Der Glöckner von Notre Dame. Victor Hugo

Der Glöckner von Notre Dame - Victor Hugo


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selbst klatschte Beifall; und Clopin Trouillefou, welcher als Mitbewerber aufgetreten war (Gott weiß, welchen Grad der Häßlichkeit sein Gesicht erreichen konnte), erklärte sich für besiegt. Wir wollen dasselbe thun. Versuchen wollen wir aber nicht, dem Leser einen Begriff zu geben von dieser vierkantigen Nase, diesem hufeisenartigen Maule, von diesem kleinen, hinter roth-borstiger Augenbraue versteckten linken Auge, während das rechte ganz unter einer ungeheuern Warze verschwand, von diesen unregelmäßigen, hier und da abgebrochenen Zähnen, Schießscharten einer Festung vergleichbar, von dieser schwulstigen Lippe, über welche einer dieser Zähne, wie ein Elephantenstoßzahn herausfuhr, von diesem gespaltenen Kinn und dem Gesichtsausdruck, der unter alledem verborgen lag, von dieser Mischung von Bosheit, Stumpfsinn und Trübsinn. Wer es kann, vergegenwärtige sich dieses Ganze!

      Das Beifallsgeschrei war einstimmig; man stürzte auf die Kapelle los. Im Triumphe wurde der glückliche Narrenpapst herausgebracht. Aber Ueberraschung und Bewunderung stiegen jetzt auf den höchsten Gipfel: die Grimasse war sein wirkliches Gesicht.

      Oder besser: seine ganze Person war eine Grimasse. Ein dicker Kopf, der von rothen Haaren starrte; zwischen beiden Schultern ein ungeheurer Buckel, dessen Gegenstück man vorn sehen konnte; Schenkel und Beine in so widernatürlicher Stellung, daß sie sich nur an den Knien berührten, und von vorn gesehen zwei Sichelbogen glichen, die am Griff verbunden waren; mächtige Füße, ungeheure Hände, und bei all dieser Mißgestaltung ein schrecklicher Anstrich von Stärke, Gewandtheit und Muth: eine sonderbare Ausnahme von der ewigen Regel, nach welcher Kraft wie Schönheit aus der Harmonie entspringt. So war der Papst, den sich die Narren soeben gewählt hatten. Man hätte ihn für einen zerbrochenen und schlecht zusammengefügten Riesen halten mögen.

      Als dieses Stück Cyklop auf der Schwelle der Kapelle erschien, unbeweglich, untersetzt, fast ebenso breit wie hoch, »ein viereckiges Ganze«, wie ein großer Mann sagt, erkannte ihn die Bevölkerung sofort an seinem halb rothen, halb schwarzen, mit silbernen Thürmen übersäeten Rocke, vor allem an der vollendeten Häßlichkeit, und rief einstimmig:

      »Das ist Quasimodo, der Glöckner! Das ist Quasimodo, der Bucklige von Notre-Dame! Quasimodo, der Einäugige! Quasimodo, das Krummbein! Hurrah! Juchhe!«

      Man sieht, der arme Teufel konnte sich Spitznamen wählen.

      »Nehmt die schwangern Weiber in Acht!« schrien die Studenten.

      »Oder die es gern werden wollen,« fuhr Johannes fort.

      Die Frauen verhüllten in der That das Gesicht.

      »O! der häßliche Affe!« sagte eine.

      »So boshaft, wie häßlich,« fuhr eine andere fort.

      »Das ist der Teufel,« setzte eine dritte hinzu.

      »Ich habe das Unglück, neben Notre-Dame zu wohnen; des Nachts höre ich ihn in der Dachrinne umherlaufen.«

      »Mit den Katzen.«

      »Er ist immer auf unsern Dächern.«

      »Er wirft uns verzauberte Dinge durch die Schornsteine herab.«

      »Neulich Abend machte er mir eine Grimasse in mein Dachfenster. Ich glaubte, es wäre ein Mensch. Ich hatte Furcht.«

      »Ich bin überzeugt, er geht auf den Hexensabbath. Einmal hat er einen Besen auf meinem Dache liegen lassen.«

      »O! das häßliche Gesicht des Buckligen.«

      »O! die gemeine Seele!«

      »Buha!«

      Die Männer im Gegentheil waren entzückt und klatschten Beifall.

      Quasimodo, der Gegenstand des Tumultes, stand immer noch an der Thür der Kapelle, finster und ernst, und ließ sich bewundern.

      Ein Student (Robin Poussepain, glaube ich, war es) stand ein wenig zu nahe und lachte ihm ins Gesicht. Quasimodo ließ sich genügen, ihn am Gürtel zu packen und zehn Schritte weit mitten durch die Menge zu werfen – und alles das, ohne ein Wort zu sagen.

      Meister Coppenole näherte sich ihm erstaunt:

      »Kreuz Gottes! Heiliger Vater! du hast ja die schönste Häßlichkeit, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Der Papstwürde wärest du in Rom wie in Paris werth.«

      Während dieser Worte legte er ihm lustig die Hand auf die Schulter. Quasimodo rührte sich nicht. Coppenole fuhr fort:

      »Du bist ein Kerl, mit dem ich Lust habe, eins zu trinken, sollte es mir auch zwölf neue Tournosen kosten.«

      Quasimodo antwortete nicht.

      »Kreuz Gottes!« rief der Strumpfwirker, »bist du taub?«

      Er war es allerdings.

      Indessen fing er an, über Coppenole's Benehmen ungeduldig zu werden, und wandte sich plötzlich mit einem so fürchterlichen Zähnefletschen nach ihm hin, daß der flamländische Riese wie ein Bulldogge vor einer Katze zurückfuhr.

      Nun entstand um die seltsame Person vor Schrecken und Ehrfurcht ein Umkreis, der mindestens fünfzehn Fuß im Halbmesser hatte.

      Eine alte Frau setzte dem Meister Coppenole auseinander, daß Quasimodo taub wäre.

      »Taub!?« sagte der Strumpfwirker mit seinem lauten flamländischen Lachen. »Kreuz Gottes! das ist ein vollkommener Papst!«

      »Ei, ich erkenne ihn!« rief Johann, der schließlich von seinem Säulenknaufe heruntergestiegen war, um Quasimodo in der Nähe zu sehen, »es ist der Glockenläuter meines Bruders, des Archidiakonus. Guten Tag, Quasimodo!«

      »Teufelskerl!« sagte Robert Poussepain, der von seinem Falle noch ganz zerquetscht war. »Er ist offenbar ein Buckliger; geht er, so habt ihr ein Krummbein; sieht er euch an, da hat er nur ein Auge; sprecht ihr mit ihm, da ist er taub. Nun wohlan, was macht er denn mit seiner Zunge, dieser Polyphem?«

      »Wenn er will, kann er sprechen,« sagte die Alte; »er ist durchs Läuten taub geworden. Stumm ist er nicht.«

      »Das fehlt ihm noch,« bemerkte Johann.

      »Und er hat ein Auge zu viel,« fügte Robin Poussepain hinzu.

      »Ganz und gar nicht,« sagte Johann verständig; »ein Einäugiger ist doch weit unvollkommener, als ein Blinder; er weiß, was ihm fehlt.«

      Unterdessen hatten alle Bettler, alle Bedienten, alle Beutelschneider, im Verein mit den Studenten, feierlich aus dem Schranke der Gerichtsschreibergilde die pappene Tiara und das Spottkleid des Narrenpapstes herbeigeholt. Quasimodo ließ sich damit bekleiden, ohne eine Miene zu verziehen, ja mit einer Art stolzer Bereitwilligkeit. Dann ließ man ihn auf einem buntgeschmückten Tragsessel niedersitzen. Zwölf Beamte der Narrenbrüderschaft hoben ihn auf ihre Schultern, und eine Art herber und verachtender Freude strahlte auf dem mürrischen Gesichte des Cyklopen, als er unter seinen mißgestalteten Füßen alle diese Köpfe schöner, gesunder und wohlgestalteter Menschen sah. Dann setzte sich der heulende und zerlumpte Zug in Bewegung, um, dem Herkommen gemäß, den Umzug in den innern Galerien des Palastes auszuführen, ehe er seinen Marsch durch die Straßen und Gassen begann.

      Wir sind froh, unsern Lesern melden zu können, daß während dieser ganzen Scene Gringoire und sein Stück Stand gehalten hatte. Seine Schauspieler hatten, von ihm gedrängt, nicht aufgehört, sein Stück zu declamiren, und er hatte nicht unterlassen, zuzuhören. Er hatte sich dem Getöse gefügt und war entschlossen, bis ans Ende auszuharren, weil er an einer Rückkehr der Aufmerksamkeit seitens des Publikums nicht verzweifelte. Dieser Hoffnungsschimmer wurde noch mehr belebt, als er Quasimodo, Coppenole und die betäubende Begleitung des Narrenpapstes mit lautem Geräusche den Saal verlassen sah. Die Menge stürzte begierig hinter ihnen her. »Gut,« sagte er sich, »das sind die Störenfriede, die da weggehen.« Unglücklicherweise waren alle die Störenfriede das Publikum. In einem Augenblicke war der große Saal leer.

      Die Wahrheit zu sagen, es blieben noch einige Zuschauer zurück, manche zerstreut, andere um die Pfeiler herum gruppirt,


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