So Gut Wie Vorüber. Блейк Пирс
ZEHN
KAPITEL EINS
Die dreiundzwanzigjährige Cassie Vale saß auf einem der beiden Plastikstühle im Wartebereich der Au-Pair-Agentur und starrte auf die Poster und Landkarten an der gegenüberliegenden Wand. Über dem kitschigen Maureens Europa Au-Pairs Logo hing ein Bild des Eifelturms und eines vom Brandenburger Tor. Daneben ein Café in einem gepflasterten Hinterhof und ein malerisches Dorf mit Blick auf das azurblaue Meer. Szenen zum Träumen; Orte, nach denen sie sich sehnte.
Das Agenturbüro war eng und erdrückend. Die Klimaanlage klapperte nutzlos vor sich hin und aus der Lüftung kam definitiv keine frische Luft. Cassie hob die Hand und wischte sich diskret einen Schweißtropfen von der Wange. Sie wusste nicht, wie lange sie es noch aushalten konnte.
Plötzlich öffnete sich die Tür und sie fuhr zusammen. Ihre Hand griff bereits nach den Unterlagen, die sie auf dem anderen Stuhl platziert hatte. Enttäuscht musste sie feststellen, dass es lediglich eine weitere Bewerberin war, die das Zimmer verließ. Dieses Mal handelte es sich um eine große, schlanke Blondine, die all die Zuversicht ausstrahlte, von der Cassie nur träumen konnte. Sie lächelte zufrieden und hielt ein Bündel offiziell aussehender Dokumente in der Hand. Cassie schenkte sie kaum Aufmerksamkeit, als sie an ihr vorbeiging.
Cassies Magen zog sich zusammen. Sie betrachtete ihre eigenen Unterlagen und fragte sich, ob auch sie erfolgreich sein oder das Büro enttäuscht und beschämt verlassen würde. Sie wusste, dass ihre Erfahrung jämmerlich und unzureichend war – schließlich hatte sie keine wirklichen Qualifikationen in der Kindesbetreuung vorzuweisen. In der Woche zuvor hatte sie sich bei einer Kreuzfahrtagentur vorgestellt und war abgelehnt worden. Ohne Erfahrung könnten sie sie nicht einmal in ihr Register aufnehmen. Wenn hier dieselben Richtlinien galten, hatte sie keine Chance.
„Cassandra Vale? Mein Name ist Maureen. Bitte kommen Sie herein.“
Cassie sah auf. Eine grauhaarige Frau in dunklem Anzug wartete im Türrahmen auf sie; es handelte sich offensichtlich um die Besitzerin der Agentur.
Cassie stand hastig auf und ihre sorgfältig geordneten Papiere verteilten sich auf dem Boden. Mit heißem Gesicht suchte sie sie zusammen und eilte dann in das Gesprächszimmer.
Während Maureen mit runzelnder Stirn durch ihre Unterlagen blätterte, begann Cassie, mit den Fingernägeln an ihrer Nagelhaut zu zupfen. Schließlich verschränkte sie die Finger – die einzige Möglichkeit, die nervöse Angewohnheit zu stoppen.
Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen und versuchte, sich davon zu überzeugen, dass die Frau nicht ihre einzige Möglichkeit war, von hier zu verschwinden. Es würden sich auch andere Wege finden, um zu entkommen und von vorne anzufangen. Doch im Moment hatte sie das Gefühl, ihrer einzigen Hoffnung gegenüber zu sitzen. Die Kreuzfahrtagentur hatte sie rigoros abgelehnt. Ihre andere Idee, Englischunterricht zu geben, war ohne die richtigen Qualifikationen unmöglich; diese zu erhalten zu teuer. Sie würde ein weiteres Jahr sparen müssen, um überhaupt damit anfangen zu können. Doch genau das fehlte ihr gerade: Zeit. In der letzten Woche war ihr dieser Luxus genommen worden.
„Also, Cassandra. Sie sind in Millville, New Jersey aufgewachsen? Lebt Ihre Familie noch hier?“, fragte Maureen schließlich.
„Bitte nennen Sie mich Cassie“, antwortete sie. „Und nein, meine Familie ist weggezogen.“ Cassie drückte ihre Hände nun fester aneinander und machte sich Sorgen um die Richtung, die das Interview zu nehmen schien. Sie hatte nicht damit gerechnet, ausführlich zu ihrer Familie befragt zu werden, aber ihr wurde nun klar, dass natürlich der Background der Bewerber durchleuchtet werden musste. Schließlich würden die Au-Pairs in dem Zuhause ihrer Arbeitgeber leben und arbeiten. Sie musste sich schnell etwas überlegen, denn obwohl sie nicht lügen wollte, fürchtete sie doch, dass die Wahrheit ihrer Bewerbung schaden könnte.
„Und Ihre ältere Schwester? Sie schreiben hier, dass sie im Ausland arbeitet?“
Zu Cassies Erleichterung war Maureen zum nächsten Punkt übergegangen. Hierfür hatte sie sich eine Antwort zurechtgelegt, die ihre eigene Sache fördern würde, aber keine Details preisgab, deren Aufrichtigkeit bestätigt werden konnte.
„Die Reisen meiner Schwester haben mich auf jeden Fall dazu inspiriert, selbst im Ausland zu arbeiten. Ich wollte schon immer in einem anderen Land leben und liebe Europa. Besonders Frankreich, wo ich mit der Sprache doch recht vertraut bin.“
„Sie haben Französisch studiert?“
„Ja, zwei Jahre lang, aber ich habe auch davor schon ein enges Verhältnis zu der Sprache gehabt. Meine Mutter ist in Frankreich aufgewachsen und arbeitete hin und wieder als freiberufliche Übersetzerin, als ich noch klein war. Meine Schwester und ich sind also mit einem guten Verständnis der französischen Sprache großgeworden.“
Maureen stellte ihr nun eine Frage auf Französisch: „Was erhoffen Sie sich von einer Position als Au-Pair?“
Cassie