Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри


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Kapitel.

       Zwei Welten

       Inhaltsverzeichnis

       Bordighera, sechsten April.

      Mein liebster Harro!

      Heute habe ich den Frühling gesehen. Er kam übers Meer, und wo er den Strand betrat, da lief unter den Palmen ein grüner Hauch. Da standen zwischen dem Grün weiße, gelbe und feuerrote fremde Lilien, wie Flammen schlugen sie aus dem weichen Grase auf. Hohe Zypressen schauten auf sie herunter, und damit sie nicht so einsam blieben in ihrer Höhe, schlangen sich Teerosen an ihren Stämmen hinauf und drückten ihre sanften Blumenwangen an die rauhe Rinde und verbanden sie mit ihren Ranken und ketteten sie aneinander und lächelten dazu mit ihren deinen, blassen Gesichtern. Kennst Du die Olive, die auf der gelben Felswand ihre feinen Zweige in hundertfältigem Schattenspiel abzeichnet? Und die so alt und zerklüftet und zerrissen ist, daß Maßliebchen in ihren Stamm hineingewandert sind und da wohnen und leben?

      Nun kennst Du sie aber nicht mehr, die alte Seele. Sie blüht über und über von rosa Rosen. Bis zum Wipfel sind sie gestiegen, ihr Grün sieht man nicht, nur die rosa Köpfchen und das silbergraublaue und das leuchtende Rosa zusammen, wie lachen einem da die Augen!

      Die liebe, alte, feine Seele mit ihren Rosenkränzen!

      Dann ging wohl der Frühling mit seinen leichten Füßen die Schlucht hinauf, wo hinter der Felswand die Palmen stehen. Die grüßen ihn ein wenig, ihr Freund ist ja der glühheiße Sommer, der ihnen die alte Heimat wieder bringt, sie rühren sich nicht viel. Da verfängt sich des Frühlings blauer wehender Mantel an einer Mimose.

      Wie flammt sie auf! Ein Berg von purem Gold ist sie geworden, der herausschießt aus dem Gestein und alles ringsum mit seinem Goldstaub und Duft erfüllt. Wie ein Wunder steht die Mimose da, als wäre sie heute verpflanzt worden aus dem Paradiesesgarten. Und der Frühling mag wohl eine Weile bei ihr stehen und mit seinen strahlenden Augen um sich sehen. Und da steht zwischen den stolzen abweisenden Palmen ein schlanker dunkler Baum. Ein Hauch darüber, und nun steht er in weißen Blüten, der Kirschbaum, und trägt seine Last von Blütennestchen auf den schwanken Zweigen.

      Wie ist er so traut, der Baum aus der Heimat. Ach, nimm einen Zweig davon, holder Frühling, und steck ihn dir auf deinen Hut und trage ihn über die sieben, sieben Berge und die Schnee- und Eispaläste nach der geliebten Sonnenhalde, wo jetzt erst die schüchternen Maßliebchen und die gelben Hungerblümchen stehen zwischen den Steinen. Und laß den bittersüßen Hauch hereinwehen, daß er aufsehen muß von seiner Arbeit und hinausschlendern und ins Tal sehen!

      Du hast gewiß nicht gewußt, Harro, daß es so viel Nachtigallen in der Welt gibt, wie sie hier beisammen wohnen? Es scheint zurzeit ein großer gelber Mond, vor dem sich die Lisa fürchtet, weil er so gar nicht ist wie der Braunecker Mond. Und dazu singen die Nachtigallen. Und die Baumfrösche plappern, die kleinen, grünen, wer es am lautesten kann. Sie klappern wie Hunderte von kleinen Mühlen, und auch die mahlen lauter Liebe die ganze Nacht. Man kann gar nicht schlafen vor lauter Liebe.

      Vater ist nun in Brauneck angekommen und Tante Helen hier. Wie ist sie so gut und wunderlich. Sie meint, in allem schlage ich aus der Art, und ich dürfe mir nicht einbilden, das Leben werde mich stets wie Biskuitporzellan behandeln, wie bisher.

      Und dann küßt sie mich wieder und sagt: »Dir vor andern gönne ich es, daß es nach deinem Herzen geht. Ich möchte wissen, in wieviel Jahrhunderten du die einzige bist von Braunecker Töchtern, die sich nicht vor ihrer Hochzeit die Augen halb ausgeweint hat oder mit Stickrahmen, Papagei und Schoßhund im Prinzessinnenbau hat vorlieb nehmen müssen! O du Biskuitporzellan!«

      Und ich muß mich so nennen und mir erzählen lassen, wie man mit dem gewöhnlichen Geschirr, als solches rechnet sich Tante Helen, die doch auch Original Brauneck ist, verfahren hat. Und ich liebe sie innig, die Tante Helen.

      Mama ist in Wiesbaden, und es wird schwer sein, sie wieder nach Brauneck zu bekommen, gegen das sie nun immer erbitterter ist.

      Und das kränkt Vater, der doch denkt, daß es auf der Welt keinen besseren Ort zum Leben und Sterben gibt als Brauneck.

      Deine schöne Gruppe von der Prinzessin als Gänsemagd macht allen große Freude. Der Herr Professor setzt sich jedesmal so, daß er sie ansehen kann, und rückt ein wenig daran mit behutsamen Händen, daß er eine andere Silhouette davon bekommt und endlich mit sich im reinen ist, von welcher Seite sie am schönsten ist. Auch findet er, daß er sich noch nicht genug mit diesen interessanten Tieren, den Gänsen, befaßt und ihnen menschlich näher zu kommen versucht habe. Er habe sie bisher nur in gebratenem Zustand geschätzt. Aber dies sei nun ein vollständig überwundener, weil beschämend roher Standpunkt. Er ist überzeugt, daß die vordere Gans die ganze Situation, die dem Kürdchen erst dämmert, längst vollständig durchschaut hat. Darum wandelt sie auch so preislich voran. Und die zweite zischt verächtlich nach dem dummen Jungen, dem Kürdchen, und ist bereit, allerhand Angriffe, sei's von täppischen Bubenhänden, sei's von andern Kreaturen, von ihrer Prinzessin abzuwehren. Ist es nicht lieb von ihm, daß er sich so hinein vertieft hat? Und wie sehr wünscht er ein Bild von Dir zu sehen. Am liebsten den Ehrensaal. Und denke, er hat mir versprochen, uns in Thorstein zu besuchen.

      Ach, das fällt mir aufs Herz. Wie ich das zu sagen wage, – es will mir fast bange werden. Weißt du, so:

      »Welt, geh nicht unter, Himmel, fall nicht ein –«

       Liebster Harro, kann es denn wahr sein!

       Deine Rosmarie.

       Thorstein, den zwanzigsten Mai.

      Liebste, Holdseligste, o du mein blauer Himmel!

      Heute solltest Du den Brunnen hören mit seinem Amsellied. Die Amsel sitzt oben auf der alten Tanne und singt und singt. Und was der Brunnen daraus macht, das ist so, wie das, was Du aus meinen Bildern machst. Sein alter grüner Samtmantel leuchtet plötzlich auf, wie berührt von einer Lichtwelle, unsäglich schön ist das! Und zuerst kommt es mir vor, als müsse er leuchten über seiner Musik, wie beseelt sieht er aus. Schließlich wird es mir doch zu merkwürdig, abends schlafen seine Farben ja immer. Da finde ich, daß es der Reflex von dem Sonnenglast auf den neuen Fenstern vom Hause her ist. Eine kindische Freude habe ich darüber, es muß ihn ja auch freuen, daß er nun so beglänzt wird, aus der Sonnenhöhe herunter.

      Nun, das wirst Du auch einmal sehen. Und ich verspreche ihm jeden Tag, daß die Holdseligste einmal auf seinem grüngrünen Rande sitzen wird, ihre langen Flechten herunterhängen lassen, und sein dunkles Auge das Weiß und Gold widerspiegeln wird. Dann ist ja die Fee von Schloß Schweigen wieder zu sehen. Weißt Du die Geschichte immer noch nicht?

      Gestern war Vater da, und wir stiegen wohl zwei Stunden lang überall herum zwischen Kübeln und Leitern und dem lieblichen Duft der Maurerspfeifen und -Koteletten. Was das letztere ist, wage ich meiner Mondscheinprinzessin nicht mitzuteilen. Es scheint den Leuten ein Lebensbedürfnis zu sein, und auch Vater hat großmütig über das eigentümliche Parfüm hinweggesehen. Er war zum Glück recht befriedigt, und ich habe ihm schwören müssen, alle Arbeiten, die nicht mit Pinsel und Palette gemacht werden können, wie Bildhauen, Schnitzen, nur unter strengstem Ausschluß der Öffentlichkeit zu verrichten. Freilich, das Schmollzimmer, das Deine Panneaux bekommt und in dem ich die Decke male, – ich will doch auch bei Deinen Kunstwerken vertreten sein, kann ich eben nur an Ort und Stelle malen. Ich verklackere mich noch entsetzlich bei der Plafondmalerei. Auf dieses wagte ich ihn nicht aufmerksam zu machen. Ich werde eben die Türen schließen.

      Als ich neulich ganz verkleistert und ein Anblick zum Erschrecken in mein Atelier kam und eine halbe Stunde brauchte, das Zeug aus meinen Haaren zu kriegen, – natürlich hatte ich beständig meine Kappe verloren – da erquickte es mich ordentlich, abends von Michel Angelo selbst zu lesen, wie er seine Qualen beschreibt, als er die Sixtina ausmalte. Die betreffende Schilderung habe ich markiert, damit ich, wenn je Vater etwas von den Farbenorgien auf meinem Kopf, Kittel und Händen erfahren sollte, es ihm gleich vorhalten kann. Er muß dann wenigstens die gute Gesellschaft anerkennen, in der ich mich befinde.

      Aus


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