Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert). Walter Benjamin

Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert) - Walter  Benjamin


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er ein taghelles Zimmer, in dem eine Mutter mit ihren Kindern hauste.

      Sie hoffte auf das Kommen von jemandem in angstvoller Erwartung; denn sie ging im Zimmer auf und nieder, fuhr bei jedem Geräusch zusammen, blickte zum Fenster hinaus und sah nach der Uhr; sie versuchte vergebens zu arbeiten und konnte kaum das Lärmen der spielenden Kinder aushalten.

      Endlich vernahm sie das langersehnte Pochen an der Haustür und begegnete, als sie hinausschauen wollte, ihrem Gatten. Sein Gesicht war traurig und bedrückt, obgleich er noch jung war. Es zeigte einen merkwürdigen Ausdruck, eine Art ernster Freude, deren der Mann sich schämte und die nicht zu zeigen er sich bemühte.

      Er setzte sich zur Mahlzeit nieder, die man ihm warm gehalten hatte; und als die Frau ihn erst nach langem Schweigen fragte, was er für Neuigkeiten habe, schien er keine Antwort zu wissen.

      »Steht es gut oder schlecht?« fragte sie, um ihm die Auskunft zu erleichtern.

      »Schlecht«, antwortete er.

      »Wir sind ganz ruiniert?«

      »Nein, noch ist Hoffnung möglich, Karoline.«

      »Wenn er sich erbitten läßt«, rief sie erstaunt, »dann ist sie noch da! Überall ist noch Hoffnung, wenn ein solches Wunder zu erwarten ist.«

      »Es ist zu spät für ihn, Barmherzigkeit zu üben«, sagte der Gatte. »Er ist tot?«

      Sie war ein sanftes und geduldiges Wesen, wenn ihr Gesicht die Wahrheit sprach. Aber sie war im Innern dankbar, als sie dies vernahm, und sagte das auch mit gefalteten Händen. Sie bat im nächsten Augenblick allerdings den Himmel, daß er ihr verzeihen möge, und bereute es; aber das erste war die Regung ihres Herzens gewesen.

      »Was mir das halb trunkene Weib gestern abend sagte, als ich ihn sprechen und um eine Woche Aufschub bitten wollte, und was ich nur für eine bloße Ausrede hielt, um mich abzufertigen, zeigt sich jetzt als die reine Wahrheit. Er war nicht nur sehr krank, sondern lag schon im Sterben.«

      »Auf wen wird unsere Schuld übertragen werden?«

      »Ich weiß es nicht. Aber bis dahin werden wir das Geld haben; und selbst, wenn es nicht der Fall sein sollte, müßte es ein ganz besonderes Unglück sein, in seinem Erben einem ebenso unbarmherzigen Gläubiger zu begegnen. Wir können heute nacht leichteren Herzens schlafen, Karoline.«

      Ja, sie mochten es zu vertuschen suchen, ihre Seelen waren leichter. Die Gesichter der Kinder, die sich still um sie drängten, um zu hören, was sie so wenig verstanden, hellten sich auf, und das ganze Haus war glücklicher durch dieses Mannes Tod. Das einzige durch dieses Ereignis verursachte Gefühl, das ihm der Geist zu zeigen vermochte, war ein solches der Freude.

      »Laß mich nun auch irgendeine Zärtlichkeit sehen, die mit dem Tode zusammenhängt«, bat Scrooge, »oder jener dunkle Raum, den wir soeben verlassen haben, wird mir immer gegenwärtig bleiben.«

      Der Geist führte ihn durch mehrere Straßen, durch die er oft gegangen war; und als sie vorbeischwebten, hoffte Scrooge, sich hier oder da zu schauen, aber nirgends war er zu erblicken. Sie traten in Bob Cratchits Haus, dieselbe Wohnung, die er schon früher besucht hatte, und sie fanden die Mutter und die Kinder um das Feuer sitzen.

      Still war alles. Sehr still. Die lärmenden kleinen Cratchits saßen stumm wie Statuen in der Ecke und sahen auf Peter, der ein Buch vor sich hatte. Die Mutter und die Töchter waren mit Nähen beschäftigt. Aber auch sie waren still, sehr still.

      »Und er nahm ein Kind und stellte es in ihre Mitte.«

      Wo hatte Scrooge diese Worte gehört? Der Knabe mußte sie gelesen haben, als er und der Geist über die Schwelle schritten. Warum fuhr er nicht fort?

      Die Mutter legte ihre Arbeit auf den Tisch und legte die Hand über ihr Antlitz.

      »Die Farbe tut meinen Augen weh«, sagte sie.

      »Die Farbe? Ach, armer Tiny Tim!«

      »Sie sind jetzt wieder besser«, sagte Cratchits Frau. »Es ist nicht gut, bei Kerzenlicht zu arbeiten, und ich möchte den Vater, wenn er heimkommt, nicht sehen lassen, daß ich schwache Augen habe. Er muß bald da sein.«

      »Er müßte längst da sein«, erwiderte Peter, das Buch zuklappend. »Aber ich glaube, er geht jetzt ein wenig langsamer als sonst, Mutter.«

      Sie waren wieder sehr still. Endlich sagte sie mit einer sicheren, heitern Stimme, die nur ein einziges Mal bebte: »Ich bin sicher, daß er mit – ich bin sicher, daß er mit Tiny Tim auf der Schulter wirklich sehr schnell ging.«

      »Und ich auch«, rief Peter. »Oft.«

      »Und ich auch«, riefen die andern. Sie wußten es alle ebenso.

      »Aber er war sehr leicht zu tragen«, fing sie wieder an, fest auf ihre Arbeit sehend, »und der Vater liebte ihn so, daß ihm es keine Mühe machte; keine Mühe. Aber da ist ja der Vater schon an der Tür.«

      Sie eilte auf ihn zu, und Bob mit dem Schal – er hatte ihn nötig, der arme Kerl – trat herein. Sein Tee war bereit, und sie drängten sich alle herbei, wer ihn am raschesten bedienen konnte. Dann kletterten die beiden kleinen Crachits auf seine Knie, und jedes Kind legte eine kleine Wange an die seine, als wollten sie sagen: »Denk nicht so viel daran, Vater, gräme dich nicht!«

      Bob war sehr liebevoll mit ihnen und sprach sehr munter mit der ganzen Familie. Er besah die Arbeit auf dem Tisch und lobte den Fleiß und den Eifer seiner Frau und Töchter. »Sie würden lange vor Sonntag fertig sein«, sagte er.

      »Sonntag! Du warst also heute dort, Robert!« fragte seine Gattin.

      »Ja, meine Liebe«, antwortete Bob. »Ich wollte, du hättest mitkommen können. Es würde dein Herz erfreut haben, zu sehen, wie grün der Platz ist. Aber du wirst es oft sehen. Ich versprach ihm, Sonntags hinzugehen. Mein liebes, liebes Kind!« weinte Bob. »Mein liebes Kind!«

      Er brach auf einmal zusammen. Er konnte sich nicht helfen. Wenn er es gekonnt hätte, so wären er und sein Kind sich nicht so innig nahe gewesen.

      Er verließ das Zimmer und ging die Treppe hinauf in die obere Stube, die hell erleuchtet und weihnachtlich geschmückt war. Ein Stuhl stand dicht neben dem toten Kind, und man sah, daß kurz zuvor jemand dagewesen war. Der arme Bob setzte sich nieder, und als er ein wenig geträumt und sich wieder zusammengerafft hatte, küßte er das kleine Gesicht. Er war mit dem Schicksal ausgesöhnt und ging wieder hinunter, ganz glücklich.

      Sie setzten sich um den Kamin und unterhielten sich; die Mädchen und die Mutter arbeiteten weiter. Bob erzählte ihnen von der außerordentlichen Freundlichkeit von Scrooges Neffen, den er kaum einmal sonst gesehen habe. Er wäre ihm heute auf der Straße begegnet, und da dieser bemerkt, daß er ein wenig niedergeschlagen sei, habe er ihn nach der Ursache seines Kummers befragt. »Worauf«, sagte Bob, »denn er ist der liebenswürdigste junge Herr, den ich nur kenne, ich es ihm sagte. Ich bedauere Sie herzlich, Mr. Cratchit, erwiderte er, und auch Ihre gute Frau. Übrigens, wieso er das wissen kann, möchte ich wissen.«

      »Was kann er wissen, mein Lieber?«

      »Nun, daß du eine gute Frau bist«, versetzte Bob.

      »Jedermann weiß das«, sagte Peter.

      »Sehr gut bemerkt, mein Junge«, rief Bob. »Ich hoffe, daß es der Fall ist. Herzlich bedaure ich, sagte er, Ihre gute Frau. ›Wenn ich Ihnen auf irgendeine Art behilflich sein kann‹, sagte er, indem er mir seine Karte gab, ›hieraus ersehen Sie, wo ich wohne. Kommen Sie zu mir.‹ »Nun«, sagte Bob, »freute ich mich nicht deshalb so sehr, daß er etwas für uns tun könnte, als vielmehr, weil er so teilnehmend war. Es schien wirklich, als hätte er unsern Tiny Tim gekannt und fühlte mit uns.«

      »Ich bin sicher, er ist eine gute Seele«, sagte Mrs. Cratchit.

      »Du würdest das noch sicherer glauben, Liebe«, antwortete Bob, »wenn du ihn sähest und mit ihm sprächest. Es sollte mich gar nicht wundern, – merkt auf, was ich sage – wenn er Peter eine bessere Stelle verschaffte.«

      »Nun höre


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