Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
nicht klüger werden könnte. Und ihr habt ja recht. Ich bin ein dummes Kind. So dumm, wie ich lang bin. Als ich klein war, lachten ja alle über mich. Nur du nicht! Harro, du nicht! Und darum liebte ich dich. Harro, warum stellst du dich nun zu den andern, du auch?«
Dem Thorsteiner fährt eine Röte über die Stirn, er läßt seinen Kopf hängen und steht vor ihren sanften, grauen, flehenden Augen wie ein gescholtener Junge.
»Rosmarie, es war leichter so. Die Sache ist schwer genug für mich. Das kannst du ja nicht wissen. Habe ich dir wirklich damit ein Unrecht getan? Ich dachte mir, ich lasse dich in deiner glücklichen Kindlichkeit.«
»Du mußt keine Schleier mehr darüber werfen, Harro. Sag mir, Harro, sag mir. Warum bin ich nicht deine Frau? Ist etwas an mir, daß ich es nicht sein könnte?«
Harro erschrak heftig: »Du hast doch die Gedanken nicht schon lange mit dir herumgetragen! Ich bitte dich, das wäre mir furchtbar. Meine Rose, meine arme Rose! Nein, es ist alles so einfach! Du bist noch zu jung, du sollst noch geschont werden. Wie lang ist's her, daß man dich dem Tod entrissen hat! Wie furchtbar, wenn ich dich gefährdete! Das Entsetzlichste wäre es mir. Ich kann es nicht. In manchen Dingen bin ich eine Memme. Was es mich gekostet hat, neben dir in Bordighera zu stehen, als du dalagst wie so ein armer, gequälter Schatten, das kannst du nicht ahnen! Und du wolltest ja nicht mehr in Brauneck bleiben, du hast mich doch gebeten. – Und so habe ich deinem Vater den Vorschlag gemacht, du solltest bei mir sein, wie das Seelchen bei mir gewesen wäre. Ich gab ihm mein Wort. Daß ich dir schwere Stunden damit bereite –«
»O Harro, wie muß ich mich schämen vor dir! O Harro, und ich bin so glücklich, und wie schäme ich mich. Und es ahnt mir, daß ich nicht einmal weiß, wie sehr ich mich schämen muß. Ich lebe von deiner Güte all die Zeit.« –
Er hatte seinen Arm um sie gelegt und strich ihr sanft über ihre Haare.
»Du sollst glücklich sein. Rose. Und du gabst mir so viel. Wie kannst du wissen, Schwanenjungfrau, was wir Männer fühlen. Und du hast mir doch die höchsten Stunden meines Lebens geschenkt. Du hast mir ein Opfer gebracht. Ein Sturm der Seligkeit durchbrauste mich. Sieh, für die andern ist das Gesicht der Mensch, sie sehen vielleicht noch die Hände, den Rest besorgt die Schneiderin.
Für mich hat die lieblich geneigte Schulter, der Bau deines Rückens, die wunderbare Linie von der Armhöhle über die sanftgeschwungene Hüfte herunter eben so viel Ausdruck wie dein Gesicht. Ich habe es immer geahnt, daß du herrlich sein mußtest. Aber wie sehr deine Seele sich die Behausung gebaut und bewahrt hat, das habe ich nun erlebt. Du bist mir heilig geworden. Ich habe nun, wenn deine Süßigkeit nicht gar so gefährlich wurde – und du hattest plötzlich ein feines Gefühl bekommen, was du tun dürfest und was nicht, – ganz schön neben dir leben können. Ich habe Schöpferstunden genossen, als ich dich malte.
Und nun gräm dich kein bißchen mehr, Rose. Im Sommer feiern wir Hochzeit. Ja, mußt du denn deinen Kopf verstecken, kannst du mich gar nicht mehr ansehen ...?
Ein Fest wird es sein ... Ein Fest, in das uns kein Mensch hineinredet! Das Fest! Das Fest der Rose! Gegen das alle Feste nur ein Vorhof waren. Du hast ja deinen Schleier mitgenommen, Rosmarie, und einen Rosenkranz von weißen Kletterrosen von der Braunecker Schloßmauer wirst du tragen. Die sehen dir am ähnlichsten! Und ein Gewand von weißer Seide über deinen süßen Leib und goldene Schuhe, deine Freudenschuhe. Und es werden keine fremden Augen auf uns sehen. Und der Brunnen singt uns sein schönstes Lied. Warum redest du kein Sterbenswörtchen, Rose, meine weiße Rose!«
»Oh, ich liebe dich, ich liebe dich.«
Harro erhob sich plötzlich und sagte leise:
»Du mußt mich nun gehen lassen, Rosmarie. Es ist noch lange bis zum Sommer. Einen Kuß noch, aber schnell! Ich muß gehen.«
»Dein Wort hast du gegeben, Harro, – dann mußt du es halten.«
Und sie entwand sich ihm und schritt hinaus. –
Als Harro am andern Morgen zum Frühstück kam, war das sonnenfreundliche Zimmer leer, und keine Anstalten für Rosmaries Frühstück waren getroffen. Statt dessen lag ein Billett auf dem Tisch, an ihn adressiert:
Lieber Harro, wenn Du dies Blatt findest, bin ich schon bald in Würzburg. Um elf Uhr werde ich in Berlin sein, wo mich Vater abholt. Lisa getraut sich, mich wirklich nach Berlin zu bringen. Wenn ich glücklich dort angelangt bin, telegraphiere ich Dir, sollte ich aber trotz Lisa mich plötzlich wo anders befinden, telegraphiere ich Dir auch. Sei mir nicht böse!
Deine Rosmarie.
Rosmarie hat zum erstenmal ihr Schicksal in ihre eigene Hand genommen.
Dreißigstes Kapitel.
Die Erziehung
Rosmaries Telegramm hatte im Palais Brauneck in Berlin nicht geringe Aufregung verursacht. Der Fürstin Augen hatten wunderlich geglänzt, als ihr der Fürst das Telegramm zeigte.
»Das ist seltsam! Hoffentlich bedeutet es nichts Schlimmes. Wenn junge Frauen plötzlich bei ihren Eltern wieder auftauchen, so pflegt das auf Stürme zu deuten...«
Der Fürst jammerte, daß Harro Rosmarie allein reisen lasse, die doch so unerfahren sei. Ob sie nur wisse, wo man die Billette bekomme! Den ganzen Nachmittag – Rosmarie hatte erst von Würzburg aus depeschiert – trieb es ihn von einem zum andern, alles mögliche Reiseunglück schien ihm seine Tochter zu bedrohen. Es öffneten sich Abgründe zwischen Würzburg und Berlin. »Unverantwortlich von Harro.« stöhnte er immer wieder. Er war schon seit einer Viertelstunde auf der Plattform des Anhalter Bahnhofs auf und ab gewandelt, als der Zug endlich hereindampfte. Die Türen öffneten sich, und eine bunte Menschenwoge füllte in einem Augenblick den leeren Platz.
Der Fürst starrt hinein, daß es ihm vor den Augen flimmert; als das Allerunwahrscheinlichste will es ihm bedünken, daß Rosmarie nun wirklich auftauchen könnte.
Und da steht sie plötzlich vor ihm: »Vater, ach wie schön, daß du da bist!«
Er schließt sie in die Arme, als käme sie übers Weltmeer. »Da bist du!« Und seine Augen werden feucht. Wie ist sie rosig und blühend, trotz der langen Reise, und mit einem unternehmenden Funkeln in den Augen, das er gar nicht kennt.
»Und ist dir denn gar nichts Unangenehmes geschehen?«
»Aber Vater, ich bin doch jetzt endlich groß genug, daß ich mich allein, das heißt mit Lisa, nach Berlin wagen kann. Wir sind zweiter Klasse gefahren, in der ersten war es uns zu einsam. Und es war eine Dame mit zwei Kindern da, und wir haben uns vorzüglich unterhalten.«
»Und geht es dir gut und Harro?«
»Sehr gut, Vater, und ein klein bißchen solltest du dich doch freuen, daß ich gekommen bin!«
»Sehr freue ich mich,« ruft der Fürst, der plötzlich fühlt, daß ihm eine Last vom Herzen geht, von der er erst jetzt die Schwere spürt. Und nun fahren sie nach dem Palais Brauneck, und Rosmaries Mund steht keinen Augenblick still, so viel hat sie zu erzählen, aber warum sie gekommen ist, das verrät sie nicht.
Die Fürstin erwartet sie mit seltsam gespanntem Gesicht, aber ein Blick in Rosmaries erhobenes, schönes Angesicht scheint ihr Interesse vollständig aufzuheben. Nachdem sie mit Rosmarie einige gleichgültige Worte gewechselt, erinnert sie sich, daß sie den dritten Akt einer Premiere, in dem etwas besonders Packendes vorgehen sollte, sehen wollte. Noch an der Tür wendet sie sich:
»Ja, Rosmarie, warum bist du eigentlich gekommen?«
Über Rosmaries Gesicht fliegt eine helle Röte, und der Fürst sagt schnell:
»Weihnachtsüberraschungen für Harro!«
Der Fürstin Interesse erlahmt wieder, und sie läßt die beiden allein.
Und dann setzt sich Rosmarie in ihres Vaters Arbeitszimmer in das tiefe