Eine Falle für Null. Джек Марс
Reid schloss die Tür zu ihrem Zuhause in der Vorstadt von Alexandria im Bundesstaat Virginia auf, balancierte eine Pizza-Schachtel auf seiner Hand und gab den sechsstelligen Alarmcode in die Schaltfläche neben der Tür ein. Er hatte das System gerade vor einigen Wochen verbessern lassen. Dieser neue Alarm sendete eine Notfallnachricht sowohl an den Rettungsdienst als auch an die CIA, falls der Code nach Öffnung einer der Ausgänge nicht binnen dreißig Sekunden richtig eingegeben wurde.
Es war eine von mehreren Vorsichtsmaßnahmen, die Reid seit dem Vorfall getroffen hatte. Es gab jetzt Kameras, drei insgesamt. Eine von ihnen war über der Garage angebracht und zielte in Richtung Auffahrt und Eingangstür, eine weitere war im Flutlicht über der Hintertür versteckt und eine dritte befand sich außerhalb des Panikraumes im Keller. Alle drei nahmen rund um die Uhr auf. Er hatte auch alle Schlösser im Haus ausgetauscht. Ihr ehemaliger Nachbar, der jetzt verstorbene Herr Thompson, hatte einen Schlüssel für die Eingangs- und Hintertür, doch seine Schlüssel verschwanden, als der Attentäter Rais seinen Wagen stahl.
Außerdem waren Ortungschips in seine Töchter implantiert worden. Beide waren sich dessen nicht bewusst. Man hatte ihnen eine Injektion gesetzt und ihnen gesagt, dass es sich um eine Grippeimpfung handelt. Doch in Wirklichkeit war es ein subkutanes GPS-Ortungsgerät, kleiner als ein Reiskorn, das man ihnen in den Oberarm gespritzt hatte. Wo auch immer sie auf der Welt wären, ein Satellit wüsste darüber Bescheid. Das war Agent Stricklands Einfall und Reid hatte ihm fraglos zugestimmt. Insbesondere merkwürdig war es, dass Deputy Direktor Cartwright sofort unterschrieb, obwohl es sehr kostenaufwendig war, zwei Zivile mit CIA Technik auszustatten.
Reid ging in die Küche und fand Maya im Wohnzimmer nebenan., die einen Film im Fernsehen sah. Sie faulenzte auf ihrer Seite des Sofas, immer noch im Schlafanzug, und beide ihrer Beine hingen von der Lehne.
„Hallo.” Reid stellte die Pizza-Schachtel auf die Arbeitsfläche und zog sich seine Tweedjacke aus. „Ich habe dir eine SMS geschrieben. Du hast nicht geantwortet.”
„Das Telefon lädt sich oben auf”, antwortete Maya gelassen.
„Kann sich das nicht hier unten aufladen?” fragte er spitz.
Sie zuckte nur mit den Schulter.
„Wo ist deine Schwester?”
„Oben”, gähnte sie. „Glaube ich.”
Reid seufzte. „Maya -”
„Sie ist oben, Papa. Mann...”
So sehr er sie auch für ihr launische Haltung der letzten Zeit ausschimpfen wollte, hielt Reid sich dennoch zurück. Er wusste immer noch nicht genau, was die beiden während des Vorfalls mitgemacht hatten. In seinem Inneren nannte er es jetzt „den Vorfall”. Saras Psychologin hatte vorgeschlagen, der Sache einen Namen zu geben, damit sie in Gesprächen Bezug auf das Ereignis nehmen könnten. Er hatte es allerdings noch nie laut ausgesprochen.
Überhaupt sprachen sie kaum darüber.
Aus den Krankenhausberichten, sowohl aus dem aus Polen als auch aus dem einer zweiten Untersuchung in den USA, wusste er, dass beide seiner Töchter zwar kleinere Verletzungen erlitten hatte, doch keine von ihnen vergewaltigt worden war. Er hatte jedoch mit eigenen Augen gesehen, was mit einigen der Opfer der Menschenhändler geschehen war. Er war sich nicht sicher, ob er bereit war, die Details der fürchterlichen Qual zu hören, die sie wegen ihm erlitten hatten.
Reid ging nach oben und hielt einen Augenblick vor Saras Schlafzimmertür inne. Die Tür stand ein paar Zentimeter offen. Er blickte hinein und sah, dass sie auf ihrer Bettdecke lag und die Wand anblickte. Ihr rechter Arm lag auf ihrer Hüfte, immer noch vom Ellenbogen an in dem beigen Gips. Morgen hatte sie einen Termin beim Arzt, um festzustellen, ob man ihn abnehmen könnte.
Reid drückte sanft die Tür auf, doch die Scharniere quietschten trotzdem. Sara bewegte sich jedoch nicht.
„Schläfst du?” fragte er leise.
„Nein”, murmelte sie.
„Ich, äh... ich habe eine Pizza mitgebracht.”
„Hab keinen Hunger”, gab sie matt zurück.
Seit dem Vorfall aß sie nicht viel. Reid musste sie sogar ständig daran erinnern, Wasser zu trinken, sonst nähme sie kaum etwas zu sich. Er verstand besser als die meisten, wie schwer es war, Trauma zu überleben, doch dies fühlte sich anders an. Schlimmer.
Dr. Branson, die Psychologin, zu der Sara ging, war eine geduldige und mitfühlende Frau, die sehr empfohlen wurde und von der CIA zertifiziert war. Doch laut ihrer Berichte sprach Sara während der Therapie-Sitzungen nur wenig und beantwortete Fragen mit so wenig Worten wie möglich.
Er saß auf dem Rand ihres Bettes und strich das Haar aus ihrer Stirn. Sie zuckte leicht bei seiner Berührung zurück.
„Kann ich irgendwas für dich tun?” fragte er leise.
„Ich will einfach nur allein sein”, murmelte sie.
Er seufzte und stand vom Bett auf. „Verstehe ich”, sagte er empathisch. „Ich würde mich trotzdem sehr darüber freuen, wenn du herunterkämst und wir zusammen sein könnten, wie eine Familie. Vielleicht könntest du versuchen, ein paar Happen zu essen.”
Sie antwortete nichts.
Reid seufzte erneut, als er wieder die Treppen hinunterging. Sara war offensichtlich traumatisiert. Es war jetzt noch viel schwerer, zu ihr vorzudringen als zuvor, im Februar, nachdem die Mädchen eine Begegnung mit zwei Mitgliedern der Terrororganisation Amun an der Strandpromenade in New Jersey hatten. Er dachte damals, dass es schlimm war, doch jetzt war seine jüngste Tochter komplett freudlos, schlief oder lag im Bett und starrte in die Luft. Selbst wenn sie körperlich anwesend war, fühlte es sich an, als ob sie kaum da wäre.
In Kroatien, der Slowakei und in Polen wollte er einfach nur seine Mädchen zurück haben. Jetzt, da er sie sicher heimgebracht hatte, wollte er einfach nur seine Mädchen zurück haben - doch auf andere Weise. Er wollte, dass die Dinge wieder so wären wie zuvor.
Maya war im Esszimmer und deckte den Tisch mit drei Papptellern und -bechern. Er sah ihr dabei zu, wie sie sich ein wenig Limo eingoss, ein Stück Peperoni-Pizza aus der Schachtel nahm und die Spitze abbiss.
Während sie kaute, fragte er: „Also. Hast du schon ein bisschen mehr darüber nachgedacht, wieder zur Schule zu gehen?”
Ihr Kiefer bewegte sich kreisförmig, während sie ihn gerade anblickte. „Ich glaube, ich bin einfach noch nicht so weit”, antwortete sie nach einer Weile.
Reid nickte, als ob er ihr zustimmte, doch er dachte, dass vier Wochen mehr als genug Zeit wären und es ihnen guttäte, wenn sie wieder zur Routine zurückkehrten. Keine von ihnen war nach dem Vorfall zur Schule zurückgekehrt. Sara war ganz offensichtlich noch nicht bereit, doch es schien, dass Maya wieder in Form war, um ihre Bildung erneut aufzunehmen. Sie war schlau, fast zu schlau. Selbst in der Mittelschule hatte sie jede Woche an ein paar Kursen der Georgetown Universität teilgenommen. Das sähe auf einer Universitätsbewerbung gut aus und gäbe ihr Vorsprung bei einem Studium - doch nur, wenn sie die Kurse auch beendete.
Mindestens ging sie ein paar Mal pro Woche zur Bibliothek, um zu lernen, das war schon ein Anfang. Sie hatte vor, an den letzten Prüfungen teilzunehmen und sie zu bestehen, damit sie nicht wiederholen müsste. Doch so schlau sie auch war, Reid zweifelte daran, dass das ausreichen würde.
Er wählte seine Worte vorsichtig, als er ihr sagte: „Es sind nicht mal mehr zwei Monate Unterricht, doch ich glaube, du bist schlau genug, aufzuholen, falls du zurückkehrst.”
„Du hast recht”, gab sie zurück, während sie einen weiteren Happen Pizza abbiss. „Ich bin schlau genug.”
Er blickte sie von der Seite an. „Das war nicht, was ich meinte, Maya -”
„Oh, hallo Mäuschen”, sagte sie plötzlich.
Reid