ausnützen, denn an Ihr Wiederkommen darf ich doch nicht glauben, denn das mit dem Paschen war doch bloß Phantasie?«

      »Ja; es versteht sich doch ganz von selbst, daß wir keine Schmuggler sind. Wir haben pro Person zwei Cigarren in die Stiefel gesteckt, obwohl ich wußte, daß man mehr mitnehmen darf. Ich wollte Carpio nicht um das Vergnügen bringen, sich für einen staatsgefährlichen Menschen zu halten.«

      Da richtete sich der Genannte kerzengerade vom Kanapee auf und sprach mich mit hohler, drohender Grabesstimme an:

      »Ich staatsgefährlich? Ja! Wenn es mir so bleibt, wie es mir jetzt ist, so – – so – – kann es schrecklich werden, denn da – da – da falle ich gleich wieder um!«

      Er that, was er gesagt hatte. Franzl lachte lustig auf; ich aber hatte Sorge um den Freund und drang so lange in den unermüdlichen Wirt, bis er, allerdings gegen das Versprechen, morgen noch bei ihm zu bleiben, darauf einging, uns unser Zimmer zu zeigen. Ich zog Carpio vom Sofa auf und umfaßte ihn, um ihn zu führen; er aber riß sich los und sagte:

      »Ich brauche keine Stütze. Ich bin nur drehend von den starken Cigarren, die – – die – – ich habe ja nichts, gar nichts gegessen!«

      »Ich glaube, der Wein ist auch mit schuld.«

      »Möglich! Doch darüber später, wenn wir allein sind. Komm!«

      Er nahm mich bei der Hand und wankte, während Franzl uns leuchtete, an derselben hinaus und die Treppe hinauf, wo unsere »gute Stube« lag. Als uns der Wirt in diese geführt hatte, sagte er uns Gutenacht und ging, indem er das Licht zurückließ. Wir sahen uns um.

      »Gute Stube!« Jawohl, das war sie allerdings, und zwar eine sehr gute, eine außerordentlich gute Stube! Man weiß, was für einen Raum der Bürgersmann mit diesem Ausdrucke zu bezeichnen pflegt, nämlich eine Stube, in welcher alle möglichen und unmöglichen sogenannten »besseren« Möbeln und sonstige Herrlichkeiten vom Urgroßvater her aufgestellt und zusammengeschachtelt werden, wobei natürlich auch der obligate Glasschrank nicht fehlen darf. Dieses Raritätenkabinett wird selten betreten, noch seltener gelüftet, gilt als Familienheiligtum und darf nur alle Jahrhunderte einmal einem Gaste, den man besonders ehren will, als Schlafzimmer dienen.

      Auch die besser situierten Stände haben gute Stuben, allerdings »Salons« genannt. An ihre Einrichtung ist mehr Geld verschwendet worden, als die Mittel eigentlich erlauben; diese teuren Sachen müssen geschont werden; darum sind sie nicht zum Gebrauche sondern zum Prunk, zum Anstaunen da, und selbst wenn der Hausherr es einmal wagen wollte, sich auf einen solchen Stuhl zu setzen oder den Teppich mit seinen Stiefeln zu berühren, würde er von der Dame des Hauses einfach und ohne Anwendung übermäßiger Höflichkeit zur Thür hinauskomplimentiert.

      Das Zimmer, in welchem wir schlafen sollten, war nicht gebrauchsunfähig und dennoch, zumal nach unserer persönlichen Ansicht, eine gute Stube im wahrsten Sinne des Wortes. Es standen da zwei breite Betten, so breit, daß jedes von ihnen drei Personen genügend Platz geboten hätte, der schon erwähnte Glasschrank, ein Tisch, ein Kanapee und zwei Stühle. Mehr als diese Möbel aber interessierte uns ein dreibeiniger hölzerner Schragen, welcher wohl ein Dutzend Äpfel-, Käse-, Quark-und andere Kuchen trug. Noch entzückender war der Anblick des Himmels über uns. In diesen, nämlich in die hölzerne Zimmerdecke, waren zahlreiche Haken eingeschraubt, an denen Schinken, Räucherspeck, sonstiges Fleisch und alle möglichen Sorten von Würsten hingen. Diese Herrlichkeiten erfüllten die gute Stube mit einem kräftigen Dufte, dessen Wirkung sich nicht nur auf die Geruchs-, sondern auch auf alle übrigen Nerven zu erstrecken schien, denn Carpio, der eben noch so hinfällige, richtete sich zu seiner vollen Länge empor, sog den Geruch mit Wohlbehagen ein und sagte:

      »Freund Sappho, ein gütiges Geschick hat uns in das Elysium geführt; Franzl ist das Geschick, und wo sich das Elysium befindet, das brauche ich dir wohl nicht zu sagen. Es weht ein Odem überirdischen Behagens hier, dem jede Krankheit weichen muß. Ich werde die letzten zwei Stunden in meinem ganzen Leben nicht vergessen; es war mir unbeschreiblich schauderhaft zu Mute. Ich fühlte mich nicht mehr als Mensch, sondern ich kam mir wie ein großer, dicker Sack voll Jammer und Elend vor. Ich habe alle zehntausend Niederträchtigkeiten des Erdenlebens in diesen


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