Marie Grubbe. Jens Peter Jacobsen

Marie Grubbe - Jens Peter Jacobsen


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was in aller Welt! Man darf doch wohl einmal etwas lustig sein. Es gibt wahrhaftig Trübseligkeit genug hier in der Welt. Ich habe wenigstens mehr davon, als ich mit mir herumschleppen kann. Ist nicht mein Bräutigam in Krieg gezogen und muß alles mögliche Böse und Schlimme ausstehen? Es ist der reine Jammer, wenn man daran denkt. Wenn sie ihn nun tot oder zum Krüppel geschossen haben! Gott sei mir armen Mädchen gnädig, ich würde ja nie wieder ein Mensch werden.«

      Sie verbarg ihr Gesicht in den Kissen des Bettes und schluchzte: »Ach, nein, nein, nein, mein teurer, teurer Lorenz – ich will dir so treu, so treu sein, wenn der liebe Gott dich mir nur heil heimkehren läßt – ach, Jungfer, Jungfer! dies ist wirklich nicht zum Aushalten!«

      Marie suchte sie mit Worten und mit Liebkosungen zu beruhigen. Endlich brachte sie es dahin, daß Lucie sich aufrichtete und die Augen trocknete.

      »Ja, Jungfer,« sagte sie, »niemand weiß, wie ich mit mir selbst zu kämpfen habe. Man kann ja unmöglich immer so sein, wie man sollte. Und es nützt nichts, daß ich mir vornehme, mich nicht an alle die jungen Burschen zu kehren; kommen sie mit Lustigkeit und Komplimenten, und wenn es sich auch um mein Leben handelte, ich könnte sie nicht wegbeißen und mich ihnen entziehen; es juckt mir auf der Zunge, ihnen wieder zu antworten, und dann wird ja gar leicht mehr Geschäker daraus, als ich, strenge genommen, vor Lorenzen verantworten kann. Aber wenn ich dann daran denke, welchen Gefahren er ausgesetzt ist, ach! da reut es mich mehr, als irgendeine Menschenseele es sich auszudenken vermag. Denn ich liebe ihn, Jungfer, und keinen andern als ihn, das kann Sie mir glauben. Ach! wenn ich ins Bett kommen bin und der Mond da so hell auf den Estrich scheint, dann werde ich ein ganz anderer Mensch; es wird mir so traurig ums Herz, und da wein ich und weine, und es drückt hier oben im Halse, als sollt ich ersticken – ach, es ist eine Qual; ich liege und wälze mich im Bett und bete zu dem lieben Gott, und weiß knapp, um was ich bete, und zuweilen bin ich ganz von Sinnen, und dann setze ich mich aufrecht im Bett hin und halte meinen Kopf fest, und mir wird so schrecklich bange, daß ich vor Sehnsucht noch den Verstand verliere. – Aber, Herrgott, Jungfer! Sie weint ja; Sie geht doch nicht herum und sehnt sich heimlich nach jemand, so jung sie ist?«

      Marie errötete und lächelte leise; es lag etwas Schmeichelhaftes für sie in dem Gedanken, daß sie verliebt sein und sich sehnen könne.

      »Nein, nein,« sagte sie, »aber es ist so traurig, was du da sagst; es ist, als wäre alles nichts als Kummer und Verdruß!«

      »Ei bewahre! es gibt zuweilen auch was anderes,« sagte Lucie und erhob sich, als man unten nach ihr rief, und dann ging sie, indem sie Marie schelmisch zunickte.

      Marie seufzte, trat an das Fenster und sah hinaus, hinunter auf den grünen, kühlen St. Nikolaj-Kirchhof, auf die roten Mauern der Kirche, hinüber nach dem Schloß mit dem patinagrünen Kupferdach, hinweg über den Holm und die Reiferbahn, herum nach dem Ostertor mit dem spitzen Turm und nach Hallendaas mit seinen Gärten und Holzschuppen und mit dem bläulichen Sund da draußen, der mit dem blauen Himmel verschwamm, unter dem weiße, weichgeformte Wolken langsam dahintrieben, hinüber nach der Küste von Schoonen.

      Seit drei Monaten war sie nun in Kopenhagen. Damals, als sie von Hause abreiste, hatte sie geglaubt, in der Residenzstadt zu leben, sei etwas ganz Verschiedenes von dem, was es, wie sie jetzt wußte, war. Es war ihr niemals eingefallen, daß es dort noch einsamer sein könne als auf dem Tjeler Edelhofe, wo sie doch einsam genug gelebt hatte.

      An ihrem Vater hatte sie keine Gesellschaft gehabt, er war allzeit so ganz er selbst, daß er nie etwas für andere sein konnte; er wurde nicht vierzehn Jahre alt, wenn er mit einer Vierzehnjährigen sprach, und er wurde kein weibliches Wesen, weil er mit einem kleinen Mädchen plauderte; er war immer jenseits der Fünfzig, und er war immer Erik Grubbe.

      Die Buhlerin des Vaters, die herrschte, als sei sie Frau im Hause, konnte Marie nicht ansehen, ohne daß nicht alles, was an Stolz und Bitterkeit in ihr war, gleich wachgerufen ward. Dies grobe, herrschsüchtige Bauerweib hatte sie so oft verletzt und gequält, daß Marie nicht einmal den Schall ihrer Schritte hören konnte, ohne sich gleich und fast unbewußt hart zu machen, trotzig und gehässig zu werden. Ihre Halbschwester, die kleine Ane, war kränklich und verhätschelt, Umstände, die sie keineswegs umgänglich machten, und nun kam noch dazu, daß die Mutter, Erik Grubbe gegenüber, Marien immer durch sie zu schaden suchte.

      Was für Gesellschaft hatte sie da?

      Ja, sie kannte jeden Weg und Steg im Bigumer Walde, jede Kuh, die auf der Wiese weidete, jeden Vogel auf dem Hühnerhof. Und der freundliche Gruß des Gesindes und der Bauern, wenn sie an ihnen vorüberging, sagte: die Jungfer leidet Unglimpf, und wir sehen es, wir sind betrübt darüber, und wir haben dieselbe Gesinnung gegen das Weibsbild droben wie Ihr.

      Aber in Kopenhagen?

      Hier hatte sie Lucie, und sie hielt große Stücke auf Lucie, aber sie war ja doch nur eine Dienerin; sie besaß Luciens ganzes Vertrauen und war froh darüber und dankbar dafür; aber Lucie besaß ihr Vertrauen nicht. Sie konnte ihren Klagen ihr gegenüber nicht Luft machen; sie wollte nicht, daß man zu ihr sagte, es sei traurig, so wie sie gestellt sei; und sie konnte durchaus nicht zugeben, daß eine dienende Person über ihre unglücklichen Familienverhältnisse sprach; nicht einmal über die Muhme wollte sie ein Wort hören. Und doch liebte sie die Muhme gar nicht, hatte auch keinen Grund dazu.

      Rigitze Grubbe hatte die sehr strengen Anschauungen der Zeit über das Heilsame einer harten und wenig glimpflichen Erziehung, und sie nahm sich vor, Marie demgemäß zu erziehen. Sie hatte keine Kinder, hatte auch niemals welche gehabt, sie war daher eine äußerst ungeduldige Pflegemutter, dazu sehr unbeholfen, da die Mutterliebe sie niemals die kleinen und äußerst nützlichen Kunstgriffe gelehrt hatte, die es für Kind und Lehrmeister so viel leichter machen, auf dem Wege vorwärtszukommen. Und doch – so eine barsche Erziehung hätte Marie am dienlichsten sein können. Sie, deren Sinnen und Denken auf der einen Seite fast verkrüppelt war aus Mangel an wachsamer und fester Aufsicht, und auf der anderen Seite halbwegs verstümmelt infolge von unverständiger und launenhafter Grausamkeit, müßte es fast als Frieden und Linderung empfunden haben, sicher und harthändig den Weg geführt zu werden, den sie gehen sollte, von jemand, der vernünftigerweise nichts anderes als Gutes mit ihr im Sinne haben konnte.

      Aber sie wurde nicht auf diese Weise geführt.

      Frau Rigitze hatte so viel auf Händen an Politik und Intrigen, lebte so viel mit den Hofkreisen, daß sie ganze und halbe Tage vom Hause fern oder daheim so beschäftigt war, daß Marie mit sich und ihrer Zeit machen konnte, was sie wollte. Hatte Frau Rigitze endlich einen Augenblick für das Kind übrig, so machte ihre eigene Versäumnis sie doppelt ungeduldig und doppelt strenge. Das ganze Verhältnis mußte Marie daher als die reine, pure Ungereimtheit erscheinen und war nahe daran, ihr die Vorstellung beizubringen, daß sie ein Aschenbrödel sei, das alle haßten und niemand liebte.

      Wie sie nun dort am Fenster stand und über die Stadt hinaussah, überkam sie dies Gefühl der Verlassenheit und Einsamkeit; sie lehnte den Kopf gegen den Fensterrahmen und starrte versunken zu den langsam dahinziehenden Wolken hinauf.

      Sie verstand so gut das Traurige, das Lucie von der Sehnsucht gesagt hatte; es war, als brenne es in einem, und es war nichts anderes dabei zu machen, als es brennen zu lassen, wie es wollte, – sie kannte das ja so gut. – Was sollte daraus werden? – Der eine Tag so wie der andere. – Nichts, nichts – nie etwas, worüber man sich freuen durfte; konnte es so weitergehen? – Ja! noch lange; – auch noch, wenn man sechzehn Jahre alt geworden war? – Es ging doch nicht für alle Menschen so weiter; – es war doch unmöglich, daß sie noch immer mit der Kindermütze gehen sollte, wenn sie sechzehn Jahre alt war! – Das hatte Schwester Ane Marie doch nicht getan; – die war jetzt verheiratet. – Sie konnte sich so deutlich all des Lärms und der Lustbarkeit erinnern, die es bei der Hochzeit gegeben, noch lange, nachdem sie schon zu Bett geschickt worden war, – und der Musik. – Sie könnte sich ja doch auch gern verheiraten. – Aber mit wem wohl nur? vielleicht mit dem Bruder ihres Schwagers? – Der war ja freilich schrecklich häßlich; aber wenn es sein mußte ... darauf konnte sie sich unmöglich freuen. Was


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